Gesellschaft

Streitkultur

Die polarisierte Auseinandersetzung ist in Österreich schon Dauerzustand. Foto: Thinkstock

Symbolischer geht es nicht: Der »linkslinke«, »versiffte« Vertreter des »Establishments« und der »Systemparteien« auf der einen, der »Nazi-Kandidat«, »rechtsradikale Burschenschaftler« und »Kornblumenträger« auf der anderen Seite.

Die seit Jahren immer virulenter werdende Polarisierung der österreichischen Gesellschaft hat durch die Stichwahl für das Amt des Bundespräsidenten zwischen dem ehemaligen Grünen-Chef Alexander Van der Bellen und dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer ihren wohl deutlichsten Ausdruck bekommen. Zwei Lager stehen sich offenbar unversöhnlich gegenüber. Was zuvor schon schwelte und während der Flüchtlingskrise eruptiv an die Oberfläche kam, wird nun kanalisiert.

populisten Österreich pars pro toto. Woanders tragen die Protagonisten der unterschiedlichen Lager andere Namen – Donald Trump und Hillary Clinton, Marine Le Pen und François Fillon, Frauke Petry und Angela Merkel. Doch das Phänomen ist ähnlich: Gräben werden tiefer, Debatten aufgeheizter, die Stimmung ungemütlicher, Populisten lautstärker, Hass im Netz grenzenloser.

Zurück nach Österreich, wo die polarisierte Auseinandersetzung schon Dauerzustand ist: Der längste Wahlkampf der österreichischen Geschichte ist längst zur Metapher geworden, die beiden Kandidaten wurden zu Klischees ihrer selbst degradiert. Nach Monaten gegenseitiger Vorwürfe, Unterstellungen und Beleidigungen fordern immer mehr Menschen, man möge wieder respektvoll miteinander umgehen.

Viele sind des Geiferns müde und froh, wenn diese Wahl endlich vorbei ist. Es scheint, als hätten sowohl »Gutmenschen« als auch »besorgte Wutbürger«, als hätten die »ihre Pfründen verteidigenden Eliten« und »Staatskünstler«, »Faschisten«, »Rassisten« und »rechtsradikale Idioten« diese lange, zeitweise peinliche und meist niveaulose Wahlkampfphase gebraucht, um sich – endlich ernüchtert – zu fragen, was denn mit uns allen geschehen ist.

polarisierung Respektlosigkeit, als geistreicher oder auch weniger geistreicher Witz getarnt, hat in Österreich eine lange Tradition. Zynische oder sarkastische Kommentare werden oft als »Schmähs« wahrgenommen und als Teil der Alltagskultur akzeptiert.

Zu einer Polarisierung der Gesellschaft ist es in den letzten Jahrzehnten immer wieder gekommen, am stärksten während der Waldheim-Affäre in den 80er- und dem anschließenden Höhenflug der FPÖ unter Jörg Haider in den 90er-Jahren, doch selten waren die sprachlichen Entgrenzungen, die pauschalen Beleidigungen und Entwertungen von politisch Andersdenkenden so stark wie heute.

Im sogenannten postfaktischen Zeitalter erschafft jeder seine eigenen Narrative, belegt sie mit scheinbar seriösen Quellen oder erfindet schlichtweg eine Geschichte (wie zum Bespiel die Lüge, Van der Bellen sei krebskrank), weil er weiß, dass nicht die Wahrheit, ja nicht einmal die Glaubwürdigkeit ausschlaggebend ist. Eine Geschichte muss die Gefühle des Zielpublikums bedienen. Ob sie stimmt oder nicht, ist nebensächlich – oft sogar für das Zielpublikum selbst. Was kann man der schwer durchschaubaren Komplexität der Welt in Zeiten der Krise denn anderes entgegensetzen als das Vertrauen auf das eigene Gefühl?

gut und böse Im Vergleich zu früher findet ein Diskurs im engeren Sinne immer seltener statt. Zum eigenen Freundes- und Bekanntenkreis zählt man ohnehin meist nur Gleichgesinnte. Wenn ich behaupten würde, ich wählte Hofer oder FPÖ, würden meine Freunde ähnlich schockiert reagieren, als wenn ich ihnen erklärte, ich würde Frauen prügeln oder Kinder missbrauchen. Bei der Frage nach Trump oder Clinton schien es, bei Le Pen oder Fillon, Petry oder Merkel scheint es vergleichbar. Es geht nicht mehr um Politik, sondern um Haltung und Charakter. Und um Gut und Böse.

