Talmudisches

Der Streit um den Schlangenofen

Schlangenofen – ein transportabler Backofen aus Lehmziegeln, der sich in seine Einzelteile zerlegen und später wieder zusammenbauen lässt Foto: Thinkstock

Diskussionen im Talmud, die anfangs etwas langweilig wirken, können manchmal spannende Wendungen nehmen – so in der Geschichte vom Schlangenofen, einem transportablen Backofen aus Lehmziegeln (Baba Mezia 59b). Um ihn dreht sich eine halachische Diskussion: Es geht um die Frage, ob er rituell unrein werden könne, da er transportabel ist. Alle Gelehrten meinen ja, doch Rabbi Elieser meint nein. So weit, so unspektakulär.

Halacha Rabbi Elieser weigert sich, die Mehrheitsmeinung zu akzeptieren. Nachdem keines seiner Argumente die gewünschte Wirkung zeigt, versucht er es mit Wundern: »Wenn die Halacha meiner Meinung entspricht, so mag das dieser Johannisbrotbaum beweisen!« Da rückte der Baum 100 Ellen von seinem Ort fort.

Als seine Kollegen immer noch nicht überzeugt waren, versuchte es Rabbi Elieser mit einem Wasserarm, der seine Laufrichtung änderte. Doch die Kollegen blieben bei ihrer Meinung. Da veranlasste Rabbi Elieser die Wände des Lehrhauses, sich zu neigen. Doch jedes Mal sagen die Rabbiner, dies sei kein Beweis. Da erklingt plötzlich eine Stimme aus dem Himmel: »Was habt ihr gegen Rabbi Elieser? Die Halacha ist stets wie er.«

Da stand Rabbi Jehoschua auf und sprach: »Die Tora ist nicht im Himmel« (5. Buch Mose 30,12). Der Talmud fragt: »Was heißt: Sie ist nicht im Himmel?« Rabbi Jirmeja erwiderte: »Die Tora ist bereits vom Berg Sinai herabgegeben worden. Wir achten nicht auf die Hallstimme, denn bereits am Berg Sinai hast Du in die Tora geschrieben: ›Man muss sich nach der Mehrheit richten‹« (2. Buch Mose 23,2). Damit wurde nicht nur Rabbi Elieser, sondern auch G’tt von den anderen Rabbinern einfach überstimmt.

Es heißt im Talmud, dass Rabbi Nathan den Propheten Elijahu traf und ihn nach der Reaktion G’ttes fragte. Jener erwiderte: »Er schmunzelte und sprach: ›Meine Kinder haben mich besiegt, meine Kinder haben mich besiegt.‹« Offensichtlich freut sich G’tt darüber, dass die Menschen ihn mit den Mitteln geschlagen haben, die Er ihnen selbst gegeben hat. G’tt versteht, dass die Menschen nun die Verantwortung für die Tora übernommen haben und als selbstständige, intelligente, aber eben auch kritische, Partner G’ttes am Schöpfungswerk aktiv teilhaben. Der Mensch soll nicht einfältig und von G’tt abhängig sein. Die Tora ist nun nicht mehr im Himmel, sondern sie ist in der Hand der Menschen, und die müssen sie nun verstehen und interpretieren.

Bann Für Rabbi Elieser endete die Geschichte leider weniger fröhlich. Er wurde von den Kollegen mit einem Bann belegt, quasi exkommuniziert. Es ging nicht um eine Minderheitenmeinung, die inakzeptabel ist, sondern die Gemeinschaft der interpretierenden Rabbiner ist wichtig, hier hat sich Rabbi Elieser herausgenommen.

Mehr noch: Das jüdische Gesetz basiert auf rabbinischer Tradition und Dialektik, nicht auf Wundern und Prophezeiungen. Wenn wir zulassen, dass Wunder und Prophezeiung eine Rolle spielen, dann braucht nur jemand zu behaupten, er sei ein Prophet, der Wunder vollbringen könne, und schon könnten er und seine Anhänger damit rechtfertigen, sich gegen das gesamte etablierte Rabbinat zu stellen. Diese Art des Diskurses wäre das En­de des (rabbinischen) Judentums.

Trotzdem war diese Entscheidung tragisch für beide Seiten. Rabbi Akiva trauerte ehrlich, als er Rabbi Elieser den Bann mitteilte. Selbst G’ttes Schöpfung nahm Anteil: »Da ward die Welt geschlagen, ein Drittel an den Oliven, ein Drittel an Weizen und ein Drittel an der Gerste.«

Rabbi Gamliel, der als Vorsteher des Beit Din in Jawne letztlich für das Urteil verantwortlich war, geriet in Seenot. Da sprach er: »Herr der Welt, offenbar und bewusst ist es Dir, dass ich dies nicht wegen meiner Ehre, auch nicht wegen der Ehre meines väterlichen Hauses getan habe, sondern Deiner Ehre wegen, damit sich keine Streitigkeiten in Israel mehren.« Erst dann hörte das Toben des Meeres auf.

Gespräch

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