27. Januar

»Zeiten der Verrohung«

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein Foto: imago images/Metodi Popow

Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein fordert neue Ansätze, um die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachzuhalten. »Sie darf nicht in Formeln und Ritualen erstarren, und sie sollte nicht nur den Kopf ansprechen, sondern auch das Herz und die Emotionen«, sagte Klein der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Empathie sei entscheidend in »Zeiten der Verrohung und der Schoa-Relativierungen«. Klein verurteilte Antisemitismus bei Corona-Protesten scharf.

Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus äußerte sich zum Holocaust-Gedenktag. Am 27. Januar wird an die Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz 1945 und an die Opfer der Nationalsozialisten erinnert, darunter Millionen Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und politische Gegner des NS-Regimes.

gedenkstunde Der Bundestag beging den Jahrestag mit einer Gedenkstunde, bei der die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher und der israelische Parlamentspräsident Mickey Levy sprachen.

Der Bundesbeauftragte Klein nannte es »extrem und infam«, dass einige Teilnehmer von Corona-Demonstrationen sich gelbe Judensterne anheften und so die NS-Verbrechen relativieren. »Das ist die Lust an der Provokation und der Wunsch, damit Aufmerksamkeit zu erzeugen«, sagte Klein. Aber das könne man nicht ignorieren. »Es zeigt einen wachsenden Verrohungszustand in unserer Gesellschaft.«

Corona habe Antisemitismus beflügelt, fügte er hinzu. So habe eine Studie nachgewiesen, dass sich die Zahl deutschsprachiger Internet-Posts mit judenfeindlichen Inhalten seit Beginn der Pandemie verdreizehnfacht habe. »Diese einfachen Muster, dass es einen Sündenbock geben muss, das hat leider eine gewisse Tradition in unserer Gesellschaft.«

antisemitismus Extremisten nutzten die Unzufriedenheit einiger Menschen mit der Corona-Politik aus. Antisemitismus sei »eine Art klebriger Kitt« für die verschiedenen Protestgruppen, von vermeintlich unbedarften Bürgern, über Esoteriker, Verschwörungsanhänger, »Prepper«, Reichsbürger bis hin zu Rechtsextremisten. Klein begrüßte, dass Strafverfolgungsbehörden viel konsequenter wegen Volksverhetzung ermitteln, wenn NS-Verbrechen verharmlost würden.

Diese monströsen Verbrechen heute gedanklich zu fassen, sei fast unmöglich. »Aber wichtig ist, diese Geschichte anzunehmen, wie eine Art Erbschaft oder Vermächtnis, was aber nicht ausgeschlagen werden kann«, sagte Klein. Hilfreich sei, dass es im Lauf der Zeit leichter werde, die Rolle der eigenen Familie in der Schoa kritisch zu beleuchten. Menschen mit Migrationshintergrund müssten in die Erinnerungskultur einbezogen werden – es sei durchaus möglich, sie zu erreichen.

Jüdinnen und Juden wünschten sich nichts mehr, als in Normalität und Sicherheit zu leben, sagte Klein. Normalität sei aber weit entfernt, wenn vor jüdischen Einrichtungen Polizeischutz zum Alltag gehöre. »Das ist die traurige Botschaft auch zu diesem Gedenktag, dass wir das noch nicht geschafft haben zu zeigen und zu leben: Die jüdische Gemeinschaft ist ein ganz normaler Teil der Gesellschaft und bereichert sie.«

jüdischer weltkongress Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) äußerte sich besorgt über wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Der WJC-Präsident verwies auf eine im November von seiner Organisation durchgeführten Umfrage unter 5000 Menschen in Deutschland, über deren Details die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und das ZDF berichteten. Demnach hat nach Lauders Angaben jeder Dritte unter 30 Jahren grundsätzlich antisemitische Vorstellungen, unter allen Erwachsenen sei es fast jeder Fünfte. Die Studie zeige, dass das Ausmaß des Antisemitismus in Deutschland auf einem Allzeithoch sei, sagte Lauder im ZDF.

Die Corona-Pandemie hat Lauder zufolge wie ein »Brandbeschleuniger« für den Antisemitismus gewirkt. »Unter dem Deckmantel vermeintlicher Kritik an Corona-Maßnahmen ist Antisemitismus noch gesellschaftsfähiger und damit gefährlicher geworden«, kritisierte Lauder in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. dpa

Holocaust

Charles und Camilla in Hamburg: Gedenken an jüdische Kinder 

Von Dezember 1938 bis August 1939 wurden mehr als zehntausend überwiegend jüdische Kinder per Zug und Schiff nach Großbritannien gebracht

 31.03.2023

Großbritannien

Innenministerin teilt gegen jüdischen Dachverband aus

Suella Braverman verfolgt in der Einwanderungspolitik eine restriktive Linie – und wurde nun dafür vom Board of Deputies of British Jews heftig kritisiert

 31.03.2023

Warschauer Ghetto-Aufstand

Steinmeier hält Gedenkrede

Darüber hinaus nimmt der Bundespräsident an einem Gottesdienst in der Nozyk-Synagoge teil

 31.03.2023

Plädoyer

Aufruf zur Einheit

Ein jüdischer Staat Israel kann nur ein pluralistischer und demokratischer sein – ohne jede Einschränkung

von Rabbiner Pinchas Goldschmidt  31.03.2023

Kassel

Findungskommission für nächste documenta berufen

Die israelische Malerin, Philosophin und Psychoanalytikerin Bracha Lichtenberg Ettinger ist Teil des Gremiums

 31.03.2023

Berlin

Charles III. spricht über Krieg, Versöhnung und die Kindertransporte

»Aus der Vergangenheit zu lernen, ist unsere oberste Pflicht«, betonte der König

 30.03.2023

Schalom Aleikum

Denkfabrik diskutiert über interreligiösen Trialog

Ein hochkarätig besetztes Podium debattierte aus jüdischer, muslimischer und christlicher Perspektive

 30.03.2023

Sport

Judenhass: FIFA entzieht Indonesien die Fußball-WM

Gegen die Teilnahme des jüdischen Staates hatte es in Jakarta massiven Widerstand gegeben

 29.03.2023

Medien

Die »taz«, Verkehrsminister Wissing und der Nazi-Vergleich

»Die Karikatur hätte so nicht erscheinen sollen, das tut uns leid«, schreibt die Zeitung auf Twitter

 29.03.2023