Ronen Steinke

Zivilisten sind Zivilisten, auch in Gaza

Ronen Steinke Foto: dpa

Wie die Jüdische Allgemeine dazu kommt, eine derart menschenverachtende Polemik ins Blatt zu heben, wie es in der vergangenen Woche geschehen ist, stellt mich vor ein Rätsel. »Die Zivilisten in Gaza sind nicht unschuldig«, stand hier als Überschrift über einem Kommentar des ehemaligen Unternehmers Tobias Huch. Denn: Zivilisten aus Gaza hätten schließlich den Hamas-Terror bejubelt. Zivilisten aus Gaza hätten auch in den Kibbuzim gearbeitet, diese ausspioniert »und ihnen so den Tod gebracht«.

Und weiter: »Wenn es so etwas wie kollektive Verantwortung für Verbrechen gibt, dann trifft dies auf Gazas Bevölkerung zu« – mit der unausgesprochenen Konsequenz, dass diese ganze Bevölkerung von mehr als zwei Millionen Menschen im Krieg ein legitimes Ziel sei.

Das ist grotesk. Erstens: Die Bewohner des Gazastreifens sind heute zur Hälfte Minderjährige. Sie waren noch nicht einmal geboren, als die Hamas hier ihre Wahl gewann. Sie haben sich nicht ausgesucht, an diesem von allen guten Geistern verlassenen Ort geboren zu werden. Jetzt machen sie die Hälfte unter den Getöteten aus, in den von Israels Armee bombardierten Wohngebäuden wie auch etwa in den Krankenhäusern. Welche »Schuld« trifft sie?

Zweitens: Auch die Erwachsenen in Gaza haben seit der Wahl im Jahr 2006 nicht mehr frei entscheiden können, ob sie den höllischen Weg der Hamas, die diktatorisch regiert, weiter mitgehen wollen. Auswandern war, nun ja, keine Option.  

Drittens: Wenn der Kommentator schreibt: »Laut einer Umfrage unterstützten rund zwei Drittel der Gaza-Bewohner die Verbrechen am 7. Oktober«, dann ist das nicht nur unseriös, sondern hanebüchen. Unabhängige, wissenschaftlich valide Demoskopie existiert nicht in diesem Flecken der Erde, der beherrscht wird von einer Gangsterbande, die ihre Gegner vor den Augen der Öffentlichkeit ermordet, indem sie sie von hohen Gebäuden hinabwirft. Viel mehr spricht dafür, dass auch unter den Zivilisten in Gaza viele den Tag verfluchen, an dem die Hamas einen weiteren Krieg mit Israel vom Zaun gebrochen hat. Für Jugendliche, die 2024 volljährig werden, ist dies übrigens schon der fünfte. 

Sind das einfach alles pauschal Terror-Komplizen? Absurd. Die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten ist im Krieg elementar. Kombattanten haben sich ausgesucht, dass sie am Krieg teilnehmen wollen. Zivilisten haben das nicht. Für die Unterscheidung kommt es auf das individuelle Verhalten an. Wer sich individuell dafür entscheidet, an einem kriegerischen Überfall auf Kibbuzim teilzunehmen, der trägt die Konsequenzen – er ist dann nach allen geltenden völkerrechtlichen Regeln kein Zivilist mehr, und er darf sich nicht wundern, wenn er vom gegnerischen Militär als Kombattant behandelt wird. Aber für die große Masse der Unbeteiligten gilt das nicht – und ihr Tod ist, selbst wenn er in einzelnen Fällen unvermeidbar sein mag, zu beklagen. 

Das ist kein tumbes »Schwarz-Weiß-Denken«, wie in dem Kommentar von Tobias Huch zu lesen war. Sondern das ist Zivilisation. Wie viel Lust an Provokation und wie wenig Neigung zu ernsthaftem Nachdenken muss man haben, um diesen Unterschied einfach wegzuwischen. 

Der Autor ist rechtspolitischer Korrespondent bei der »Süddeutschen Zeitung«.

Potsdam

Brandenburg: Ja zum Existenzrecht Israels künftig Bedingung zur Einbürgerung

Die Entscheidung der Landesregierung gilt seit Juni dieses Jahres

 18.07.2025

Berlin

Wo die Intifada globalisiert und gegen Zionisten gehetzt wird

Ein Augenzeugenbericht über einen merkwürdigen Abend an der Freien Universität, der mit einem Hausverbot endete

von Alon David  18.07.2025

Meinung

Kein Mensch interessiert sich für den AStA, aber vielleicht sollte man es

An der FU Berlin berieten Studenten darüber, wie man die Intifada globalisieren könnte. Darüber kann man lachen, doch den radikalen Israelfeinden steht der Marsch durch die Institutionen noch bevor

von Noam Petri  18.07.2025

Medien

»Besonders perfide«

Israels Botschafter wirft ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann Aktivismus vor. Die Hintergründe

 18.07.2025

Analyse

Inszenierung des angeblich Unpolitischen

Im Prozess von Lahav Shapira gegen Burak Y. versuchte die Verteidigung, so zu tun, als hätte die Nötigung des jüdischen Studenten nichts mit dem Nahost-Konflikt zu tun. Doch Burak Y. selbst unterlief diese Strategie

von Ruben Gerczikow  18.07.2025

Berlin

Israelisches Restaurant verschiebt wegen israelfeindlicher Proteste Eröffnung

»Ein Restaurant zu eröffnen, sollte eine fröhliche Feier sein«, so die Betreiber. Unter den aktuellen Umständen sei es »kaum möglich, diese Freude zu spüren«

 18.07.2025

Washington D.C.

Trump will Veröffentlichung einiger Epstein-Unterlagen

Der amerikanische Präsident lässt sich selten unter Druck setzen. Doch im Fall Epstein reagiert er nun. Ob das seinen Anhängern reicht?

 18.07.2025

Flandern

Gericht verbietet Transit von Militärgut für Israel

Der Hafen in Antwerpen ist einer der größten Europas. Einer Gerichtsentscheidung zufolge dürfen Schiffe, die von dort aus in den einzigen jüdischen Staat fahren, kein Militärgut mehr mitnehmen

 18.07.2025

Regierung

Warum Friedrich Merz Angela Merkel erst zum 100. Geburtstag öffentlich gratulieren will

Alte Rivalität rostet nicht? Als der Bundeskanzler in Großbritannien auf das Verhältnis zu seiner Vorvorgängerin angesprochen wird, reagiert er schlagfertig

 17.07.2025