Pro & Contra

Sollen Inlandsflüge verboten werden?

Innerhalb von Deutschland waren im Jahr 2018 etwa 23,5 Millionen Passagiere per Flugzeug unterwegs. Foto: Getty Images / iStock

Pro – Ruth Bostedt: Der Staat muss eingreifen, der Einzelne mit gutem Beispiel vorangehen

Innerhalb von Deutschland waren im Jahr 2018 etwa 23,5 Millionen Passagiere per Flugzeug unterwegs – eine durchaus relevante Belastung unseres Klimas. Die Deutsche Flugsicherung wirbt damit, »vertikal optimierte Anflugprofile« entwickelt zu haben, um den Treibstoffverbrauch zu reduzieren. Doch diese Maßnahme für den Umweltschutz erscheint mir, gemessen an den hohen Flugzahlen, belanglos. Eine der einfachsten Möglichkeiten, unseren klimaschädlichen CO2-Ausstoß zu reduzieren, wäre der allgemeine Verzicht auf Inlandsflüge.

Leider stellt das Fliegen durch die skandalös billigen Flugpreise derzeit eine günstige Alternative zu anderen Verkehrsmitteln wie dem Zug oder sogar dem Auto dar. Das liegt größtenteils daran, dass der Treibstoff Kerosin seit dem Abkommen von Chicago 1944 weltweit steuerbefreit ist, während die Bahn für jeden Kilometer, den ein einziger Zug zurücklegt, im Durchschnitt etwa 20 Cent Energiesteuern bezahlt. In einem Jahr betragen die hierfür anfallenden Kosten somit knapp 30 Millionen Euro. Den Menschen fehlt also wegen der hohen Kosten der Anreiz, auf Zugreisen umzusteigen, obwohl der CO2-Verbrauch pro Kilometer bei Flugzeugen das 18-Fache des CO2-Verbrauchs bei Bahnen beträgt.

Doch nicht nur die niedrigen Reisekosten machen Flugreisen attraktiv: Ein vermeintlich schnelleres Ankommen am Zielort gehört für viele Menschen zu den Vorteilen eines Inlandsflugs. Doch die letztendliche Flugzeit täuscht: die Fahrt zum Flughafen, das ein- bis zweistündige Warten vor dem Check-in-Schalter, die Gepäckausgabe ... Seien wir ehrlich: Schneller als eine Zugfahrt ist eine Flugreise in den wenigsten Fällen.

Ich möchte nicht abstreiten, dass auch Zugreisende oftmals mit Verspätungen rechnen müssen. Gleichzeitig sind Streiks an Flughäfen nichts Ungewöhnliches. Eine funktionierende Klimaanlage und funktionstüchtiges W-LAN werden heutzutage von den Kunden erwartet, doch sollte die Deutsche Bahn meiner Meinung nach vom Staat Zuschüsse erhalten, um einen Standard zu garantieren, dessen Fehlen die Menschen bislang davon abhält, in den Zug zu steigen. Anmerken möchte ich jedoch, dass auch in der Luft kein W-LAN zur Verfügung steht.

Auf der einen Seite sind die Themen Umweltschutz und Klimawandel medial präsent, viele Menschen achten bereits auf ihren Plastikverbrauch, auf der anderen Seite könnten wir mit dem Verbot von Inlandsflügen weitaus mehr gegen unseren CO2-Ausstoß unternehmen als bisher. Auch wenn Inlandsflüge nur rund 10,5 Prozent des gesamten Flugverkehrs ausmachen, sollten unbedingt andere Verkehrsmittel genutzt werden. Denn eines ist sicher: Der jetzige CO2-Ausstoß muss dringend verringert werden, um der Menschheit überhaupt eine Zukunft zu garantieren.

