Militär

Verkehrte Welt

Die gute Nachricht: Deutschland hat erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie. Die Bundesregierung will sich künftig ressortübergreifend besser vernetzen und sich ernsthafte Gedanken machen, wie die innere und äußere Sicherheit des Landes angesichts mannigfaltiger Bedrohungen gewahrt werden kann.

Die schlechte Nachricht: Trotz der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen »Zeitenwende« bleibt das vorgelegte Strategiepapier weit hinter den Erwartungen zurück. Eine Bestandsaufnahme, eine klar definierte Aufgaben- und Lastenteilung, enthält es nicht. Deutschland hat offenbar noch keine Antwort gefunden, um seinen außen- und sicherheitspolitischen Werkzeugkasten an die neuen Realitäten anzupassen. Das ist jammerschade.

wille Ein Nationaler Sicherheitsrat, wie ihn Staaten wie die USA, Frankreich oder auch Israel längst haben, wäre das richtige Instrument gewesen. Doch in Berlin fehlte dafür der politische Wille. Mutlos ist man auch in Sachen Finanzierung der Sicherheit. Das schon vor vielen Jahren ausgegebene, verbindliche Ziel der NATO, jährlich zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung und Sicherheit auszugeben, wird längst nicht erreicht.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen sollte sich der Wehretat wieder an der Bedrohungslage zu Zeiten des Kalten Krieges orientieren.

Dabei müsste jedem klar sein: Angesichts der aktuellen Herausforderungen sollte sich der Wehretat wieder an der Bedrohungslage zu Zeiten des Kalten Krieges orientieren. Zwischen 1960 und 1980 lagen die deutschen Verteidigungsausgaben zwischen drei bis fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Die Zeitenwende erfordert es zudem, dass wir neue Sicherheitspartnerschaften eingehen. Immerhin, das scheint die Bundesregierung erkannt zu haben: Israel ist ein natürlicher Partner. Allerdings wird dieser Partner in der Nationalen Sicherheitsstrategie wenig und wenn, dann mit irritierenden Formulierungen bedacht. Das Papier fällt hinter die klaren Aussagen in der Koalitionsvereinbarung der Ampelregierung zurück.

floskel So heißt es in einer der vielen Floskeln, Deutschland bekenne sich zur »Verantwortung für das Existenzrecht Israels«. Was heißt das nun? Ist Deutschland nur dann solidarisch, wenn es um die nackte Existenz des Staates Israel geht? Und wurde diese Frage nicht schon vor 75 Jahren abschließend geklärt? Im Bekenntnis zum Existenzrecht eines schon existierenden Staates stecke immer die Denkmöglichkeit seiner Infragestellung, kritisierte Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Zu Recht.

Wir brauchen Israel, sein Know-how, seine Technologie.

Es ist mittlerweile fast eine verkehrte Welt. Spöttisch könnte man sagen, dass sich der Eindruck verfestigt, Deutschlands Sicherheit sei inzwischen für Israel Staatsräson und nicht umgekehrt. Nach der Heron-Drohne wird Israel wohl auch das hochmoderne Arrow-3-Raketenabwehrsys­tem an die Bundeswehr verkaufen. Es wird in den nächsten Jahren eine wichtige Komponente des deutschen Raketenabwehrschirms sein, der zum Schutz der Bevölkerung vor möglichen Angriffen eingerichtet wird. Zum Schutz der deutschen Bevölkerung, wohlgemerkt.

Diese Rolle Israels, dieser praktische Ausdruck von Partnerschaft, ja Freundschaft unserer Länder hätte eine gebührende Erwähnung in der Nationalen Sicherheitsstrategie verdient. Die Realität sieht nämlich so aus: Wir brauchen Israel, sein Know-how, seine Technologie im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Wir brauchen auch seinen Erfahrungsschatz beim Umgang mit ganz realen Bedrohungen wie denen durch die Hisbollah und den Iran.

existenzrecht Vielleicht braucht die Bundeswehr Israel momentan sogar mehr, als Israel die Bundeswehr braucht. Was Israel aber nicht braucht, sind hehre Zusicherungen, dass wir sein staatliches Existenzrecht akzeptieren. Solcher Unsinn ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht.

Arrow 3, Heron-Drohne, Kauf deutscher U-Boote durch Israel, gemeinsame Manöver der Luftwaffen: Das ist die praktische, die sichtbare Dimension der Sicherheitspartnerschaft, und die ist noch ausbaufähig. Der Rest sind belanglose Phrasen ohne praktische Bedeutung.

Als Deutsche sollten wir auch über den Tellerrand hinaus denken.

Als Deutsche sollten wir auch über den Tellerrand hinaus denken. Es gilt, Europas rüstungspolitische Kleinstaaterei mit mehr als 100 unterschiedlichen Waffensystemen zu überwinden. Warum denken wir dabei nicht auch an gemeinsame europäisch-israelische Rüstungsprojekte? Gut, wahrscheinlich sind in einigen EU-Mitgliedsstaaten die Scheuklappen noch zu groß. Vielen geht es eher darum, der Netanjahu-Regierung eins auszuwischen, als mit dem israelischen Militär zu kooperieren. Unserer Sicherheit dient das aber nicht.

rüstung Was können wir noch von Israel lernen? Einen wichtigen Punkt: Es geht nicht nur um Rüstung, um Technologie, um die Abwehr von Cyberattacken. Es geht auch darum, die Notwendigkeit für einen wehrhaften Staat neu zu entdecken. Die allgemeine Wehrpflicht trägt in Israel wesentlich zum Zusammenhalt in der Gesellschaft bei, macht diese resilienter. Auch das sollte Deutschland als Beispiel dienen.

Wie von der Wehrbeauftragten Eva Högl angeregt, sollten wir ohne ideologische Begrenzungen darüber nachdenken, mit einem gesellschaftlichen Jahr eine bessere Wehrhaftigkeit zu erreichen. Den Zusammenhalt, den das hervorbringen würde, brauchen wir dringend. Denn wie kann man eine Gesellschaft verteidigen, wenn man sie selbst nicht versteht?

Der Autor war langjähriger Kommunikationschef der Münchner Sicherheitskonferenz und führt heute die Strategieberatung COMMVISORY.

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