Interview

»Wir wollen die Katastrophe verhindern«

Dan Diker über die iranische Bedrohung, Juden an der Seite Israels und das deutsche Zögern

von Detlef David Kauschke  24.04.2012 18:17 Uhr

Dan Diker Foto: Marco Limberg

Dan Diker über die iranische Bedrohung, Juden an der Seite Israels und das deutsche Zögern

von Detlef David Kauschke  24.04.2012 18:17 Uhr

Herr Diker, der World Jewish Congress (WJC) hat seinen Sitz in New York. Sie sind seit zwei Jahren Generalsekretär der Organisation, haben Ihren Arbeitsschwerpunkt aber eher in Jerusalem. Warum?
Ich persönlich hatte das Gefühl, dass wir gerade jetzt, in einer Zeit, in der Israel in weiten Teilen der Welt ein großes Thema im negativen Sinne ist, gleichzeitig einen Sitz in Israel und New York brauchen. Denn Israel wurde in den vergangenen Jahren nicht nur als die Antwort auf Antisemitismus, sondern von vielen zunehmend als Ursache davon gesehen. Der Weltkongress vertrat deshalb die Auffassung, dass wir eine stärkere Präsenz in Israel als Heimat der meisten Juden auf der Welt bräuchten. Natürlich ist das Land auch unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, es hat eine besondere symbolische und geschichtliche Bedeutung für uns. Israel ist sozusagen die Verkörperung eines großen weltweiten jüdischen Projekts.

Hat sich durch diesen Aspekt die Zielsetzung Ihrer Arbeit verändert?
Sicherlich. Jahrzehntelang gab es die Neigung, einen Unterschied zu machen zwischen den »rechtmäßigen« Juden, die in Israel lebten, und den anderen in der restlichen Welt, die auch eine Art Repräsentanz benötigten. Ich glaube, dass das ein Fehler ist. Meiner Meinung nach gibt es keinen Unterschied zwischen einem Juden in Berlin und einem Juden in Jerusalem. Sie alle sind Juden, der eine hier, der andere dort. Gerade heute, in Anbetracht von zunehmendem Antisemitismus, der durch die groteske Isolation von Israel als imperialistischer, als Apartheid-Staat – und all die anderen absurden Vorwürfe – weiter vorangetrieben wird, mussten wir einen deutlichen Schritt dagegen unternehmen und das Land in den Kontext eines globalen jüdischen Projektes stellen. Die Kritiker Israels proklamieren für sich einen Unterschied zwischen Antisemitismus und dem – in einigen Fällen sicherlich berechtigten – Israelkritk. Wir aber sind der Meinung, dass in den meisten Fällen diese Israelkritik mit Antisemitismus einhergeht, dass es im Grunde genommen das Gleiche ist.

Welche Verbindung gibt es nach Deutschland?
Unser Ziel als führende weltweite politische Organisation der jüdischen Gemeinschaft ist es, eine Brücke zu schlagen zwischen dem jüdischen Staat und den Juden weltweit, sie jeden Tag ein Stück näher zusammenzubringen. Um das Verständnis eines Juden in Berlin, Hamburg oder München für einen Juden in Israel zu stärken. Und um eine gemeinsame Sprache zu finden untereinander, eine gemeinsame Botschaft, was Israel betrifft.

Ergibt sich aus dem Selbstverständnis einer politischen Organisation auch eine Art diplomatische Aufgabe?
Wir hatten das Gefühl, dass es uns nicht schwerfallen würde, ein Verständnis für Israel zu wecken. Weil das Land wirklich großartig in vielen Bereichen ist, jedoch nicht unbedingt in Bezug auf seine Selbstdarstellung. Wir haben eine gewisse Unabhängigkeit von Israel, empfinden aber eine große Liebe zum jüdischen Staat. Dies sind die besten Voraussetzungen, um in diplomatischen Kreisen etwas erreichen zu können. Wir treffen Minister, Diplomaten, Mitglieder von Thinktanks und Medienleute.

Was ist das Ziel dieser Treffen?
Unser Ziel muss es sein, die jüdische Welt zu einen, unsere Botschaft zu vereinheitlichen und für die Rechte des jüdischen Volkes einzutreten. Denn in den Nahost-Friedensverhandlungen der letzten 20 oder 25 Jahre sind die Rechte der Juden zunehmend in Vergessenheit geraten. Israels Legitimität wird immer mehr an die Bedingung geknüpft, dass ein palästinensischer Staat gegründet wird. Die Legitimierung des jüdischen Staates wird beinahe ausschließlich mit diesem einen Punkt in Verbindung gebracht. Sie steht umso mehr infrage, je unwahrscheinlicher die Konstituierung eines Palästinenserstaates ist. Das heißt, es gibt immer weniger eine a-priori-Legitimität für Israel. Das scheint inzwischen geradezu eine Tatsache, dieser Umstand begegnet uns überall, in Universitäten, in Arbeitsgemeinschaften, im kulturellen Milieu, in der Gesellschaft allgemein. Wir arbeiten daran, dass der Dialog über die Rechte der Palästinenser verbunden wird mit einem Dialog über die Rechte der Juden. Der WJC unterstützt die Rechte beider. Wir suchen jedoch ein Gleichgewicht von Rechten und Pflichten.

