Zentralratspräsident Josef Schuster
Letztes Jahr im August gab es ein Ereignis, das mich persönlich sehr berührt hat. Kampfflugzeuge der israelischen Armee und der Bundeswehr flogen gemeinsam an der Gedenkstätte des KZ Dachau vorbei. Es ist das KZ, in dem mein Vater und mein Großvater 1937 inhaftiert wurden. 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzten die Armeen von Deutschland und Israel ausgerechnet an diesem Ort dieses besondere Zeichen der Versöhnung. Das war nur möglich, weil zwischen beiden Ländern eine enge Verbindung entstanden ist und weil die Bundeswehr die Armee einer Demokratie ist und mit der Wehrmacht nichts gemein hat.
Und nur deshalb ist möglich, was wir heute feiern: Wir führen Zsolt Balla als ersten Militärbundesrabbiner in sein Amt ein. Und weitere Militärrabbiner werden ihren Dienst in der Bundeswehr aufnehmen. Das schien über Jahrzehnte undenkbar und ist auch jetzt alles andere als selbstverständlich. Daher haben wir heute allen Grund zur Freude und zur Dankbarkeit!
Historische Schritte als Erster zu gehen – darin ist er schon geübt. 2009 war Zsolt Balla mit Avraham Radbil der erste orthodoxe Rabbiner nach der Schoa, der in Deutschland ordiniert wurde. Auch heute schreibt Zsolt Balla wieder Geschichte – und ich sehe es ihm an, dass ihm das eigentlich zu viel der Ehre ist, wenn ich das so sage. Denn er unternimmt diese Schritte nicht, um sich persönlich in Geschichtsbüchern zu verewigen. Sondern weil er aus religiöser Überzeugung und im Dienst an der Sache handelt.
Diesen Dienst leisten die katholischen und evangelischen Militärgeistlichen genauso. Jetzt kommt jedoch die jüdische Perspektive noch hinzu. Das heißt, dass die Rabbiner sich darum kümmern werden, dass jüdische Soldaten gemäß der für sie wichtigen religiösen Regeln ihren Dienst tun können. Nichtjüdische Soldaten können sie mit jüdischen Feiertagen und Traditionen vertraut machen. Damit wird Fremdheit gegenüber dem Judentum abgebaut, sodass Vorurteile gar nicht erst entstehen oder am besten gleich in sich zusammenfallen. Das ist für uns ein wichtiger Nebeneffekt der jüdischen Militärseelsorge.
Die jüdische Gemeinschaft möchte Verantwortung übernehmen. Verantwortung für unsere Demokratie. Und dazu gehört auch eine Armee, die diese demokratischen Werte lebt. Eine Armee, in der politischer Extremismus und Intoleranz keinen Platz haben. Es gab in jüngster Zeit viel zu viele beunruhigende Nachrichten aus der Bundeswehr. Gerade läuft das Gerichtsverfahren gegen Franco A., den Offizier, der sich als Flüchtling ausgab und offenbar Anschläge plante. Der Fall förderte zudem rechtsextreme Netzwerke innerhalb und außerhalb der Bundeswehr zutage. Beklommen fragt man sich, ob das nur die Spitze des Eisbergs ist. Es ist für die Zukunft der Bundeswehr entscheidend, dass nicht nur in diesem Fall sorgfältig ermittelt und nichts verschwiegen wird. Das schulden wir den Tausenden Soldaten, die unbescholten und verantwortungsvoll ihren Dienst leisten. Menschen wie Franco A. schaden diesen Soldaten am meisten. Denn Rechtsextreme in Uniform beschädigen den Ruf der gesamten Bundeswehr.
Daher gilt es nicht nur, Rechtsradikale aus der Bundeswehr zu verbannen, sondern alle anderen Soldaten zu stärken und in ihrer demokratischen Gesinnung zu festigen. Denn so wie die Bundeswehr ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sein soll, so wirkt sie umgekehrt auch in unsere Gesellschaft hinein.
