EU-Parlament

Stimmen gegen Europa

Parteien wie der Front National, die UKIP oder die FPÖ könnten bei der Europawahl Rekordergebnisse erzielen. Das gemeinsame Erfolgsrezept der Rechtspopulisten lautet etwa so: Der Nationalstaat soll die Bürger wahlweise vor Bevormundung, Globalisierung, Spionage oder Zuwanderung schützen.

Besonders beliebt ist das Versprechen eines nationalen Protektionismus in Frankreich: Hier liegt der Front National (FN) in Umfragen bei gut 25 Prozent – und damit vor Konservativen und Sozialisten. Parteichefin Marine Le Pen hat den FN modernisiert, den Radauantisemitismus ihres Vaters und Parteimitbegründers Jean-Marie Le Pen versteckt. Marine setzt eher auf eine »Islamkritik«, um gegen »Kulturfremde« auf Stimmenfang zu gehen.

apokalyptisch
Die Rechtspopulisten entwerfen geradezu apokalyptische Szenarien, wonach das Währungs- und Sozialsystem vor dem Kollaps stehe und Horden von kriminellen Ausländern in die jeweiligen Staaten strömten. Schuld sei die EU, welche die Einheimischen bevormunde und reguliere, die Grenzkontrollen abschaffe sowie die Volkswirtschaften in den Ruin treibe. Als Bollwerk dagegen wird der Nationalstaat beschworen, Wärme und Halt in der globalisierten Welt soll die eigene Nationalität bieten. »Weder rechts noch links – französisch!« – so lautet ein Slogan des FN.

Dieses Konzept klingt auch für tatsächliche oder vermeintliche Linke attraktiv. Ihre Kapitalismuskritik, die sich oft in den Feindbildern »Spekulant« und »internationales Kapital« erschöpft, deckt sich mit der der Rechtspopulisten. In Frankreich kämpfen auch Ex-Kommunisten für den FN und gegen die Verlagerung französischer Arbeitsplätze ins Ausland.

volkstribune »Washington spioniert. Brüssel diktiert. Berlin pariert« – so wirbt die »Alternative für Deutschland« (AfD) für sich. Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, sagt, die AfD stehe weder links noch rechts, sei weder konservativ noch liberal. Diese Beliebigkeit macht es möglich, verschiedene Feindbilder zu bedienen und diverse Milieus anzusprechen – und den Vorwurf des Rechtspopulismus als unbegründet zurückzuweisen. Der AfD fehlen aber die ganz großen Persönlichkeiten: Henkel und Bernd Lucke taugen kaum als Volkstribune.

Anders als Nigel Farage von der UK Independence Party (UKIP). Der 50-Jährige dürfte in Großbritannien der bekannteste Abgeordnete des Europaparlaments sein, dem er seit 15 Jahren angehört. Farage ist Dauergast im Fernsehen, ziert die Titelblätter von Tageszeitungen, spricht im Radio. Sogar seine politischen Gegner attestieren ihm Witz und Charme.

Auch Farage präsentiert sich als Postideologe: »Wir wollen einfach keine EU-Pässe und keine politische Union«, sagt er. »Daran ist nichts extrem, auch nicht rechts oder links. Es ist nichts weiter als die normale vernünftige Bekräftigung der eigenen Identität.« An den gesunden Menschenverstand und die Vernunft appellieren die Rechtspopulisten auch anderswo, aber kaum jemand ist so erfolgreich wie die UKIP, die bei Umfragen konstant über 25 Prozent liegt. Die Europawahlen, so sagt Farage voraus, würden ein politisches Erdbeben auslösen.

rebellen Gegen Europa und Einwanderung zu sein – das ist alles andere als eine marginalisierte Position in vielen EU-Staaten. Dennoch gerieren sich die Rechtspopulisten als Rebellen, gegen die angeblich mediale Kampagnen liefen – dabei bewegen sie sich längst im Mainstream. Diese Rhetorik verdeckt Gegensätze, die auch innerhalb der geplanten Fraktion der Rechtspopulisten für Konflikte sorgen dürften. Einigen kann man sich auf Parolen wie »Stoppt die Einwanderung« und »Raus aus der EU«, doch beispielsweise in der Familienpolitik wird es bereits widersprüchlich. Während der Niederländer Geert Wilders für die Rechte von Homosexuellen und die Ehe für alle eintritt, propagieren der FN und andere Rechte das traditionelle Rollenverständnis und wettern gegen eine angebliche »Schwulenlobby«. Auch der Antisemitismus, der bei rechten Demonstrationen in Frankreich offen ausbricht, dürfte bei Wilders für Widerspruch sorgen.

