Israel

Ruhe in der Not

In Sorge um ihre Jungen: die Eltern von Naftali Frenkel, Gilad Shaar und Eyal Yifrach am Dienstag in Nof Ayalon Foto: Flash 90

Drei israelische Jugendliche wurden im Westjordanland entführt. Während wir alle hoffen, dass Naftali Frenkel, Gilad Shaar und Eyal Yifrach bald freikommen und wohlbehalten zu ihren Familien zurückkehren, stellen sich angesichts dieser schrecklichen Entführung manche politische Fragen.

Zunächst die nach der Verantwortung. Folgt man Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, liegt diese einzig bei der radikal-islamischen Hamas. Nun haben wir kaum detaillierte Informationen, sind auf Spekulationen angewiesen. Doch meiner Meinung nach kann diese Tat nicht im Interesse der Hamas-Führung liegen, obwohl Sprecher der Terrororganisation Entführungen von Israelis als Mittel zur Freipressung palästinensischer Gefangener gerühmt hatten.

einheitsregierung
Seit sie die von Technokraten gebildete palästinensische Einheitsregierung mitträgt, muss die Hamas – zumindest öffentlich – dazu beitragen, dass diese Regierung international weiter an Legitimation gewinnt. Politisch macht die Entführung aus Sicht der Hamas also nicht nur keinen Sinn, sie wäre sogar kontraproduktiv. Entsprechend dürfte es kein Zufall sein, dass die Hamas – anders als bei der eindeutig von ihr durchgeführten Entführung des Soldaten Gilad Schalit – nicht die Verantwortung für diese Tat übernommen hat.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Entführer wohl zu kleineren lokalen Gruppen gehören, die bislang ohne größere politische Bedeutung waren. Es gibt auch Hinweise auf Gruppierungen, die mit der ISIS im Irak verbunden sind und im Westjordanland eine Zelle gebildet haben könnten.

Das macht die Situation weder einfacher noch besser, und selbstverständlich muss die Regierung in Jerusalem angemessen handeln. Was sie jedoch gegenwärtig unternimmt, nämlich der Hamas die volle Verantwortung zuzuschreiben, ist auch Teil der israelischen Politik: Spätestens seit es zu der »Versöhnung« der von Präsident Mahmud Abbas geführten Fatah und der Hamas kam, ist es das Ziel Jerusalems, einen Keil in die palästinensische Regierung zu treiben und sie international zu diskreditieren. Entsprechend kritisiert Netanjahu jetzt auch Abbas dafür, die Tat nicht verhindert zu haben.

zusammenarbeit
Stattgefunden hat die Entführung aber in der Zone C, in der Israel die Sicherheitsverantwortung trägt und mit den palästinensischen Sicherheitsbehörden kooperiert. Diese Zusammenarbeit sollte man nicht unterschätzen.

Es ist also eine äußerst komplizierte und auch brisante Konstellation entstanden. Israels Interesse sollte es sein, eine Eskalation zu vermeiden – bei aller Sorge um die Jugendlichen. Dafür muss es auch die regionale Situation berücksichtigen. Da ist zum einen Ägypten. Das südliche Nachbarland Israels ist in dieser Hinsicht sehr hilfreich, seit der neue Präsident Abdel Fattah al-Sisi im Amt ist.

Er hält Distanz zur Hamas, hat die Versorgungstunnel zum Gazastreifen gesperrt, und die Hamas ist in Ägypten weiterhin ganz eindeutig als Terrororganisation klassifiziert. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass Israel keine Maßnahmen ergreift, die zu propalästinensischen Demonstrationen in Ägypten führen könnten, was wiederum al-Sisi Probleme bereiten und die Zusammenarbeit gefährden könnte.

nachbarland
Und da ist zum anderen Jordanien. Das östliche Nachbarland Israels ist derzeit innenpolitisch fast ausschließlich mit der für das Land bedrohlichen Lage im Irak und in Syrien beschäftigt. Wenn die israelische Regierung in dieser Situation in einer Weise reagiert, die von den Palästinensern als übertrieben oder bedrohlich interpretiert wird, könnte es auch hier zu Demonstrationen kommen, die Jordanien mehr noch als bisher destabilisieren. Auch das wäre nicht im israelischen Interesse.

