Talmudisches

Die erste Konvertitin

»Ruth zieht mit Naemi nach Bethlehem« von Julius Schnorr von Carolsfeld Foto: dpa

Der Talmud gibt wieder, wie die Rabbiner und ihre Schüler in den ersten fünf Jahrhunderten unserer Zeitrechnung über die Tora diskutierten. Entsprechend selten kommen Frauen darin vor. Manchmal sind es aber gerade Frauen, die wichtige Grundlagen der religiösen Praxis mitgestalten.

Das können zeitgenössische Frauen sein wie die Haushälterin von Rabbi Jehuda HaNassi, die uns einen wichtigen Grundsatz der Medizinethik lehrt, und manchmal sind es biblische Figuren. Dazu zählen Hanna, die das theoretische Fundament unserer heutigen Gebetspraxis legt (Brachot 31a), aber auch eine der Hauptpersonen von Schawuot: Ruth.

MATAN TORA Schawuot ist unter anderem das Fest von Matan Tora, der Übergabe der Tora an die Israeliten. Das Buch Ruth lesen wir auch deshalb an Schawuot, weil so, wie wir als jüdisches Volk die Tora akzeptiert haben, auch Ruth die Tora und ihre Gebote annimmt. Ruth schafft damit einen wichtigen Präzedenzfall für den Übertritt zum Judentum.

In Jewamot 47a lesen wir über den Giur, die Konversion: »Die Rabbanan lehrten: Wenn jemand in der Jetztzeit Proselyt werden will, so spreche man zu ihm: ›Was veranlasst dich, Proselyt zu werden? Weißt du denn nicht, dass die Israeliten in der Jetztzeit gequält, gestoßen, gedemütigt und gerupft werden und Leiden über sie kommen?‹ Wenn er sagt, er wisse das und sei dessen gar nicht würdig, so nehme man ihn sofort auf.«

Anschließend soll man ihn noch einige leichte und schwere Gebote lehren und darauf hinweisen, dass man bei Einhaltung der Gebote seinen Lohn und bei Übertretung der Gesetze seine Strafe erhält.

Der Talmud fährt fort (Jewamot 47b): »Jedoch (rede man) auf ihn nicht zu viel ein und nehme es mit ihm nicht allzu genau. Ist er einverstanden, so beschneide man ihn sofort … Und gleich nach seiner Genesung lasse man ihn (in einer Mikwe) untertauchen.« Eine Frau müsse nur in die Mikwe, erklärt der Talmud später.

Es stellt sich die Frage, warum man einem Übertrittskandidaten nicht besonders viel über das Judentum erklären muss oder es auch sonst keine größeren Anforderungen an ihn gibt. Rabbi Elasar fragte spezifisch nach einem Schriftvers, der dieses Prozedere untermauert.

PRÄZEDENZFALL Der Talmud bringt nun ein Gespräch zwischen Ruth und ihrer Schwiegermutter Naomi als Präzedenzfall. Nachdem ihr Mann und ihre Söhne gestorben sind, kehrt Naomi wieder zurück nach Israel. Sie fordert ihre beiden Schwiegertöchter auf, in ihrer Heimat Moab zu bleiben. Doch während die eine geht, bleibt Ruth bei ihrer Schwiegermutter und hält eine der beeindruckendsten Ansprachen des gesamten Tanach.

»Wo du hingehst, da will auch ich hingehen; wo du übernachtest, da übernachte ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein G’tt ist mein G’tt. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will auch ich begraben werden« (Ruth 1, 16–17).

Überraschenderweise heißt es darauf im Buch Ruth: »Als sie (Naomi) nun sah, dass sie (Ruth) fest darauf beharrte, mit ihr zu gehen, hörte sie auf, mit ihr zu reden.«

Naomi bleibt sprachlos? Für die Rabbiner ein klarer Hinweis, dass hier mehr dahintersteckt, eine weitere Ebene des Textverständnisses. Für sie war Ruths Rede kein Monolog, sondern ein Dialog mit Naomi (Jewamot 47b): »Sie (Naomi) hatte zu ihr (Ruth) gesagt: ›Uns ist eine Schabbatgrenze (bezüglich des Laufens) gesetzt.‹ – ›Wo du hingehst, da will ich auch hingehen.‹ – ›Uns ist das Beisammensein (mit einem einzelnen Mann) verboten.‹ – ›Wo du übernachtest, da übernachte ich auch. – ›Uns sind 613 Gebote auferlegt.‹ – ›Dein Volk ist mein Volk.‹ – ›Uns ist der Götzendienst verboten.‹ – ›Dein G’tt ist mein G’tt.‹ – ›Vier Todesarten sind dem Gericht überwiesen worden.‹ – ›Wo du stirbst, da sterbe ich auch.‹ – ›Zwei Grabstätten sind dem Gericht überwiesen worden. – ›Da will ich auch begraben werden.‹«

Dieses Bekenntnis zum Judentum und seinen Geboten ist nicht nur für Übertritte relevant. Mit ihrer Hingabe zu unserer Tradition ist Ruth ein Beispiel für uns alle.

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025