Die Welt der Rechtspopulisten schillert schwarz-weiß, sie bieten eindeutige Antworten auf komplexe Fragen und einen ideologischen Gemischtwarenladen. Ihre Anhängerschaft schweißen sie durch Feindbilder zusammen. Dabei sind es erst die Europawahlen, die ihnen die ganz große Bühne bieten. Und das Europaparlament eröffnet ihnen die Chance, zahlreiche Posten zu vergeben. Die Euro-Gegner gehören zu den größten Profiteuren der EU.

splitterparteien Distanz wahren die modernen Rechtsausleger zu rechtsextremen Splitterparteien wie der British National Party, der italienischen Forza Nuova oder der deutschen NPD, die zwar in der Bedeutungslosigkeit versinkt, aber wegen der fehlenden Sperrklausel ebenfalls auf ein Mandat bei der Europawahl hofft. Doch weder die NPD noch die Neonazipartei »Goldene Morgenröte« – in Griechenland durchaus erfolgreich – kommen als Bündnispartner für die Rechtspopulisten infrage. Solche werden sie sich in Skandinavien, den Benelux-Staaten oder Österreich suchen.

Aber es gibt auch Staaten, wo Begeisterung für die EU herrscht. Beispielsweise im Baltikum sind europafeindliche Parolen bedeutungslos. Auch in Irland oder Portugal spielen solche Strömungen kaum eine Rolle. Dass in einigen Ländern die EU als Feindbild gilt, zeigt, dass eine Vision für Europa fehlt. Daher hoffen Rechtspopulisten auf eine historische Wahl. Geert Wilders frohlockt bereits: Es gehe weniger um Wahlen, sondern vielmehr um ein Referendum – für oder gegen Europa.

9. November

Erinnerung ohne Empathie ist leer

Wenn Deutschland am Sonntag der Pogromnacht gedenkt, darf Erinnerung nicht nur rückwärtsgewandt sein. Sie muss auch die Angst der Juden von heute im Blick haben

von Tobias Kühn  08.11.2025

Urteil

Betätigungsverbot für israelfeindlichen Aktivisten war rechtswidrig

Ghassan Abu-Sittah, der der israelischen Armee vorwirft, vorsätzlich Kinder zu töten, hätte auf dem »Palästina-Kongress« sprechen dürfen

 08.11.2025

Meinung

Wieder ein Milliarden-Blankoscheck für Palästina?

Europa will den Wiederaufbau Gazas mit 1,6 Milliarden Euro fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, durch Scheckbuchdiplomatie etwas zum Besseren verändern zu können?

von Jacques Abramowicz  08.11.2025

Jerusalem

Bischof Azar bedauert Irritation durch »Völkermord«-Äußerung

Weil er in einem Gottesdienst in Jerusalem von »Völkermord« an den Palästinensern sprach, hat der palästinensische Bischof Azar für Empörung gesorgt. Nun bedauert er, dass seine Worte Irritation ausgelöst haben

von Christine Süß-Demuth  07.11.2025

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten besetzen ZDF-Hauptstadtstudio

Die Polizei musste die Besetzung beenden

 07.11.2025

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Berlin

Sarah Wedl-Wilson räumt Defizite bei Fördermittel-Vergabe ein

Wurden Gelder für Projekte gegen Antisemitismus rechtswidrig verteilt? Das werfen Grüne und Linke der Kultursenatorin vor. Nun äußert sie sich

 07.11.2025

Diplomatie

Kasachstan will sich den Abraham-Abkommen anschließen

US-Präsident Donald Trump kündigte den Schritt wenige Tage vor dem Besuch des saudischen Kronprinzen im Weißen Haus. Auch Saudi-Arabien solle seine Beziehungen zu Israel normalisieren, so die Hoffnung des US-Präsidenten

 07.11.2025

Antiisraelischer Beschluss

Linken-Spitze distanziert sich von Parteijugend

Die Linksjugend Solid wirft Israel unter anderem einen »kolonialen und rassistischen Charakter« vor – und löst in der Partei Empörung aus

 06.11.2025