»Der CO2-Ausstoß muss dringend verringert werden, um der Menschheit eine Zukunft zu garantieren.« Ruth Bostedt

Eine Veränderung fängt zwar zuerst beim Einzelnen an, jedoch ist es unverständlich, dass der Staat als politische Institution keine Gesetze erlässt, die dem Schutz der Umwelt dienen. Denn solange der Staat Inlandsflüge zulässt und nicht in Alternativen investiert, wird sich nichts ändern. Absurd erscheint mir auch, dass jährlich weiterhin etwa 230.000 Kurzstreckenflüge von Behördenmitarbeitern unternommen werden. Die Grünen-Bundestagsfraktion hat das Problem der Inlandsflüge zumindest erkannt und will bei Flügen innerhalb Deutschlands Kerosin besteuern, sodass sie bis 2035 weitgehend obsolet werden sollen. Demnach soll die Deutsche Bahn jährlich einen Zuschuss von drei Milliarden Euro erhalten, um das Schienennetz auszubauen und die Fahrtzeiten zu verkürzen. Zusätzlich soll ein europäisches Nachtzugnetz innereuropäische Flüge auf die Schienen verlagern.

Doch solange die Politik noch keine ausreichenden Maßnahmen gegen Inlandsflüge getroffen hat, verzichte ich aus eigener Initiative auf Inlandsflüge. Der Vorteil besteht für mich nicht nur darin, klimafreundlicher zu sein, sondern auch darin, mir viele Strapazen zu ersparen – wie ermüdende Stop-and-go-Check-ins am Flughafen und Sicherheitskontrollen. Bastelschere und Wasser können im Gegensatz zum Flugzeug mit an Bord. Es gibt keine Turbulenzen, und genügend Beinfreiheit ist auch garantiert.

Ich steige in den Zug, lerne die unterschiedlichsten Passagiere kennen, ich steige wieder aus. Der Bahnhof liegt im Gegensatz zum Flughafen zentraler, und ich muss nicht noch mit Bus oder Bahn oder gar einem teuren Taxi den Weg in die Innenstadt zurücklegen. Meine Devise lautet: Solange der Staat keine Initiative ergreift und den CO2-Ausstoß durch ein Inlandsflugverbot reduziert, sollte jeder Mensch auf seinen eigenen CO2-Verbrauch achten, auf Flüge weitestgehend verzichten und überlegen, ob wirklich so viel Zeit und Stress mit Inlandsflügen gespart wird, wie man zuerst glaubt. Ich sage nicht, dass generell auf Flüge verzichtet werden sollte, doch innerhalb Deutschlands gibt es Alternativen, und die sollten wir nutzen.

Ruth Bostedt studiert Grundschullehramt in Heidelberg. Sie ist Vizepräsidentin des Bundes jüdischer Studenten Baden.

 

Contra – Ralf Balke: Ein Verbot hätte mehr Verkehr auf den Straßen und noch teurere Bahntickets zur Folge

Ich flieg’ nach Tel Aviv, zum Mini-maltarif«, sang 1982 »Ideal« auf dem Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle. Dabei gab es das Wort Billig-Airline noch gar nicht, und Tickets für die Strecke nach Israel waren damals selten für weniger als 800 D-Mark zu haben, also alles andere als ein Minimaltarif. Berücksichtigt man die Inflation seit Anfang der 80er-Jahre, wären das nach heutigem Maßstab mindestens 800 Euro, auch das nicht gerade ein Sonderangebot.

Doch veränderte Wettbewerbsbedingungen, effizientere Flugzeuge sowie die Digitalisierung, durch die neue Geschäftsmodelle aufkamen, haben dafür gesorgt, dass das Fliegen für immer mehr Menschen erschwinglich wurde. Das wiederum kam auch den deutsch-israelischen Beziehungen zugute, weil die Zahl der Israelis, die Deutschland besuchen, seit der Jahrtausendwende sprunghaft angestiegen ist. Gleiches gilt für die deutschen Touristen, die sich Richtung Israel aufmachen.

Aber nicht nur das Reisen in andere Länder wurde auf diese Weise im wahrsten Sinne des Wortes »demokratisiert«. Auch bei Inlandsflügen purzelten munter die Preise, sodass auf innerdeutschen Rennstrecken wie Düsseldorf–Berlin oder Hamburg–München nicht länger nur die Businesszwirn-Träger zu sehen sind, sondern oft auch Leute in Jogginghose, die eine andere Stadt besichtigen oder Freunde und Familie besuchen möchten.

Wer flexibel ist und ein wenig im Voraus planen kann, der findet beispielsweise bei easyJet Flüge aus der Hauptstadt ins Rheinland für weniger als 30 Euro. Dabei spielt die zeitliche Ersparnis als Argument für die Nutzung des Flugzeugs kaum eine Rolle. Die katastrophale Anbindung der Berliner Flughäfen an den öffentlichen Nahverkehr sowie die Wartezeiten beim Check-in lassen diese wie Schnee in der Sonne auf gerade einmal eine Stunde und weniger schrumpfen.

