Talmudisches

Der Klang der Flöte

Chalil, das hebräische Wort für Flöte, wird von »chali«, süß, abgeleitet. Foto: Getty Images

Talmudisches

Der Klang der Flöte

Wie ein Instrument sowohl große Freude als auch tiefe Trauer symbolisiert

von Rabbiner Netanel Olhoeft  23.04.2021 08:19 Uhr

»Eine Rohrflöte gab es im Tempel, glatt und dünn, die noch aus den Tagen Mosches stammte. Ein späterer König gab den Befehl, sie mit Gold zu überziehen. Dadurch verlor sie aber ihren angenehmen Klang. Daher entfernte man den Goldbeschlag wieder, sodass ihre schöne Stimme von da an wie in der Vorzeit erklang« (Arachin 10a).

Im Tanach begegnet uns eine Vielzahl von Musikinstrumenten. Mehr als 20 verschiedene nennen die heiligen Bücher beim Namen. Die Flöte – das zeigt auch der Bericht des Talmuds – hat unter diesen eine besondere Rolle.

In der jüdischen Tradition gilt sie als Sinnbild zweier sehr gegensätzlicher Emotionen: Einerseits symbolisiert sie große Freude, andererseits aber auch tiefe Trauer. Beide Grundgefühle sind in ihr vereint.

Beim festlichen Frohsinn, der die Salbung Schlomos zum König über Israel begleitete, wurden die Flöten ebenso gespielt wie beim tragischen Untergang der Moabiter (1 Melachim 1,40 und Jirmejahu 48,36).

Tempel Im Rahmen des Tempeldienstes nun, in dem jede Trauer untersagt ist, diente die Flöte der Fröhlichkeit. Im Allgemeinen hatte bei den dortigen kultischen Handlungen die von den Leviten gespielte Instrumentalmusik – neben dem Singen von Psalmen – eine besondere Bedeutung.

Die Tora berichtet uns zunächst nur von silbernen Trompeten, die von den Priestern zu bestimmten Opfern geblasen wurden: »Und am Tag eurer Freude und zu euren Festen und euren Neumondstagen sollt ihr die Trompeten über euren Ganz- und Schlachtopfern blasen« (4. Buch Mose 10,10).

Von anderen Instrumenten, wie etwa der Flöte, hören wir hier noch nichts. Doch spätestens mit der Erbauung des ersten Jerusalemer Tempels lernen wir, wie König David den Leviten verschiedenste sängerische und instrumentelle Positionen in den Höfen des Heiligtums zuwies (1 Diwrej Hajamim 25).

Für die rabbinische Überlieferung ist aber gegeben, dass bereits Mosche in der Wüste eine umfassendere musikalische Unterstützung der Opferzeremonien anordnete, wobei die Gemara diskutiert, ob der Gesang oder die Instrumentalmusik dabei für die richtige Darbringung der Altargaben bedeutungsvoller war (Taanit 27a, Sukka 50b und Awoda Sara 47a).

In diesem Rahmen soll Mosche dann auch die in unserem obigen Textausschnitt erwähnte Urflöte eingeführt haben. Die Flöte nämlich, deren hoher und auch aus der Ferne vernehmbarer Klang als ungemein wohltuend galt, wurde von den Weisen als derart wichtig erachtet, dass schon ihr Name stellvertretend für die Gesamtheit der musikalischen Ausstattung des Tempels stehen konnte (Mischna, Sukka 5, 1–4).

Dementsprechend wurde das Wort Flöte, hebräisch »Chalil« (oder »Abuw«, Arachin 10b), midraschisch von »chali«, süß, abgeleitet.

Aus demselben Grund wurden mit ihr auch feierliche Umzüge angeführt, so der Einzug der Erstlingsfrüchte in Jerusalem im Sommer (Mischna, Bikkurim 3, 3–4) und die Wasserschöpfzeremonie zu Sukkot, die von vielerlei Tänzen und fromm-verzückenden Spielen begleitet wurde. Insgesamt gab es zwölf Tage im Jahr, deren festliche Freude durch den Klang der Flöte vor dem Altar versüßt wurde (Arachin 10a).

Beerdigung Allerdings hat die Flöte auch ihre äußerst traurige Kehrseite. In talmudischer Zeit war es üblich, dass zu Beerdigungen neben Klagefrauen auch Flötenspieler angeheuert wurden, damit deren vereinter, herzzerreißender Gesang eine Atmosphäre der Tränen und Trübnis erzeuge (Mischna, Ketubbot 4,4).

Die (Rohr-)Flöte, die imstande ist, diese beiden gegensätzlichen Gefühle Trauer und Freude hervorzurufen, ist ein basales, sogar ein sehr archaisches und einfaches Instrument, das tiefe Grundveranlagungen der menschlichen Psyche auszugraben vermag.

Wird es aber kultiviert, gar mit Gold überzogen, wie jener König es unternahm, verliert die Flöte diese Fähigkeit. Darin ähnelt sie auch dem bekannteren Schofar.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  16.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025