Sie waren kürzlich in Berlin. Hauptthema der Gespräche war dabei nicht der Palästinenserstaat, sondern die Bedrohung durch den Iran.
Wir wollten hier ein Alarmsignal aussenden. Das iranische Regime muss davon abgehalten werden, durch weitere Verhandlungen noch mehr Zeit zu gewinnen und das Nuklearprogramm weiter auszubauen. Die Iraner haben die internationale Gemeinschaft, die Weltöffentlichkeit hinters Licht geführt. Sie führen kaltblütig lächelnd Verhandlungen, und jedes Mal liest man am Tag danach in den Zeitungen, wie die Urananreicherung weiter zunimmt. Es muss unser Ziel sein, den Iran und sein Atomprogramm, das nicht nur Israel, sondern die gesamte westliche Welt bedroht, zu stoppen. Wir befinden uns in einem Wettlauf mit der Zeit. Dieses Nuklearprogramm wird entwickelt, davon sind wir überzeugt, um den jüdischen Staat und andere westliche Ziele anzugreifen. Die Kombination aus Potenzial und politischem Willen kann eine Katastrophe heraufbeschwören. Wir wollen verhindern, dass diese Katastrophe eintritt. Die jüdische Gemeinschaft, die einen Holocaust erlebt hat, hat geradezu die Verantwortung, das zu verhindern. Mahmud Ahmadinedschad leugnet diesen Holocaust, während er gleichzeitig einen neuen Holocaust, den nuklearen Holocaust, vorbereitet. Das ist inakzeptabel. Die gute Nachricht ist, dass es heute einen jüdischen Staat gibt. Dieser Staat hat die Möglichkeit, sich zu verteidigen gegen diesen Horror, gegen einen Diktator, der Israel und die Juden, Muslime und Christen, die dort leben, vernichten will.

Ist es für Deutsche leichter, mit einem schwachen als mit einem starken Israel zu leben, das sich gegen den Iran selbst verteidigen kann?
Wir haben tatsächlich einigen unserer Gesprächspartner diese provokative Frage gestellt. Denn in der Tat wurde deutlich, dass viele der Ansicht sind, Israel solle gar nichts gegen den Iran unternehmen. Abwarten, was passiert und auf diplomatische Verhandlungen setzen. Wir wissen, dass Diplomatie in den vergangenen zehn Jahren komplett gescheitert ist. Es gibt das Sprichwort vom Kind, das seinen Finger ins Feuer hält: Beim ersten Mal ist es verständlich, beim zweiten Mal ist es dumm. In der Tat wurde hier des Öfteren die Meinung vertreten, dass es keinen Sinn machen würde, wenn Israel jetzt militärisch eingreifen würde, weil das keinen Frieden mit dem Iran brächte. Ich habe dann die Frage gestellt, ob sich die Leute besser fühlten mit Juden, die tot, verletzt oder schwach seien als mit solchen, die Muskeln haben und sich selbst verteidigen könnten. Daraufhin war Schweigen im Raum für circa eine halbe Minute. Es ist eine unbequeme Frage, aber man muss sie stellen. Es ist die Frage nach dem psychologischen Profil, das man dem jüdischen Volk hier in Europa gibt. Hat Europa Schwierigkeiten mit dem Bild eines wehrhaften, selbstbewussten Juden, mit einem Staat im Rücken, der in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen? Auf diese Frage habe ich sehr unterschiedliche Reaktionen bekommen. Das war sehr lehrreich für mich.