»Es ist vor allem der Preis, der Leute lieber ins Flugzeug steigen lässt. EasyJet bietet Flüge von Berlin ins Rheinland für weniger als 30 Euro an.« Ralf Balke

Es ist also vor allem der Preis, der die Leute lieber ins Flugzeug steigen lässt. Ein Blick auf bahn.de zeigt auch, warum. Wer spontan oder aus dringenden persönlichen Gründen von jetzt auf gleich in den Zug von Berlin nach Düsseldorf springen will, bezahlt satte 125 Euro, pro Strecke wohlgemerkt. Inhaber diverser Bahnkarten kommen natürlich deutlich günstiger weg, auch auf der Seite für Sparangebote lassen sich Schnäppchen finden.

Doch selbst dann ist die Bahn immer noch deutlich teurer als viele Flieger. Und wer als Stammkunde öfters diese Strecke gefahren ist, der sammelt nicht nur Bahn-Bonus-Punkte, sondern auch Anekdoten über stundenlange Verspätungen, absurde Ansagen des oftmals überforderten Personals oder rappelvolle Züge, bei denen man nicht selten die gesamte Fahrzeit auf dem Boden verbringen durfte. Sogar das Wort Klimawandel bekommt eine ganz konkrete Bedeutung, da wahlweise Air Condition oder Heizung ausfallen.

Doch nun wollen Klimaschützer und einige Grüne den Inlandsflügen an den Kragen: Unnütz und umweltbelastend seien sie. Vor allem die sogenannten Ultrakurzdistanzen, also Strecken bis 400 Kilometer, würde man allzu gerne verbieten. Dabei wäre es hilfreich, sich die Fakten anzuschauen, bevor man Nutzern von Fliegern ein schlechtes Gewissen einredet oder der moralische Zeigefinger erhoben wird.

Denn gerade einmal drei Prozent der 23,5 Millionen Passagiere – so viele zählte das Statistische Bundesamt für 2018 – mit einer innerdeutschen Destination würde das betreffen. Der Nutzen für die Umwelt wäre also gleich null. Würde man bei Inlandsflügen generell Restriktionen einführen, wäre ein Großteil all dieser Personen gezwungen, das eigene Auto zu benutzen, was wohl kaum als klimaschonende Alternative zu sehen ist.

Zudem wird gerne vergessen, dass es die Konkurrenz durch Inlandsflüge und neuerdings auch durch den Busverkehr war, der die Bahn dazu zwang, ihre Mondpreise zu überdenken. Anders ausgedrückt: Fällt das Flugzeug im innerdeutschen Verkehr weg, dann können die Bahn-Oberen ihre Sparangebote wieder einstampfen und erneut kräftiger zulangen, weil Reisende auf vielen Strecken keine Alternative zum Zug haben. So funktioniert nun einmal Marktwirtschaft.

Ein kurzer Blick nach Israel zeigt, was es heißen kann, wenn Inlandsflüge wegfallen oder komplizierter werden. Weil am 1. Juli Sde Dov, der kleine Stadtflughafen von Tel Aviv, dichtgemacht wurde, befürchten Hoteliers in Eilat einen Besucherschwund.

Denn fast alle Flüge ans Rote Meer, zumeist betrieben von der Airline Arkia, die auch am Schabbat fliegt, hoben von dort aus ab. Wer jetzt ins Flugzeug steigen will, muss erst einmal zum Ben Gurion Airport, was eine deutlich zeitintensivere und nervigere Prozedur ist – weshalb die Ticketverkäufe sofort einbrachen. 250 seiner 650 Beschäftigen will Arkia deshalb nun entlassen.

Eine Bahnverbindung in den Süden ist zwar geplant, aber bis die Strecke fertig ist, werden noch Jahre ins Land gehen. Wer also heute immer noch nach Eilat fahren möchte, muss sich für sechs Stunden und mehr hinters Steuer setzen. Weder Umwelt noch Reisende haben so gewonnen, sondern nur verloren.

Ralf Balke ist Historiker und freier Journalist. Er arbeitete bis 2013 beim »Handelsblatt« und lebt in Tel Aviv und Berlin.

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