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer
Mit der feierlichen Amtseinführung heute setzen wir den ersten Stein, um das Militärrabbinat in der Bundeswehr aufzubauen. Jeder hat das Recht auf Seelsorge, auch und vielleicht gerade in der Bundeswehr. Unserer Fürsorgepflicht für die Kameradinnen und Kameraden fügen wir heute eine neue Dimension bei. Auch für die Bundeswehr ist dieser Tag von großer Tragweite. Wir stärken und bekräftigen heute etwas, das gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sehr viel wiegt, obwohl es beinahe banal klingt: Normalität. Eine Normalität, die bekennt: Jüdisches Leben, Jüdinnen und Juden gehören zu Deutschland, und Judentum gehört zur Bundeswehr. Das ist ein großes Zeichen von Vertrauen. Das ist im Angesicht der Geschichte auch ein Grund für Demut. Es ist aber auch ein großes Bekenntnis zur Demokratie, zu unserer offenen und vielfältigen und toleranten Gesellschaft. Und dass wir dieses Zeichen in der Bundeswehr und mit der Bundeswehr setzen, macht mich stolz. Darüber hinaus ist es natürlich auch der Blick nach vorne, das Versprechen einer gemeinsamen Zukunft, die offen, tolerant und vielfältig ist, in der Jüdinnen und Juden, ihre Religion und ihre Kultur selbstverständlich und ganz unverzichtbar zu unserem Land und in unsere Gesellschaft gehören.
Es ist die Verpflichtung eines jeden Demokraten und einer jeden Demokratin, sich gegen Antisemitismus zu stellen. Das ist für jeden und jede von uns eine ganz persönliche Verpflichtung. Die jüdische Militärsorge schafft in der Bundeswehr ganz authentische und praktische Begegnungen mit dem Judentum. Dabei geht es nicht nur darum, das Judentum in der Bundeswehr sichtbar zu machen, sondern ganz grundsätzlich die Vielfalt jüdischen Lebens und darüber hinaus zu zeigen und erlebbar zu machen. Damit wirkt die jüdische Militärseelsorge über die Bundeswehr hinaus.
Herr Rabbiner Balla, Sie übernehmen heute ein verantwortungsvolles Amt. Die Bundeswehr, die Soldatinnen und Soldaten, aber auch die Zivilisten freuen sich auf Sie. Die Neugierde und Freude ist groß. Sie werden eine vielfältige und offene Truppe kennenlernen. Heute wollen wir den ersten Militärbundesrabbiner festlich in sein Amt einführen. Dass das möglich ist, dafür gilt mein besonderer Dank dem Zentralrat der Juden. Es ist das Ergebnis entschlossener gemeinsamer Arbeit in den vergangenen zwei Jahren, von der Entscheidung zur Erweiterung der Militärseelsorge im April 2019 noch durch meine Vorgängerin Ursula von der Leyen über die Unterzeichnung des Staatsvertrages und die Zustimmung des Bundestags bis hin zu der organisatorischen Umsetzung. Der heutige Festakt setzt nun endlich das gemeinsame Vorgehen in die Wirklichkeit um. Herzlich willkommen bei uns in der Bundeswehr! Ich wünsche Ihnen für Ihr neues Amt alles Gute und Gottes Segen.
Franz-Josef Overbeck, katholischer Militärbischof
»Der Frieden ist das Werk der Gerechtigkeit«, so schreibt der Prophet Jesaja. Genauer heißt es: »Das Werk der Gerechtigkeit wird der Friede sein, und der Ertrag der Gerechtigkeit sind Ruhe und Sicherheit für immer« (Jesaja 32,17). Dieses biblische Wort erinnert an unsere Tradition in der Verwurzelung im Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und bringt den Auftrag auf den Punkt, für den wir in der Militärseelsorge einstehen. Es geht um einen Dienst für den Frieden in einer Welt, die immer wieder von Gewalt bedroht ist. Die Erinnerung, dass ein Zustand des Friedens Frucht der Gerechtigkeit ist, ist dabei zugleich unser Antrieb. Darum braucht es den Einsatz für das seelische Wohl der Soldatinnen und Soldaten sowie ihrer Familien, aber ebenso für ihren soldatischen Alltag. Darum geht es – auch im Lebenskundlichen Unterricht – um den Frieden, der wachsen kann, wo Gerechtigkeit herrscht und erstrebt wird. Nachdem im Ersten Weltkrieg erstmals eine institutionalisierte jüdische, damals sogenannte Feldseelsorge entstand, sind wir nach den unglaublichen Schrecknissen der Schoa und dem nationalsozialistischen Gewaltregime in Deutschland nun, 65 Jahre nach der Wiedereinführung der Militärseelsorge, wiederum und endlich an jener Stelle angekommen, für die wir als Kirche in ökumenischer Verbundenheit lange mit Offenheit und Zutrauen unterwegs waren.
