Meinung

Versöhnt mit der SS?

Christoph Heubner Foto: dpa

Viele Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager kennen den Mechanismus: Sprechen sie über ihre Erfahrungen in den Lagern, wächst bei ihren deutschen Gesprächspartnern spürbar der Drang, das eigene Leid während des Krieges dagegenzusetzen. »Wir haben auch gelitten. Aber davon spricht ja keiner.«

Diese Sätze sind in der deutschen Diskussion mittlerweile immer öfter zu hören, auch von jüngeren Menschen. Oft sind sie verbunden mit dem unausgesprochenen Vorwurf, man habe allzu lange über das eigene Leid nicht sprechen dürfen, weil die Überlebenden und die übrige Welt dies hätten verhindern wollen. Irgendwann aber müsse doch mal Schluss damit sein, dass ausschließlich die Naziopfer diese Debatte bestimmten und ihre Sicht darauf den Deutschen diktieren könnten.

täter Der Gedanke, dass der deutsche Staat und die Deutschen die Täter waren, scheint langsam zu verschwinden – zugunsten einer Geschichtsschreibung, nach der alle irgendwie Opfer waren. Die Täter, das waren andere, und das war gestern.

In dieses Klima passt der Entschluss, den gleich mehrere Staatsanwaltschaften in diesen Tagen gefasst haben, elf Verfahren gegen mutmaßliche Wachleute des Vernichtungslagers Auschwitz einzustellen. Wenn Opferverbände das kritisieren, dann entsteht schnell wieder Bild des nach Rache dürstenden Überlebenden, der nicht einmal vor schwachen Greisen haltmache. Es offenbart sich einmal mehr die von Jean Améry, Auschwitz-Häftling Nr. 172364, beschriebene »faule, gedankenlose und grundfalsche Versöhnlichkeit«, die sich jenseits der Fakten eingerichtet hat.

verantwortung Bleiben wir bei den Fakten: 8200 SS-Leute waren in deutschen KZs »beschäftigt«. Bis Mai 2014 wurden von diesen Mittätern in den Mordfabriken, die der deutsche Staat unterhielt, nicht einmal 50 vor deutsche Gerichte gestellt. Sie haben ihr ganzes Leben in Ruhe verbringen können, sozial integriert und mittlerweile mit auskömmlicher Rente, ohne dass ihnen die Gesellschaft auf die Pelle gerückt wäre und sie aufgefordert hätte, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen.

Das Bedürfnis, die Täter vor Gericht zu sehen, hält sich in engen deutschen Grenzen: Sie waren und sind ja welche von uns, denkt man. Enden wir noch einmal mit Jean Améry, der für die Überlebenden den bitteren Satz formuliert hat: »Wir müssen und werden bald fertig sein. Bis es so weit ist, bitten wir die durch Nachträgerei in ihrer Ruhe Gestörten um Geduld.«

Der Autor ist Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees.

Meinung

Die AfD schreckt vor nichts mehr zurück

Im Bundestag bagatellisiert die AfD sogar den Völkermord an bosnischen Muslimen 1995, um gegen Muslime in Deutschland zu hetzen

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025

Berlin

AfD-Eklat im Bundestag bei Debatte über Völkermord

Der Bundestag unterbricht seine Haushaltsberatungen für eine Diskussion zum Gedenken an das Kriegsverbrechen in Srebrenica vor 30 Jahren. Bei AfD-Reden kommt es zum Skandal

 11.07.2025

Justiz

Berufung wegen antisemitischer Inhalte auf X zurückgewiesen

Das Landgericht hatte die Klage im Juni 2024 mit Verweis auf fehlende internationale Zuständigkeit abgewiesen

 11.07.2025

Ravensbrück

Familie von KZ-Überlebender erhält Ring zurück

Im Frühjahr war es demnach einer Freiwilligen gelungen, die Familie von Halina Kucharczyk ausfindig zu machen

 11.07.2025

Thüringen

Voigt für deutsch-israelisches Jugendwerk in Weimar

Er führe dazu Gespräche mit israelischen Partnern, die bereits Interesse an einer Ansiedlung in Thüringen signalisiert hätten

 11.07.2025

Washington D.C.

US-Behörde wartet auf Daten zu attackierten Iran-Atomanlagen

In welche Tiefen drangen die bunkerbrechenden Bomben in die iranischen Atomanlagen vor? Die für die Entwicklung der Bomben zuständige Behörde hat darauf noch keine Antwort

 11.07.2025

Sarajevo/Berlin

Rabbiner: Srebrenica-Gedenken in Deutschland besonders wichtig

8.000 Tote und eine Wunde, die nicht verheilt: Heute gedenkt die Welt der Opfer des Massakers von Srebrenica. Das liberale Judentum sieht eine gemeinsame Verantwortung - auch bei der deutschen Erinnerungskultur

 11.07.2025

Brüssel

EU baut Drohkulisse gegen Israel auf

Die EU will Israel zu einer besseren humanitären Versorgung der Menschen in Gaza drängen - und präsentiert das Inventar ihrer Daumenschrauben

 11.07.2025

Berlin

Mehr Verfahren wegen Antisemitismus eingeleitet

Die Berliner Staatsanwaltschaft bearbeitet Hunderte Fälle mit antisemitischem Hintergrund

 11.07.2025