Talmudisches

Das Geheimnis der Schrift

Historiker unterscheiden zwischen der paläohebräischen und der assyrischen Schriftform des Hebräischen. Foto: imago/United Archives International

Talmudisches

Das Geheimnis der Schrift

Wie sich die Form der hebräischen Buchstaben einst wandelte

von Vyacheslav Dobrovych  12.07.2019 06:00 Uhr

Das hebräische Alphabet ist ein Symbol der jüdischen Identität. Die Buchstaben, aus denen sich die Texte des Gebetbuchs und der Torarolle ergeben, begleiten das jüdische Volk seit Jahrhunderten. Doch die Form der hebräischen Buchstaben hat sich einst gewandelt.

Historiker unterscheiden zwischen der paläohebräischen oder auch althebräisch genannten Schrift, die dem phönizischen Alphabet sehr ähnlich ist, und der assyrischen Schrift. Letztere ist die heute übliche Variante des Alefbets.

Formveränderung Der Talmud (Sanhedrin 21b-22a) berichtet uns von der Geschichte dieser Formveränderung. So sagte Mar Ukva: »Ursprünglich (am Sinai) wurde die Tora mit paläohebräischen Buchstaben und in hebräischer Sprache gegeben.

Später, in den Tagen von Esra, wurde die Tora in aramäischer Sprache und in assyrischer Schrift gegeben. Das jüdische Volk wählte die hebräische Sprache mit der assyrischen Schrift für die Torarolle.«

Doch Rabbi Jehuda HaNasi widerspricht. Seiner Meinung nach ist die heutige Schriftform die ursprüngliche Schrift der Tora gewesen. Die Sünden des Volkes hätten allerdings für eine Formveränderung zugunsten der unauthentischen paläohebräischen Schriftform gesorgt. Doch die Reue des Volkes habe die alte Schriftform wieder zurückgebracht.

Rabbi Schimon ben Elasar bestreitet jedoch, dass es jemals eine Veränderung der Buchstabenform in der Tora gegeben hat.

assyrisch Dieser Talmudabschnitt wurde zur Quelle zahlreicher rabbinischer Kommentare. So schreibt Ritva (1250–1330), dass lediglich die Zehn Gebote in der heutigen assyrischen Schriftform gegeben wurden. Das jüdische Volk habe sich allerdings geweigert, eine so heilige Schrift sowohl für alltägliche Zwecke als auch für das Studium der Tora zu benutzen.

Dieser Kommentar zeigt ein Szenario, das die verschiedenen talmudischen Meinungen kombinieren möchte. Die späteren Talmudkommentatoren bemühen sich, sowohl die drei Meinungen als auch einen Konsens zu beschreiben.

Diese widersprüchlichen Positionen bezüglich der ursprünglichen Buchstaben­form im Text der Tora werden hierbei in einen größeren Kontext gestellt, oder es wird zwischen den verschiedenen Epochen differenziert.

Der zeitgenössische Jerusalemer Rabbiner Uri Amos Scherky hat einen interessanten Gedanken zu dieser talmudischen Debatte geäußert. Er sieht in der heutigen assyrischen Schrift eine Buchstabenform, die neben dem Darstellen der verschiedenen Laute des Hebräischen auch eine mystische Informationsquelle ist.

Leserichtung So offenbart uns zum Beispiel die Form des ersten Buchstaben in der Tora, das »Bejt« des Wortes »Bereschit«, etwas über unseren Bezug zur Schöpfung: Der Buchstabe ist nur zur linken Seite, also in Leserichtung, geöffnet. Dies lehrt uns, dass sich die Tora nur mit dem Leben nach der Schöpfung beschäftigt.

Die Frage nach dem, was vor der Schöpfung des Universums war, mag interessant sein, doch soweit sie unser spirituelles Wachstum dadurch nicht berührt, ist sie irrelevant.

Laut Rabbiner Scherky wohnt der assyrischen Schrift bereits eine Weisheit inne, wohingegen sich aus den paläohebräischen Buchstaben keine tieferen Lehren ziehen lassen.

Rabbiner Scherky sieht in der Form der assyrischen Buchstaben, im strikten Kontrast zur paläohebräischen Buchstabenform, eine Intensivierung g’ttlicher Offenbarung.

Dies hebt die auf den ersten Blick historische Talmuddebatte auf eine andere Stufe: Es geht nun primär nicht mehr um die historischen Fakten sondern um die Offenbarung des G’ttlichen. Ein weiteres Beispiel für die Vielschichtigkeit des talmudischen Textes.

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025