Studie

Wachsender Antisemitismus auch in progressiven Milieus

Verhülltes Werk »People’s Justice« des Künstlerkollektivs Taring Padi auf der documenta in Kassel Foto: picture alliance/dpa

Die Berliner Amadeu Antonio Stiftung zeichnet in ihrem neuen »Zivilgesellschaftlichen Lagebild Antisemitismus« ein düsteres Bild. Antisemitismus gewinne in vielen gesellschaftlichen Bereichen in Deutschland neuen Aufschwung, ob im Kontext der Pandemie, der Kunstschau documenta, dem Krieg in der Ukraine oder bei der aktuellen Energiekrise, heißt es in der am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Analyse. »Antisemitismus ist in Deutschland ein Renner und Brückenschlag über alle Klassen und Milieus hinweg«, warnte Stiftungsvorstand Tahera Ameer.

Ameer sprach von einem Zustand, der schon lange nicht mehr tragbar sei. Die Grenzen des Sagbaren hätten sich längst verschoben. Dass jüdische Perspektiven ignoriert und Antisemitismus-Vorwürfe pauschal abgewehrt werden, passiere dabei zunehmend auch in progressiven und linken Milieus, wie unter anderem der Umgang mit antisemitischen Werken auf der diesjährigen documenta gezeigt habe.

sorgen Mit der Kunstschau seien Sachverhalte zur Debatte gestellt worden, die nicht zur Debatte stehen dürften. »Was Antisemitismus ist, wird grundsätzlich neu ausgehandelt«, warnte sie. Die Sorgen und Warnungen von Jüdinnen und Juden würden nach wie vor systematisch ignoriert und israelbezogenem Antisemitismus öffentlichkeitswirksam die Bühne bereitet.

Ameer verwies auf den Angriff auf eine Synagoge in Hannover, wo während eines Gottesdiensts am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur am Mittwoch eine Scheibe eingeworfen wurde. »Wir haben es tatsächlich mit einer absoluten Eskalation mal wieder zu tun«, sagte Ameer.

israel »Wir müssen uns ganz offensichtlich viel mehr damit beschäftigen, was Antisemitismus ist«, sagte Nikolas Lelle. So sei es falsch zu behaupten, Hass auf Israel habe nichts mit Hass auf Juden zu tun. Dies diene dazu, Antisemitismusvorwürfe abzuwehren.

Lelle, der bei der Stiftung die Aktionswochen gegen Antisemitismus leitet, fügte hinzu: »Deutschland hat ganz offensichtlich keinen guten Umgang mit Antisemitismus. Irgendwo zwischen Abwehr, Einfallslosigkeit und Überforderung haben sich die Reaktionen in den letzten Wochen eingependelt. Zugespitzt kann man sagen, Antisemitismus wird inzwischen in Deutschland eine Bühne bereitet.«

»strippenzieher« Lelle nannte in dem Lagebild fünf Punkte. Zum einen brächten Verschwörungsideologen judenfeindliche Erzählmuster in die gesellschaftliche Debatte ein. Juden wie der Investor George Soros würden in Krisen als angebliche Strippenzieher benannt. Zum anderen würden Israelhass und Judenhass künstlich getrennt nach dem Muster »guter« und »schlechter« Antisemitismus.

Dritter Punkt sei die Ignoranz gegenüber jüdischen Bedenken, fügte der Experte hinzu und nannte die Warnungen unter anderem des Zentralrats der Juden vor Darstellungen bei der documenta oder auch vor der Abbildung der sogenannten Judensau in Wittenberg. Die Botschaft sei: »Juden zählen nicht«, sagte Lelle. Er nannte zwei weitere Punkte: Es werde argumentiert, die deutsche Erinnerungskultur verneble den Blick auf Israel. Und israelfeindliche Akteure wie die Boykottbewegung BDS gewännen Einfluss.

Auch jenseits der Debatte um die documenta beobachte die Stiftung eine irritierende Glorifizierung des Terrors gegen Israel hierzulande. Rassismus und Antisemitismus würden immer öfter in öffentlichkeitswirksamen Debatten gegeneinander ausgespielt. epd/dpa

AfD

Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Björn Höcke

Der Hintergrund ist bezeichnend

 05.06.2023

USA

»Israel Parade« in New York: Solidarität und Kritik

Mehr als 40.000 Teilnehmer zeigten auf der Fifth Avenue ihre Verbundenheit mit dem jüdischen Staat

 05.06.2023

Parteien

Rechtsextreme NPD benennt sich um in »Die Heimat«

Die Heimat-Partei soll den »Widerstand« gegen die Politik der »Etablierten«, wie es hieß, besser vernetzen

 04.06.2023

Fußball

Trotz Vorwürfen: Marciniak leitet Finale

Seine Teilnahme an einer Veranstaltung mit judenfeindlichem Hintergrund war kritisiert worden. Nun zeigt er Reue

von Doris Heimann  04.06.2023

Plön

Umstrittenes Urteil

Der Mediziner Sucharit Bhakdi wurde vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen – viele finden, zu Unrecht

von Michael Thaidigsmann  02.06.2023

Geschichte

Jenseits der Legende

Vor 50 Jahren besuchte Willy Brandt als erster deutscher Bundeskanzler den Staat Israel. Fakten zu einem Jubiläum

von Michael Wolffsohn  02.06.2023

Einspruch

Niemand muss klatschen

Noam Petri hält den Protest junger Juden gegen Claudia Roth auf der Jewrovision für legitim

von Noam Petri  02.06.2023

Erinnerung

»Vorbehalte überwinden«

Rainer Bonhof über einen Besuch in Bergen-Belsen und die Rolle des Sports beim Schoa-Gedenken

von Michael Thaidigsmann  02.06.2023

Bundeswehr

Zweiter Rabbiner verbeamtet

Shmuel Havlin wird in der Hamburger Außenstelle des Militärrabbinats tätig sein

 02.06.2023 Aktualisiert