Bayern

»Wir brauchen eine klare Haltung«

Zentralratspräsident Josef Schuster Foto: imago images / epd

Als ich vor einem Jahr die große Freude hatte, Ehrenbürger von Würzburg zu werden, sprach ich davon, dass mich die »Süddeutsche Zeitung« einmal als Nesthocker titulierte, da ich doch mein ganzes akademisches und berufliches Leben hier verbracht hatte. Jetzt auch noch eine Ehrendoktorwürde meiner Alma Mater hier in Würzburg zu erhalten, fühlt sich wie eine ganz neue Eskalationsstufe dieser »Nesthockerei« an.

Erlauben Sie mir, dass ich heute mit einigen Worte des Dankes beginne.
Zunächst darf ich der katholisch-theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und ihrem Dekan, Herrn Professor Dr. Remenyi, danken. Ich muss sagen, dass mich diese Ehrung durchaus bewegt. Ich glaube nicht, dass meine Eltern sel. A. - bei allem Enthusiasmus, den jüdische Eltern dem Potenzial ihrer Kinder entgegenbringen - eine Promotion in katholischer Theologie in meiner Zukunft gesehen haben.

Ich danke auch meiner Familie. Und ich danke Ihnen allen, die Sie heute Abend nach Würzburg gekommen sind, manche auch von weiter her. Viele von Ihnen sind langjährige Weggefährten, denen ich schon seit Jahren verbunden bin. Keine der Verdienste, die mir in der Ehrung nachgesagt werden, wären ohne viele der hier versammelten Menschen möglich gewesen. Manche von ihnen hatten guten Rat, manche hatten ehrlichen Rat, manche sogar beides.

Familie und Freunde, guter und ehrlicher Rat, und auch die Verbindung zu meiner Heimat, sind mir wichtig.

Grenzen der Belastbarkeit

All das gibt mir auch Zuversicht in politisch und gesellschaftlich bewegten Zeiten. Zeiten, die für Jüdinnen und Juden auch in Deutschland nicht leicht sind und für Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zum Teil an die Grenzen der mentalen und emotionalen Belastbarkeit gehen. Genau in diesen Momenten ist es dieser Hafen an Vertrautheit, der mir dabei hilft, für meine Überzeugungen und für die Interessen der jüdischen Gemeinschaft einzutreten.

Das Scheitern der Ampel-Koalition mahnt uns, dass wir eine politische Kultur brauchen, die nicht nur in abgeschlossenen Echoräumen stattfindet. Dabei gilt es für alle politischen Kräfte, auch verbal abzurüsten. Das wird gerade in dem uns nun bevorstehenden Wahlkampf wichtig sein. In der Demokratie gibt es keine ideologischen Abkürzungen. Geben wir dieser Vereinfachung nach, wird sich unser gesellschaftliches Miteinander zu einem ideellen und materiellen Wettkampf einzelner Gruppen entwickeln.

Dies zu verhindern, wird die Aufgabe einer neuen Bundesregierung sein. Und nicht nur das: Sie wird die gesellschaftspolitischen Debatten in Deutschland auch führen müssen, die in vielen Fällen wie festgefahren wirken. Jüdinnen und Juden sind darauf in diesen Zeiten mehr denn je angewiesen.

Der 7. Oktober 2023 hat eine Entwicklung massiv beschleunigt, die sich bereits abgezeichnet hat. Jüdinnen und Juden in Deutschland sind bedroht. Es hat sich eine Querfront von links bis rechts, von einem muslimisch-islamistischen Milieu bis in die Mitte der Gesellschaft gebildet, die die Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens der Gegenwart sowie unserer Erinnerungskultur infrage stellt.

Klare Haltung

Wir dürfen das in Deutschland nicht einfach hinnehmen. Wir brauchen eine klare Haltung. Judenhass, Geschichtsvergessenheit und Israelfeindlichkeit dürfen niemals zur Normalität unserer Gesellschaft werden.

Ich möchte an einem solchen Tag diesen Gedanken nicht in die Länge ziehen, sondern viel eher darüber sprechen, was wir dazu beitragen können, dass wir alle in diesem Land wieder etwas mehr auf uns achten.
Religionen, religiöse Traditionen und manchmal auch der Blick auf das, wozu Religion imstande ist, können eine Menge zur geistigen Stabilität auch säkularer Gesellschaften beitragen.

Schauen wir doch auf das, was unmittelbar vor uns liegt: Sie wissen alle, welches Fest wir in fünf Wochen begehen? Richtig: Chanukka. An Chanukka feiern wir, dass entgegen einer unmöglich erscheinenden Realität, nämlich der Besatzung Israels und des Tempels in Jerusalem, durch das übermächtige Seleukidenreich, der Tempel doch noch wieder geweiht werden konnte. Es ist ein Fest der Hoffnung.

So war es ebenjener Tempel, in dem circa 200 Jahre später der Sohn eines Zimmermanns den Geldwechslern dort einen schwierigen Tag bereitete. Die Anfänge des Christentums waren die Blütezeit des Judentums. Was allerdings darauf folgte, war oftmals alles andere als ein Brüderliches auskommen. Die Liebe für den Nächsten, die jener Zimmermannssohn nicht müde wurde zu predigen, war bei Katholiken und dann auch bei Protestanten, oftmals nur für den Nächsten gedacht, der so glaubte wie sie selbst.

