Im Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann Bruno D. vor dem Landgericht Hamburg hat die Staatsanwaltschaft am Montag eine Jugendstrafe von drei Jahren gefordert. Außerdem müsse der 93-Jährige die Kosten des Verfahrens tragen, sagte Staatsanwalt Lars Mahnke in seinem Plädoyer.
Der Angeklagte habe das Unrecht, das im KZ Stutthof (bei Danzig) geschah, »eindeutig identifiziert« und aus »taktischer Einstellung« weggesehen und seinen Dienst weiter verrichtet. Er habe sich nicht im Befehlsnotstand befunden, sondern Beihilfe zum Mord geleistet, so Mahnke.
PLÄDOYERS Der Angeklagte muss sich vor dem Landgericht Hamburg wegen seiner früheren Tätigkeit als SS-Wachmann von August 1944 bis April 1945 im KZ Stutthof verantworten. Ihm wird Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen, 5000 davon durch das Herbeiführen und die Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen, 200 durch Vergasung und 30 durch Genickschuss. Nach den Plädoyers der Nebenklägervertreter und des Verteidigers soll das Urteil vermutlich am 23. Juli gesprochen werden.
Er habe die Möglichkeit gehabt, sich versetzen zu lassen, doch D. habe sich »weggeduckt und weggesehen«.
Jedermann müsse erwarten dürfen, dass ein Soldat in der Situation von D. vom Wachturm herabsteigt, sein Gewehr abgibt und sagt: »Ich kann nicht mehr«, sagte Mahnke. Er habe die Möglichkeit gehabt, sich versetzen zu lassen, doch D. habe sich »weggeduckt und weggesehen«.
»Wenn man Teil der Massenmord-Maschinerie wird, reicht es nicht aus, sich wegzudrehen«, unterstrich der Staatsanwalt. Da müsse die Loyalität gegenüber dem Befehlshaber aufhören.
VERBRECHEN Mahnke sprach auch von einer Verpflichtung des Gerichts, ein Signal zu setzen. »Der Angeklagte hat an kaum beschreibbaren Verbrechen teilgenommen, die jeden, der sich damit beschäftigt, auf ewig nicht mehr verlassen.«
Für D. sprächen, dass er seitdem ein untadeliges Leben geführt habe und dass er nichts dafürkönne, dass die Taten erst jetzt nach 75 Jahren verhandelt werden. Ebenso hätte D. diese nicht begangen, wenn die Nationalsozialisten die Grausamkeiten nicht begangen hätten.
Der Staatsanwalt hatte vorab erklärt, dass das Gericht auf anderer Grundlage entscheiden werde als die Gerichte in anderen großen NS-Prozessen. Die Beweislage habe ergeben, dass sich der Vorwurf der Tötung nicht auf direkte Tötungen beschränke.
»Stutthof war die Hölle auf Erden. Im Rückblick ist es mir schleierhaft, wie ich das überlebt habe«, sagt Nebenklägerin Griesbach.
»Es ist deutlich geworden, dass es die Kategorie ›Tötung durch Arbeit‹ gibt.« Wer arbeitsfähig war, sollte trotzdem nicht dem Tod entgehen, sagte Mahnke. Somit sei die Zwangsarbeit der Beginn des Mordens gewesen. Eine Differenzierung zwischen Vernichtungslager und Arbeitslager sei damit hinfällig. Dies sei eine neue Sicht.
BERÜHREND Zu Beginn des 40. Verhandlungstages hatte Richterin Anne Meier-Göring zwei berührende Schilderungen von Nebenklägerinnen verlesen. Die Jüdin Marga Griesbach (92) beschrieb, wie sie als 14-Jährige mit ihrer Mutter auf wochenlangen Flüchtlingsmärschen Hunger und Erfrierungen erlitt.
Mehrfach hatte sie bei Selektionen Todesangst, und sie musste ihren jüngeren, damals elfjährigen Bruder verabschieden, der kurz darauf in Auschwitz vergast wurde. »Stutthof war die Hölle auf Erden«, hieß es von Griesbach in ihrer 15-seitigen Erklärung. »Im Rückblick ist es mir schleierhaft, wie ich das überlebt habe.« epd