Um es klarzustellen: Ich weigere mich, die Sorgen und Nöte von Menschen zu »verstehen«, die sich rassistisch oder fremdenfeindlich äußern, Hasspostings ins Netz stellen oder Flüchtlinge als »Invasoren« bezeichnen. Auch dem unreflektierten Hass auf »die Eliten« kann ich nichts abgewinnen.

Ich halte es aber für sinnvoll, anderen Menschen mit Respekt zu begegnen und mit ihnen zu kommunizieren, auch dann, wenn ich ihre Ansichten für verwerflich halte. In manchen Fällen genügt schon ein freundliches Wort, eine nette Geste oder eine kleine persönliche Geschichte, um das Eis zu brechen, die Ebene gegenseitiger Beleidigungen zu verlassen und in einen Dialog einzutreten.

netzwerk Vor Kurzem hat sich ein Mann, mit dem ich in einem sozialen Netzwerk heftig gestritten hatte, bei mir dafür bedankt, dass ich ihn nicht beschimpft hatte. Vielleicht ist die Gier nach Aufmerksamkeit und menschlicher Nähe in einer Zeit, da die Zukunft düster und ungewiss scheint, die Reichen immer reicher und alle anderen ärmer werden, genau das, was uns alle, egal, welchem »Lager« wir angehören, so ohnmächtig, wütend und gleichzeitig so dünnhäutig macht.

Vielleicht liegt die Chance zur Veränderung aber gerade darin, dies zu erkennen und das Miteinander zu suchen.

Der Autor ist Schriftsteller in Salzburg. Zuletzt erschien von ihm der Roman »Lucia Binar und die russische Seele«.

Weimar

Buchenwald darf Zutritt mit Palästinensertuch verweigern

Die Antragstellerin habe selbst angegeben, dass sie mit dem Tragen des Palästinensertuchs eine politische Botschaft gegen die ihrer Ansicht nach einseitige Parteinahme der Gedenkstätte für die Politik der israelischen Regierung zeigen will

 20.08.2025

Medien

Fiktion statt Fakten

Matti Friedman hat viele Jahre für die Nachrichtenagentur AP berichtet. Der Journalist kennt die Probleme der Gaza-Berichterstattung aus erster Hand

von Gunda Trepp  20.08.2025

Berlin

Anschlag auf israelische Botschaft geplant? Anklage erhoben

Der Tatverdächtige ist IS-Unterstützer und russischer Staatsbürger

 20.08.2025

Athen

Israelische Firma übernimmt griechischen Rüstungsbauer

Griechenlands größter Hersteller von Militärfahrzeugen ist nun komplett in israelischer Hand. Die strategische Zusammenarbeit im Verteidigungssektor wird damit weiter vertieft

 20.08.2025

Köln

Diskriminierung jüdischer Schüler ernst nehmen

Antisemitismus an Schulen ist nicht neu. Doch seit Ausbruch des Gazakriegs ist die Judenfeindlichkeit stark gestiegen. Ein Vertreter der katholischen Kirche fordert die Schulen auf, Flagge zu zeigen

 20.08.2025

Umfrage

Deutliche Mehrheit steht hinter Waffen-Lieferstopp für Israel

In der Union sind nicht alle einverstanden. Die Mehrheit der Bevölkerung hat der Kanzler aber hinter sich, obwohl sich Israel gegen eine Terrororganisation wehrt, die den jüdischen Staat erklärtermaßen vernichten will

 20.08.2025

Würdigung

Ein echter Freund

Der ehemalige Zentralratspräsident Dieter Graumann hat viel bewirkt für das jüdische Leben in Deutschland. Nun ist er 75 geworden. Eine persönliche Gratulation von TV-Moderatorin Andrea Kiewel

von Andrea Kiewel  20.08.2025

Faktencheck

Ludwigshafen, Oberbürgermeisterin  Steinruck und der Ausschluss eines AfD-Kandidaten

Der Ausschluss von Joachim Paul löst Wut bei Anhängern der rechtsextremen Partei aus. Über die Amtsinhaberin werden unterdessen falsche Behauptungen verbreitet

 19.08.2025

Genf

Francesca Albanese verteidigt Hamas unverblümt – NGO fordert Konsequenzen

»Es ist entscheidend, dass man versteht, dass man bei Hamas nicht unbedingt an Halsabschneider denken sollte«, sagt die UNO-Berichterstatterin. Für UN Watch ist das Maß voll

von Imanuel Marcus  19.08.2025