Dass Israel vieles unternehmen muss, um die drei Jugendlichen freizubekommen, ist selbstverständlich. Aber das Handeln muss von großer Vorsicht geprägt sein. Das gilt beispielsweise auch für den Vorschlag, jetzt den Kontakt zur Autonomiebehörde einzustellen. Es ist mehr als fraglich, ob das im israelischen Interesse wäre. Es gibt zwar derzeit keine Friedensgespräche, aber Abbas und Netanjahu sind in Kontakt. Sie haben am Montag sogar miteinander telefoniert. Zudem arbeiten palästinensische und israelische Sicherheitskräfte zusammen, um die Jugendlichen zu finden.

Es ist sehr zu hoffen, dass die drei Jugendlichen bald lebend und unbeschadet freikommen. Sollte dies nicht der Fall sein, dann ist mit einer israelischen Reaktion zu rechnen, die zu einer Eskalation führen kann, die weder im israelischen noch im palästinensischen Interesse ist. Sollte sich am Ende herausstellen, dass die Verantwortung für die Entführung bei der Hamas liegt, dann kann man nur hoffen, dass die Staatengemeinschaft die Konsequenzen zieht und ihre Unterstützung für die neue »Versöhnungs«-Regierung einstellt. In jeder Hinsicht erleben wir gerade eine bittere Stunde im Nahen Osten.

Der Autor war von 2001 bis 2007 Botschafter Israels in Deutschland.

Berlin

Altbundespräsident: »Wir brauchen mehr Entschlossenheit«

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck fordert mehr Beschäftigung mit dem Antisemitismus aus dem arabischen Raum und von links

 09.11.2025

Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Von den Nazis zerstörte Synagogen virtuell zum Leben erwecken, das ist ein Ziel von Marc Grellert. Eine Internetseite zeigt zum 9. November mehr als 40 zerstörte jüdische Gotteshäuser in alter Schönheit

von Christoph Arens  09.11.2025

9. November

Erinnerung ohne Empathie ist leer

Wenn Deutschland am Sonntag der Pogromnacht gedenkt, darf Erinnerung nicht nur rückwärtsgewandt sein. Sie muss auch die Angst der Juden von heute im Blick haben

von Tobias Kühn  09.11.2025

Deutschland

Auschwitz-Komitee: Demokratie vor Attacken schützen

Das Internationale Auschwitz Komitee sieht mit Sorge einen Rechtsruck. Zum Jahrestag der Reichspogromnacht fordert es Solidarität mit den Schoa-Überlebenden

 09.11.2025

Berlin

Israels Botschafter: Linker Antisemitismus am gefährlichsten

Ron Prosor, israelischer Botschafter in Deutschland, differenziert zwischen linkem, rechtem und islamistischem Antisemitismus. Und erläutert, welchen er für den gefährlichsten hält

 09.11.2025

Urteil

Betätigungsverbot für israelfeindlichen Aktivisten war rechtswidrig

Ghassan Abu-Sittah, der der israelischen Armee vorwirft, vorsätzlich Kinder zu töten, hätte auf dem »Palästina-Kongress« sprechen dürfen

 08.11.2025

Meinung

Wieder ein Milliarden-Blankoscheck für Palästina?

Europa will den Wiederaufbau Gazas mit 1,6 Milliarden Euro fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, durch Scheckbuchdiplomatie etwas zum Besseren verändern zu können?

von Jacques Abramowicz  08.11.2025

Jerusalem

Bischof Azar bedauert Irritation durch »Völkermord«-Äußerung

Weil er in einem Gottesdienst in Jerusalem von »Völkermord« an den Palästinensern sprach, hat der palästinensische Bischof Azar für Empörung gesorgt. Nun bedauert er, dass seine Worte Irritation ausgelöst haben

von Christine Süß-Demuth  07.11.2025

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten besetzen ZDF-Hauptstadtstudio

Die Polizei musste die Besetzung beenden

 07.11.2025