Meinung

Wenn Zorn blind macht

Sie schimpfen. Sie wüten. Sie fordern. Weil sie enttäuscht sind. Weil sie glauben, Missstände aufgedeckt zu haben. Weil sie sich auf der richtigen Seite wähnen. Sie wollen, dass sich etwas ändert. Sie wollen die Menschen aufrütteln. Dazu bedienen sie sich der Kraft des Wortes. Ihre Mission findet Platz zwischen zwei Buchdeckeln. Kampfansagen, die den Nerv der Zeit zu treffen scheinen und hunderttausendfachen Zuspruch erhalten. Damit enden allerdings die Gemeinsamkeiten des Deutschen Thilo Sarrazin und des Franzosen Stéphane Hessel. Denn ihre Streitschriften unterscheiden sich von Grund auf. Der eine glaubt, dass seine Heimat sich selbst abschafft. Weil sie partout nicht die dramatischen Folgen der muslimischen Migration – Deutschland wird dümmer! – zur Kenntnis nehmen will. Sarrazin spaltet die Bürgergemeinschaft in Nützliche und Unnütze, in Produktive und Unproduktive, in Dazugehörige und Fremdkörper. Ein Sozialdarwinist.

Empört Euch! Der andere setzt dagegen auf Engagement, Teilhabe, gesellschaftliches Mit- und Füreinander. Hessel, der jüdische Sozialist, reibt sich an den großen Verwerfungen dieser Welt: die Auswüchse des Kapitalismus, der immer tiefer werdende Graben zwischen Arm und Reich, Umweltzerstörung und Unterdrückung von Minderheiten. Der einstige Diplomat huldigt der Menschlichkeit, die er in Gefahr sieht. Deshalb ruft er vor allem der Jugend so herzerfrischend altmodisch zu: Empört Euch! Eine Million Exemplare seines gleichnamigen Pamphlets sind über französische Ladentische gegangen. Jetzt hat der Ullstein-Verlag das kaum zwanzig Seiten umfassende Werk auf Deutsch herausgebracht. Für 3,95 Euro kann man Hessels »J’accuse« erwerben und nachlesen, was es heißt, wenn einer seinen Prinzipien treu bleibt – über 93 Jahre hinweg.

Doch bei aller Sympathie für Hessels Appell zum gewaltfreien Widerstand – der Zorn hat ihn auch blind und maßlos gemacht. Anders ist es kaum zu erklären, warum er glaubt, alles Unrecht dieser Welt gerade an der israelischen Besatzung festmachen zu können. Als ob es keinen anderen Konflikt auf Erden gäbe! Nun hat zwar jeder das Recht, sich der palästinensischen Sache anzunehmen. Aber Hessel tut es mit dem Schleier des einstigen Kämpfers gegen den Kolonialismus vor Augen. Seine Dritte-Welt-Romantik macht aus Hamas-Mördern Sympathieträger, die mit Raketen nur ihrer Verzweiflung Ausdruck geben. Terrorismus sei zwar inakzeptabel, schreibt Hessel, um dann zu relativieren: »Aber ist es wirklich realistisch zu erwarten, dass ein mit unendlich überlegenen militärischen Mitteln besetzt gehaltenes Volk gewaltlos reagiert?« Hessels Credo lautet: Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen. Klingt gut. Aber wenn es um den Nahen Osten geht, wird der alte zornige Mann seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Schade.

Zeitz

Fast 18.000 Euro Spenden nach Diebstahl von Stolpersteinen

Laut Burgenlandkreis kommen fast stündlich neue Spenden hinzu

 11.10.2024

Carlo Masala

»Der Iran hat ein Problem«

Der Professor für Internationale Politik über den zweiten Angriff des Mullah-Regimes auf Israel, was anders war als im April und wie Jerusalem reagieren sollte

von Sophie Albers Ben Chamo  11.10.2024

Berlin

Schulen sollen weiter an den Holocaust erinnern

Schulen müssten sich vertieft mit Antisemitismus auseinandersetzen, sagen die Bildungsminister

 11.10.2024

Auszeichnung

Friedensnobelpreis für die UNRWA?

Das Nobelkomitee gibt die Preisträger des Friedensnobelpreises bekannt

 10.10.2024

Ermittlungen

Islamistischer Tiktok-Star unter Betrugsverdacht

Ein islamistischer Tiktok-Star mit Hunderttausenden Followern ist in Düsseldorf verhaftet worden. Er warb Spenden etwa für notleidende Kinder ein - den Löwenanteil soll er für sich behalten haben

von Frank Christiansen  10.10.2024

Berlin

Solidarität mit Israel: Ja, aber

Bundestagsdebatte zum Jahrestag des terroristischen Überfalls auf den jüdischen Staat. Streit um Waffenlieferungen

von Detlef David Kauschke  10.10.2024

Berlin

Konfrontation statt Kuscheln

AfD und BSW: Wie ähnlich sind sich die beiden Parteien? Eine Live-Debatte zwischen Alice Weidel und Sahra Wagenknecht beim Sender Welt TV wird hitzig

von Jörg Ratzsch  10.10.2024 Aktualisiert

Hessen

Michel Friedman rechnet mit der AfD ab

»Oskar Schindler würde Sie verachten!«, stellt der Publizist mit Blick auf die rechtsextreme Partei klar

 10.10.2024

7. Oktober

»Hier und überall«

Axel Springer, die israelische Botschaft und der Zentralrat luden zu einem Solidaritätskonzert für die Geiseln

von Imanuel Marcus  10.10.2024