Hoffnungslose Lage

Über Jahrhunderte wurden Juden bedroht. Wer nicht konvertierte, wurde verfolgt. Es wurde gegen die vermeintlichen Mörder Jesu gepredigt, zu Kreuze gezogen, oder gar gewalttätig hergefallen. Lügen über Brunnenvergiftungen, das Entführen von Kindern, Hostienschändung oder Ritualmordes wurde in Kirchen immer wieder verbreitet. Sogar hier in Franken, wo jüdisches Leben erstaunlich gut florierte, waren Jüdinnen und Juden nicht vor Pogromen ihrer christlichen Nachbarn sicher.

Auch in den Neunzehnhundertdreißigerjahren, vor und nach der Machtübernahme Hitlers, gab es zu viele Christen, welche dem religionsfeindlichen Fanatismus der Nationalsozialisten immerhin abgewinnen konnten, dass die Nazis wenigstens etwas gegen die Juden täten. Die Lage schien hoffnungslos für Juden, eine Aussöhnung unmöglich.

Und so grenzte es an ein wahres Wunder, dass am 26. Oktober 1965, zwanzig Jahre nach dem Menschheitsverbrechen der Schoa, das zweite Vatikanischen Konzil mit einer Mehrheit von 96 Prozent die Erklärung »Nostra Aetate« verabschiedete. Benannt nach ihren Lateinischen Anfangsworten, welche übersetzt »in unserer Zeit« bedeuten, beschrieb das Dokument die Haltung der Katholischen Kirche, zu den nicht-christlichen Religionen, insbesondere zu der des Judentums. Die Worte, welche zwei Tage später von Papst Paul VI. promulgiert wurden, waren wahrlich »Metanoia« – ein Umdenken.

So stellte es das erste Dokument dar, in dem sich ein ökumenisches Konzil ausdrücklich positiv über die Beziehung der Katholischen Kirche mit dem Judentum äußerte. Nostra Aetate war ein wichtiger Schritt eines Prozesses, den der Theologe Jan-Heiner Tück als die »Theologie nach Auschwitz«, bezeichnete. So wurde der traditionellen Sicht einer heilsgeschichtlichen Beerbung des Judentums durch die Katholische Kirche, eine Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln des Christentums gegenübergestellt.

Bevorzugte Brüder

Dieser Rückbesinnung war intensiver Austausch zwischen Rom und Jerusalem vorausgegangen. Wie so häufig, waren es die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den Geistlichkeiten, die wohl mehr als die halbe Strecke des Weges bestritten. Man baute jene Vorurteile, jene theologischen Mauern ab, die so lange standen.

Im Bewusstsein dessen, welchen Schrecken eine g’ttlose Ideologie hervorbringen kann, besann man sich auf das gemeinsame geistliche Erbe. So sagte Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch der römischen Synagoge im Jahr 1986: »Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas Äußerliches, sondern gehört in gewisser Weise zum Inneren unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder – unsere älteren Brüder.«

Es kam also zu einer neuen internen Einordnung des katholischen Selbstverständnisses, sowie dem Verständnis was Verwandtschaft mit dem Judentum anging. Bei aller Demut: Wenn mir die heutige Würdigung aufgrund meines Beitrags zum interreligiösen Dialog zwischen Juden und Christen zuteil wird, so ist dies doch nur möglich gewesen, weil es diese Einordnung gab.

Die Introspektion, die Fähigkeit sich selbst kritisch zu hinterfragen, ist eines der wichtigsten Instrumente, die wir haben. Es muss das ganze Ziel eines Menschen sein, der von G’tt mit freiem Willen geschaffen wurde, eben jenen freien Willen auch dann einzusetzen, wenn er zur Selbstkritik und somit zur Selbstverbesserung führt. Dies ist die Quintessenz dessen, was einen Dialog ausmacht, auch und gerade den Interreligiösen.

Neue Ideen

Dialog lebt davon, dass man nicht nur den anderen kritisch hinterfragt, sondern eben auch sich selbst hinterfragen lässt, und Raum zur Veränderung gibt. Irren ist menschlich. Religion ist menschlich. Und eine falsche Idee ist nicht einfach deshalb richtig, weil es eine alte Idee ist. Manchmal brauch es eben dringend neue Ideen.

Und so hoffnungslos uns auch unsere jetzige Zeit erscheinen mag, so gibt es eben doch jene Momente, die uns hoffnungsfroh stimmen sollten. Wenn es der katholischen Kirche vor bald 60 Jahren gelungen ist, sich auf jenen Pfad zu besinnen, welcher von Judenhass zur Gemeinsamkeit führte, so ist ebensolches hoffentlich auch zwischen dem Islam und dem Judentum möglich. Auch wenn dies im Moment, in Anbetracht der Lage hier und in Israel völlig unmöglich erscheinen mag.

So verbinde ich diese Ehrung, für die ich mich nochmals bedanken möchte, mit dem Wunsch, alsbald auch über den Konflikt im Nahen Osten in der Vergangenheitsform berichten zu können. Und das nicht irgendwann, sondern »Nostra Aetate«- »In unserer Zeit«.

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