Bernhard Felmberg, evangelischer Militärbischof
Gestern Abend in Berlin-Zehlendorf bin ich in die Straße gegangen, durch die ich manchmal meinen Spaziergang mache. Sie heißt Leo-Baeck-Straße. Und für Berlinerinnen und Berliner ist Leo Baeck ein Begriff. Aber das, was man am Straßenschild lesen kann – dass er Feldrabbiner war –, ist nicht das allererste, was einem einfällt, wenn man an Leo Baeck denkt. Gestern abend bin ich dort hingegangen und habe auf das Straßenschild geguckt und habe dort quasi so etwas wie eine Zwiesprache gehalten und gesagt: »Sehen Sie? Der liebe Gott lässt es noch weitergehen. Denn es ist nicht aus, bei denen und mit denen, die glauben, dass es aus zu sein hat an der einen oder anderen Stelle der Geschichte.« Und so knüpfen wir an – und schaffen doch etwas völlig Neues. 100.000 jüdische Soldaten waren im Ersten Weltkrieg in Deutschland im Einsatz – neben römisch-katholischen und evangelischen Soldaten. Mit dem Nationalsozialismus wurde die Tradition der Feldrabbiner abgebrochen. Die Wehrmacht ermöglichte die sogenannte Schoa auf freiem Feld. Millionen von Juden sind auf diese Weise ermordet worden. Es ist verständlich, dass die allermeisten Juden in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Wehrdienst leisten wollten. Und von daher ist es für mich bei allem, was Politik bewirken kann und wie segensreich es ist, doch ein Wunder, für das ich glücklich und dankbar bin, dass Sie, lieber Herr Balla, heute als Militärbundesrabbiner eingeführt werden.
Rabbiner Andreas Nachama, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz
Zum ersten Mal war ich 1977 in dieser Synagoge. Als Westberliner mit einer »Sondererlaubnis des DDR-Innenministeriums« durfte ich über mehrere Wochen in Merseburg im während des Zweiten Weltkriegs dort ausgelagerten Preußischen Staatsarchiv für meine Dissertation Quellenstudium betreiben. Die damalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde hier in Leipzig, Ella Wittmann seligen Angedenkens lud mich zum Schabbes ein. Hätte mir damals einer gesagt, ich würde in dieser Synagoge, in der eine Handvoll älterer Herrschaften Schabbat feierten, Zeuge werden, dass der erste Militärbundesrabbiner in einem friedlich vereinigten Deutschland eingeführt wird, ich hätte ihm nicht geglaubt – ich hätte ihn für meschugge gehalten!
Was würden meine Eltern – beides Holocaust-Überlebende – sagen, wenn sie Zeugen dieser Zeremonie würden? Hätten sie das für »meschugge« gehalten oder gar für »Chilul HaSchem« – für Gotteslästerung? Dass es jetzt doch so sein kann, dass es unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland geschieht, mutet wie ein Wunder an, wie ein Sieg des Lebens über den Ozean an Tränen, der vergossen wurde wegen des Mordes an den europäischen Juden, der keine jüdische Familie Europas unberührt gelassen hatte. Man könnte sagen: Die Zeit heilt Wunden. Nein! Nicht nur Zeit heilt Wunden, sondern eine auch Herausforderungen meisternde Demokratie, wie es über die Jahrzehnte ihres Bestehens die Bundesrepublik Deutschland geworden ist. Insofern hat die Gesellschaft, haben wir alle – Juden, Christen, Andersgläubige oder Säkulare – die Voraussetzungen geschaffen – übrigens auch und nicht zuletzt mit der Erinnerungskultur an die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust.
Rabbiner Avichai Apel, Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland
»Wenn du dich einer Stadt näherst, sie zu bekriegen, so rufe sie zum Frieden auf!« (5. Buch Mose 20,10). Mit diesen Worten erklärt uns die Tora die moralischen Grundregeln der Armee. Als demokratisches Organ gilt die Armee als Vertreter des Volkes, um Menschen vor unterschiedlichen Gefahren in Schutz zu nehmen. Ein Organ, das Menschen beschützt und gleichzeitig Macht gegenüber anderen Menschen und Völkern ausübt. Es soll ständig in Austausch mit ethischen und moralischen Instanzen sein, um Menschenrechte und Völkerrechte nicht zu verletzen.
Die Aufgabe der Rabbiner ist, der Kompass des Gewissens zu sein. Wir orientieren uns auf den Frieden hin. Zusammen mit allen Geistlichen möchten wir den individuellen Soldaten in seinen persönlichen Angelegenheiten unterstützen. Uns ist es wichtig, dass Soldaten aller Herkunft und aller Religionen Verständnis erhalten und gemeinsam gegen Rassismus und Antisemitismus sensibilisiert werden, um auch im Privatleben dagegen zu stehen. Ein langer Weg beginnt hier und jetzt.