Beobachten Sie die Neigung, dass Sie als Vertreter des WJC die israelische Politik verteidigen müssen?
Es ist in der Tat so, dass die Welt einen Anspruch an jeden Juden forciert, dass er eine automatische Zugehörigkeit zu Israel und dessen Politik empfindet. Nach außen hin werden wir immer als Teil dieser Politik gesehen und in die Verantwortung dafür genommen. Uns wird der Vorwurf gemacht, wir wären in irgendeiner Form voreingenommen. Dann ist es gut, wenn wir entgegnen, dass wir uns selbstverständlich in einer bestimmten Art Israel zugehörig fühlen. Wir unterstützen Israel, wir unterstützen die Israelis, wir unterstützen die Demokratie des Landes, wir unterstützen die Rechte von Minoritäten, von Muslimen und Christen, und wir fühlen die Verantwortung, dass das große globale jüdische Projekt Erfolg hat, als Weltbürger, als Bürger Deutschlands, als Bürger der Vereinigten Staaten. Natürlich empfinden wir eine tiefe Verbindung zur Geschichte und zum Schicksal des jüdischen Staates. Es ist völlig in Ordnung, dass wir von Israel beansprucht werden. Aber wir bestehen gleichzeitig auf unserer Unabhängigkeit. Nach Israel blicken als ein »sie«, auf sich selbst als ein »ich« und in der Gesamtheit auf ein »wir« als jüdische Gemeinschaft. Ein Satz, den Sie sicherlich kennen, ist: Ich bin ein Deutscher außerhalb der eigenen vier Wände und ein Jude innerhalb. Das ist etwas, womit wir einfach leben müssen.

Zurück zur iranischen Bedrohung. Wie sollte sich die deutsche Regierung gegenüber Teheran verhalten?
Wir sind dabei, Deutschland davon zu überzeugen, dass der Druck auf den Iran erhöht werden muss, insbesondere durch strenge Sanktionen. Die Iraner dürfen nicht wieder versuchen, klaren Verhandlungen und Beschlüssen zu entkommen, die ihnen als Entschuldigung dienen, ihr Nuklearprogramm weiter zu verfolgen und schließlich zu vollenden.

Glauben Sie, dass Sanktionen zum Erfolg führen?
Diese Runde wirtschaftlicher Sanktionen ist viel schärfer als die vorangegangenen. Wir haben nun auch die Zustimmung der Europäischen Union. Bankentransfers nach Iran werden gestoppt, die Währung ist um mehr als 50 Prozent eingebrochen. Die Beschlüsse tun bereits ihre Wirkung, was Inflation und Wirtschaft insgesamt betrifft. Sanktionen müssen schmerzhaft sein, leider auch dann, wenn sie sowohl Geschäftsleute als auch die Mittelklasse und den durchschnittlichen Iraner betreffen, was selbstverständlich niemand möchte. Die Maßnahmen gipfeln am 1. Juli in dem Verbot, weiterhin Öl vom Iran zu beziehen. Das wird die Wirtschaft massiv beeinträchtigen. Die beste Strategie gegenüber Irans Regime ist, nicht zu reden, sondern zu handeln. So, wie es Teheran tut. Wir müssen das noch lernen.

Mit dem WJC-Generalsekretär sprach Detlef David Kauschke.

Dan Diker ist in New York/USA geboren. Der Außenpolitikexperte war viele Jahre als Analyst und Kommentator für verschiedene Medien tätig. Von 2006 bis 2010 leitete er als Direktor das Institute for Contemporary Affairs am Jerusalem Center for Public Affairs. Seit 2011 ist er Generalsekretär des World Jewish Congress (WJC).

Umfrage

Studie: Für die meisten muslimischen Schüler ist der Koran wichtiger als deutsche Gesetze

Fast die Hälfte der Befragten will einen islamischen Gottesstaat

 22.04.2024

Vereinte Nationen

»Whitewash«: UNRWA-Prüfbericht vorgelegt

Eine Untersuchung sollte die schweren Vorwürfe gegen das UN-Hilfswerk aufklären - vorab sickerten erste Details durch

von Michael Thaidigsmann  22.04.2024

Berlin

Ausstellung will Leben in Geiselhaft simulieren

In der Fasanenstraße werden in einem Container die Bedingungen der Geiseln in Gaza simuliert

von Pascal Beck  22.04.2024

Rechtsextremismus

»Höckes Sprachgebrauch ist ein klarer Angriff - und erfolgreich«

Der Soziologe Andreas Kemper zu Strategien des AfD-Politikers

von Nils Sandrisser  22.04.2024

Frankreich

Französischer Bürgermeister zeigt Hitlergruß - Rücktrittsforderungen

Die Präfektur Val-de-Marne will die Justiz einschalten

 22.04.2024

Meinung

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Fall Samir

Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Österreich

Vier Deutsche nach Gedenkbesuch bei Hitlers Geburtshaus angezeigt

Die Verdächtigen waren nach Braunau gefahren, um dort weiße Rosen niederzulegen

 22.04.2024

Berlin

Große KZ-Gedenkstätten gegen Schüler-Pflichtbesuche

Die Unionsfraktion hatte sich dafür ausgesprochen

 22.04.2024

Meinung

Erinnert euch an Ägypten

Nur eine Handvoll Mitglieder zählen die Gemeinden in Kairo und Alexandria heute. Jedoch haben die wenigsten Juden ihre Heimat aus religiöser Sehnsucht verlassen – sie wurden gewaltvoll vertrieben

von Mascha Malburg  22.04.2024