Berlin/Leipzig

Studie verzeichnet Zunahme von Judenhass in Westdeutschland

Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind am 09.06.2013 an einer Gedenkstätte am Nordbahnhof in Berlin zu sehen. Foto: dpa

Die Zufriedenheit mit der gelebten Demokratie in Deutschland nimmt ab. Zwar stehen laut einer aktuellen Studie immer noch rund neun von zehn Deutschen hinter der Demokratie als Idee. Mit der Demokratie, »wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert«, zeigten sich bei einer repräsentativen Umfrage für die Leipziger Autoritarismus-Studie im Frühjahr dieses Jahres allerdings nur 42,3 Prozent der Befragten zufrieden nach 57,7 Prozent zwei Jahre zuvor. 

So niedrig wie jetzt war der Wert noch nie, seitdem die Wissenschaftler um Oliver Decker und Elmar Brähler 2006 erstmals danach gefragt hatten. Mit 29,7 Prozent ist der Anteil der Ostdeutschen, die auf diese Frage positiv antworteten, deutlich niedriger als unter den Westdeutschen, wo sich 45,5 Prozent der Befragten zufrieden zeigten. 

Abschied von der Realität 

Die Bundesrepublik stehe aktuell »vor einer ungewissen Entwicklung«, heißt es in der Studie. Die Krisenwahrnehmung sei ausgeprägt und zum Charakter der Krise gehöre die Erwartung eines Entscheidungsmoments. Obwohl die Demokratie von vielen Bundesbürgern skeptisch betrachtet werde, sei derzeit aber noch nicht ausgemacht, dass autoritäre oder extrem-rechte Lösungen in der Breite der Bevölkerung Anklang finden. »Es zeigt sich aber eine Neigung zum Eskapismus – ein Abschied von der Realität, wie er im Aberglauben, der Verschwörungsmentalität und der Esoterik zum Ausdruck kommt.«

»Ausländerfeindlichkeit« wurde bei der Umfrage bei 31,5 Prozent der Ostdeutschen und 19,3 Prozent der Westdeutschen gemessen. Während solche Einstellungen im Westen demnach bei der Altersgruppe ab 61 Jahren am stärksten verbreitet sind, sind es im Osten vor allem die Menschen im Alter zwischen 31 Jahren und 60 Jahren, die sich bei der Beantwortung des Fragebogens entsprechend einließen.

»Ausländerfeindlichkeit« sei oft eine »Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus«, sagt Mitautorin Ayline Heller. Die Zunahme dieses Ressentiments sei Resultat einer »Verschiebung von Sagbarkeitsgrenzen«. Dass sich diese verschoben hätten, sei eine Folge des gesellschaftlichen Klimas und habe auch damit zu tun, wie in der Politik diskutiert werde.

Lesen Sie auch

Anteil rechtsextremer Einstellungen

Betrachtet man die verschiedenen Facetten manifest-rechtsextremer Einstellungen insgesamt, zu denen die Wissenschaftler auch Chauvinismus, die Verharmlosung des Nationalsozialismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur zählen, hat jedoch eine Angleichung zwischen Ost und West stattgefunden. Ein Faktor ist dabei den Angaben zufolge eine Zunahme manifest antisemitischer Einstellungen im Westen Deutschlands. Ein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben laut Studie aktuell rund 4,5 Prozent der Ost- und 4,5 Prozent der Westdeutschen. 

Unter den Befragten, die Sympathien für eine rechtsautoritäre Diktatur äußerten, war der Anteil der AfD-Wähler gemäß der Studie mit Abstand am größten. Auch chauvinistische Tendenzen waren laut Studie unter den AfD-Wählern am stärksten verbreitet, gefolgt von Anhängern von FDP und CDU/CSU. Bei allen Formen der von den Forschern gemessenen Ressentiments - mit Ausnahme des Chauvinismus - liegen die Werte der Männer deutlich über denen der Frauen.