Militärbundesrabbiner Zsolt Balla
Ich stehe heute demütig hier vor Ihnen. Ich spüre die Last der Geschichte auf meinen Schultern. Die deutsche Gesellschaft und die jüdische Gemeinschaft in Deutschland haben einen langen Weg zurückgelegt, um diesen historischen Moment zu erreichen. Es ist keine leichte und selbstverständliche Entscheidung, die Rolle des Militärbundesrabbiners zu übernehmen. Ich möchte mit Ihnen teilen, was meine eigene, persönliche Motivation ist, warum es für mich eine besondere Bedeutung hat, diese außergewöhnliche Verantwortung auf mich zu nehmen.
Erstens habe ich immer noch sehr gute Erinnerungen an den Armeestützpunkt der kleinen Stadt Bicske, etwa 40 Kilometer von Budapest entfernt, wo mein Vater seligen Andenkens als Oberstleutnant bei der Artillerie der Kommandant war. Für meinen Vater bedeutete der Eintritt in die Armee die Flucht vor Armut, er bedeutete Bildung und Werte. Ich erinnere mich noch an den Respekt und die Würde, mit der er die jungen Soldaten behandelte. Mein Vater lehrte mich einen großen Respekt für die Arbeit, die die Streitkräfte leisten.
Aber es gibt noch eine andere treibende Kraft für mich, einen zutiefst jüdischen Wert. Die Tora im Buch Genesis, Kapitel 33, Vers 18 schreibt, dass Jakob, als er mit seinen Frauen und elf Kindern aus dem Land Aram, aus dem Haus seines Schwiegervaters Laban, in das Gelobte Land zurückkehrte und sich in der Nähe der Stadt Sichem niederließ, »er lagerte gegenüber der Stadt«. Der Ausdruck im Hebräischen, »wajichan et pene ha-ir«, »er lagerte gegenüber der Stadt«, könnte aufgrund der Natur der hebräischen Sprache auch mit »er hatte die Stadt verschönert« übersetzt werden. Die Weisen des Talmuds fragen: »Wie hat er die Stadt ›verschönert?« Der Jerusalemer Talmud kommt zu dem Schluss: Wichtig ist die Moral der Tatsache, dass Jakob sich entschied, einen Beitrag zur Verschönerung der Stadt zu leisten. Die Rabbiner lehren uns, dass wir von hier lernen, dass ein Jude, egal wo er lebt, verpflichtet ist, es zu einem besseren Ort zu machen, sein Bestes zu tun, dass die Stadt, die Gesellschaft und das Land, in dem er lebt, durch seine Handlungen besser wird.
Rabbiner Baruch Halewi Epstein, ein litauischer Rabbiner des frühen 20. Jahrhunderts, erklärt in seinem Kommentar, dass der Grund für diese Verpflichtung ganz einfach ist: Dankbarkeit. Dankbarkeit ist im Judentum nicht nur eine nette Idee, es bedeutet nicht einfach, Danke zu sagen. Dankbarkeit verpflichtet. Es ist diese Dankbarkeit, die mich antreibt, dieser Auftrag der Rabbiner des Talmuds. Als ich vor 19 Jahren nach Deutschland kam, um das Judentum zu studieren, hatte ich ambivalente Gefühle. Es hat nicht lange gedauert, bis diese Gefühle verflogen waren. Man kann immer Kritik formulieren, und Deutschland ist nicht ohne Probleme, wie wir letzte Woche aus dem Bericht des Innenministeriums gehört haben. Wir haben Probleme, und sie unter den Teppich zu kehren, würde keinem von uns guttun.
Aber bei allen Herausforderungen empfinde ich eine ungeheure Dankbarkeit, in einem Land leben zu dürfen, das sich seiner Vergangenheit gestellt hat, sich aber auch entschlossen hat, nach vorne zu gehen, um aktiv eine bessere Welt zu gestalten. Diese Dankbarkeit muss sich in Taten manifestieren. Und es ist schwer, sich eine bessere Gelegenheit vorzustellen, als daran zu arbeiten, die deutschen Verteidigungskräfte zu stärken, um eine Botschaft der gemeinsamen Lastenteilung zu überbringen. Wir alle wünschen uns, in einem Land zu leben, das auf der richtigen Seite der Geschichte steht und für Menschenrechte, Menschenwürde und Demokratie eintritt und sie verteidigt, wo immer es nötig ist. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns.