Nahost

Strategische Optionen

»Der den Frieden schafft«: nächtliche Illumination der Jerusalemer Altstadtmauer Foto: Flash90

Am vergangenen Donnerstag kam aus Syrien eine Nachricht, die jeden Verantwortlichen in Israel nachdenklich machen musste. Der dortige russische Botschafter Alexander Efimov warnte Jerusalem. Die israelischen Luftangriffe in Syrien »provozierten« eine Reaktion Russlands. Sie würden die Spannungen erhöhen und dem Westen ermöglichen, »militärische Aktivitäten in Syrien« durchzuführen.

Inwiefern das tatsächlich die neue Position des Kreml ist, bleibt abzuwarten. Präsident Wladimir Putin und Premier Naftali Bennett stehen in Kontakt, da Israel zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu vermitteln versucht.

sicherheit Bennett hat sehr bewusst vermieden, Russland öffentlich zu kritisieren, er lässt auch keine Waffen in die Ukraine schicken. Die nationale Sicherheit hat Vorrang vor allem anderen. Und das heißt: Der Himmel über Syrien muss für die israelische Luftwaffe (IAF) offen bleiben, um iranische Stellungen dort auch in Zukunft angreifen zu können.

Doch während sich Israel bemüht, seine strategischen Optionen zu erhalten, könnten auf einem anderen »Schlachtfeld« neue Probleme für den jüdischen Staat erwachsen. Die Öl- und Gassanktionen des Westens zwingen vor allem die europäischen Staaten, weltweit »einkaufen« zu gehen. Die Bilder des grünen Ministers Robert Habeck in Katar gingen durch die Presse. Er wies darauf hin, dass man im Augenblick pragmatisch agieren müsse, man habe keine andere Wahl. Er musste dies sagen, schließlich hält es Katar so gar nicht mit den Menschenrechten.

Deutschland könnte sich in eine neue Abhängigkeit begeben, die das Land langfristig auch teuer zu stehen kommen könnte. Für Israel ist das hingegen kein großes Problem, schließlich reden Doha und Jerusalem ständig miteinander. Die Kataris finanzieren die Behörden der Hamas in Gaza, was Israel in der Vergangenheit stets zugelassen hat, um die humanitäre Katastrophe in dem Küstenstreifen nicht noch größer werden zu lassen als ohnehin schon.

Nuklearverhandlungen Ganz anders könnte das werden, sollte der Iran ins Spiel kommen. Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell steht man nur noch »wenige Tage« vor dem Abschluss der Nuklearverhandlungen mit Teheran, ein neuer Deal könnte schon bald unterzeichnet werden. Wer würde die Europäer dann daran hindern, iranisches Öl im großen Stil einzukaufen?

Angesichts der akuten Versorgungsprobleme, die die Russland-Sanktionen auf Dauer für die Europäer bedeuten werden, dürfte man nicht überrascht sein, wenn die EU sich dann an Teheran wenden würde. Nur: Der Iran ist im Ukraine-Krieg ein sich öffentlich bekennender Verbündeter Moskaus. Mit Öleinkäufen dort könnten sich die Europäer indirekt erneut in die Abhängigkeit von Russland begeben, von der sie sich gerade zu befreien suchen. Es wäre also töricht, ausgerechnet den Iran zum neuen Energielieferanten zu machen.

Der Iran ist ein sich öffentlich bekennender Verbündeter Moskaus.

Auch für Israel selbst steht einiges auf dem Spiel. Das Öl, das der jüdische Staat bezieht, kommt überwiegend aus ehemaligen sowjetischen Staaten über die sogenannte BTC-Pipeline, die das Kaspische Meer mit dem Mittelmeer verbindet. Auch wenn die Versorgung im Augenblick nicht gefährdet ist, wird sich Israel rüsten müssen für mögliche Engpässe oder Sanktionen, die einen unmittelbaren Einfluss auf die eigene Versorgung haben könnten.

Immerhin hat Israel eigene Gasvorkommen vor der Küste, also ein Problem weniger. Wenn überhaupt, so dürfte Israel weniger zum Verlierer des Ukraine-Krieges werden als der amerikanischen Annäherung an Teheran. Denn ganz egal, ob die Welt iranisches Öl einkaufen wird oder nicht: Die Freigabe eingefrorener Gelder und eine mögliche Streichung der iranischen Revolutionsgarden von der US-Terrorliste werden die Grenzen und die Heimatfront Israels unsicherer denn je machen.

Das Land wird sich notgedrungen auf eine Intensivierung des sogenannten Krieges zwischen den Kriegen einstellen müssen. Bedanken darf man sich dann bei US-Präsident Biden und seiner »Taube«, Robert Malley, welcher schon immer ein Faible für die Idee hatte, Iran den sunnitischen Staaten vorzuziehen. Als Sonderbeauftragter für Iran ist Malley wie schon 2015 mitverantwortlich für die Verhandlungen über einen neuen Nukleardeal.

Kollisionskurs Wenn Russland in seiner selbstverschuldeten Paria-Rolle bleibt – und davon ist auszugehen –, wird Israel sich möglicherweise irgendwann auf Kollisionskurs mit Putin und den russischen Truppen in Syrien wiederfinden. Ziemlich sicher wird Putin versuchen, seine Vormachtstellung im Nahen Osten auszubauen. Das Mittelmeer mit den Häfen, über die er bereits jetzt verfügt, ist geostrategisch wichtig, um im Falle eines größeren Krieges von Süden und Norden (über die in der Arktis befindlichen Marinestreitkräfte) Europa in die Zange nehmen zu können.

Rein militärisch hat die russische Armee in Syrien den Israelis nicht viel entgegenzusetzen. Natürlich würde in einer direkten Konfrontation die IAF Verluste erleiden, aber sie könnte die Luftabwehrraketen der Russen und Syrer außer Gefecht setzen und bei einer direkten Feindberührung beider Luftwaffen durchaus gewinnen. Nur, um welchen Preis? Was würde Putin in so einem Fall tun? ABC-Waffen gegen Israel einsetzen? Das würde das Ende der Russen in Syrien bedeuten.

Wird er also eher den Milizen und Stellvertretern des Iran, der Hisbollah und anderen Gruppen, freie Hand geben? Das ist zu befürchten. So oder so, Israel muss sich wappnen. Ein neuer, entsetzlicher Krieg, der alles bislang Gewesene in den Schatten stellt, droht am Horizont. Doch – und das ist kein Trost – droht er schon seit Längerem. Egal, was sich in der Welt tut: Die Konfrontation zwischen Iran und seinen Proxys einerseits und Israel und seinen neuen arabischen Freunden andererseits ist längst Teil der Realität des Nahen Ostens.

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