Sexismus und Frauenfeindlichkeit

Eine Zunahme von Frauenfeindlichkeit stellen die Forscher bei Menschen im Osten Deutschlands fest, wo das Frauenbild früher deutlich progressiver war als im Westen. Bei der Zustimmung zu einzelnen sexistischen Aussagen liegen die Ostdeutschen - anders als in der Vergangenheit - aktuell sogar höher als im Westen. Hier sei eine »Retraditionalisierungstendenz in der jüngeren Generation« zu beobachten. Im Osten finden laut Umfrage rund 31,4 Prozent der Ostdeutschen, Frauen sollten sich »wieder mehr auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter« besinnen. Im Westen vertraten diese Ansicht demnach 25,7 Prozent der befragten Menschen im Alter zwischen 16 Jahren und 92 Jahren. 

Wer sich besonders unzufrieden mit der Alltagsdemokratie zeigt, fokussiere seinen Ärger häufig auf Politiker und Parteien, erklärt Decker. Unter den Menschen, die über mangelnde Einflussmöglichkeiten klagen, gebe es viele, die Kompromisse nicht akzeptieren wollten, sondern nach einer vollständigen Umsetzung ihrer eigenen Ansichten verlangten. Ein weiterer Faktor der Unzufriedenheit im Kontakt mit Politik und Staat ist laut Studie die Bürokratie.

Die Studie entstand in Kooperation mit der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung der IG Metall. Ihre Ergebnisse findet die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, alarmierend. Sie sagt: »Wenn das so weitergeht, laufen wir Gefahr, eine Ressentiment-Republik zu werden.« Das dürfen man nicht zulassen. Die Studie zeige auf, was viele Menschen in ihrem Alltag beobachteten. Gruppenbezogener Menschenhass habe in allen Teilen Deutschlands eine ganz neue Dimension erreicht. »Millionen von Menschen spüren das in Form von alltäglicher Diskriminierung.«

Beschneidungen

Polizei in Antwerpen durchsucht jüdische Wohnungen

Im Rahmen einer Razzia gegen angeblich illegaler Beschneidungen hat die Polizei in Antwerpen am Mittwochmorgen die Wohnungen von drei jüdischen Bewohnern durchsucht

 15.05.2025

Düsseldorf

NRW und Israel feiern ihre Völkerfreundschaft

Wüst und Prosor: Es müsse alles getan werden, damit alle so schnell wie möglich wieder nach Hause kommen

 15.05.2025

USA

»Ben and Jerry’s«-Mitbegründer bei Gaza-Protest festgenommen

Ben Cohen ist bekannt für seine scharfe Kritik an Israel

 15.05.2025

Interview

»Es hätte viel kürzer und klarer sein müssen«

Peter Neumann über das AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes, die internationale Debatte darüber und ein mögliches Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei

von Nils Kottmann  15.05.2025

Schleswig-Holstein

Drastischer Anstieg bei antisemitischen Vorfällen im Norden

Der Landesbeauftragte für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Gerhard Ulrich, verwies auf den Krieg in Gaza

 15.05.2025

Berlin

»So monströs die Verbrechen der Nazis, so gigantisch dein Wille, zu leben«

Leeor Engländer verabschiedet sich in einer berührenden Trauerrede von Margot Friedländer. Wir dokumentieren sie im Wortlaut

von Leeor Engländer  15.05.2025

Trauerfeier

Die unbeugsame Berlinerin

Nach dem Tod von Margot Friedländer trauert ganz Berlin um eine besondere Frau, die als Holocaust-Überlebende unermüdlich für Menschlichkeit eintrat. Bei ihrer Beisetzung nahmen hochrangige Gäste nun Abschied

von Sigrid Hoff  15.05.2025

Kommentar

Journalistisch falsch, menschlich widerlich

»News WG«, ein Format des Bayerischen Rundfunks, hat eine Umfrage darüber gestartet, ob man Yuval Raphael, eine Überlebende der Massaker des 7. Oktobers, vom ESC ausschließen soll

von Johannes Boie  15.05.2025

Berlin

Friedrich Merz: Deutschland muss Schutzraum für Juden sein

Auch bekräftigt der neue Kanzler: »Wir stehen unverbrüchlich an der Seite Israels.«

 15.05.2025