Antisemitismus

QAnon und das Virus

Anti-Corona-Großdemo im August 2020 am Brandenburger Tor: Experten warnen davor, die sogenannten Querdenker-Proteste zu unterschätzen. Foto: picture alliance / SULUPRESS.DE

Es war eine bezeichnende Situation: Eine Frau besuchte einen Supermarkt, als ein anderer Kunde sie musterte. Sie hatte eine Stofftasche dabei, auf der ein Davidstern zu sehen war. Mit Blick auf die Frau sagte der Mann laut zu seiner Begleitperson: »Die waren das mit dem Virus.«

Die Situation, die sich im April 2020 in Berlin ereignete, wurde einer der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) gemeldet. Deren Bundesverband stellte diese Woche gemeinsam mit dem Berliner Büro des American Jewish Committee (AJC) eine Studie vor, die auf erschreckende Zahlen kommt. Demnach wurden innerhalb eines Jahres mehr als 500 antisemitische Vorfälle mit Bezug zur Corona-Pandemie registriert.

Der Bundesverband RIAS erfasste insgesamt 561 derartige Vorfälle – im Durchschnitt ereignet sich so etwas also jede Woche fast elf Mal. Und das sind nur die gemeldeten Vorfälle. Bei knapp 60 Prozent davon ging es um antisemitische Äußerungen auf Versammlungen und Demonstrationen. »Mit dem Beginn staatlicher Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie im März 2020 kam es in Deutschland zu einer gesellschaftlichen Situation, die für viele auch antisemitische Verschwörungsmythen attraktiver erscheinen ließ«, heißt es zur Erklärung in der Studie.

SPEKTRUM Zwar seien die Proteste auf den Straßen »weitgehend von rechtsex­tremen Kräften dominiert worden«, doch hätte »dort ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Zahl von Personen aus dem bürgerlichen Spektrum teilgenommen«, die sich entweder am offensichtlichen Antisemitismus nicht gestört oder diesen sogar geteilt hätte, schreibt Remko Leemhuis, Direktor des Berliner AJC, in seinem Vorwort zu der Untersuchung. Das AJC hatte die Studie mit dem Titel »Antisemtische Verschwörungsmythen in Zeiten der Coronapandemie« in Auftrag gegeben.

Bei der Vorstellung der Publikation auf einer Pressekonferenz am Montag in Berlin warnte Leemhuis davor, das Milieu der sogenannten Querdenker-Proteste zu unterschätzen. Zwar wirkten die »abstrusen Verschwörungsideologien«, denen viele Mitglieder dieser Bewegung anhängen, lächerlich. Doch auch die Attentäter von Halle und Hanau wie auch der Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke seien Anhänger von Verschwörungsideologien gewesen, wie sie »zum Teil auch auf den Hygienedemos geäußert wurden«, so Leemhuis.

Laut Studie griffen auch Politiker der AfD Inhalte der QAnon-Bewegung auf.

Ein besonderes Augenmerk legt die Studie auf die QAnon-Bewegung. Dieser in den USA entstandene Mythos greife »auf bereits existierende Elemente von Verschwörungsmythen zurück«. Unter dem Dach von QAnon würden »teils jahrhundertealte antisemitische und rassistische Denkmuster mit aktueller Weltpolitik zusammengestrickt«, heißt es in der Untersuchung. Die Ideologie, Slogans und Symbole von QAnon hätten den Charakter des Sturms auf das US-Kapitol am 6. Januar geprägt.

Deutsche Verschwörungsideologen wie Oliver Janich hätten den Mythos hierzulande bereits Ende 2017 verbreitet. Mit dem QAnon-Mythos würden antisemitische Handlungen, darunter Straftaten, auch jenseits des Internets, legitimiert. Bei den Großdemonstrationen der Querdenken-Szene im Sommer 2020 in Berlin seien zahlreiche Symbole und Codes der QAnon-Bewegung zu sehen gewesen.

Daniel Poensgen vom Bundesverband RIAS, Co-Autor der Untersuchung, erläuterte, es handele sich um ein verschwörungsideologisches Spektrum, in dessen Weltbild der Glaube an Verschwörungen im Mittelpunkt stehe. Zahlenmäßig sei die Bewegung zwar relativ klein und finde vorwiegend im Internet statt, besonders in sozialen Netzwerken wie Telegram. Doch griffen auch Politiker der AfD deren Inhalte auf.

INTERNET Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Partei »Die Linke« dankte RIAS und AJC für die Studie. Sie komme zur richtigen Zeit und sei sehr wichtig. Die Untersuchung zeige, wie sehr das Internet der Verbreitung des Verschwörungs­denkens Geschwindigkeit verleihe. Es bedürfe deshalb breiterer Aufklärung über die Mechanismen dieser Ideologien und die Gefahren, die von ihnen für die Demokratie ausgingen. Die Studie gehöre in die Aus- und Weiterbildung von Polizei, Justiz sowie Pädagogen. »Wir müssen außerdem viel mehr die Perspektive der Betroffenen in den Blick nehmen«, ergänzte Pau.

Der Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser, Antisemitismusbeauftragter der FDP-Bundestagsfraktion und Obmann seiner Fraktion im Innenausschuss, sagte, die Studie helfe auch den Abgeordneten in ihrer Arbeit. Anschläge wie der in Halle hätten gezeigt, dass bezüglich Antisemitismus die Analysefähigkeit der Sicherheitsbehörden wie auch anderer staatlicher Stellen verbessert werden müsse.

»Wir haben es bei Halle erlebt, dass keine Polizei an Jom Kippur vor der Synagoge stand.« In Wuppertal hätten Behörden und Gerichte die von palästinensischen Jugendlichen auf eine Synagoge geworfenen Molotowcocktails nicht als Antisemitismus eingestuft. Die Politik müsse gemeinsam mit der Zivilgesellschaft die »Resilienz der Gesellschaft« gegen Antisemitismus stärken, so Strasser.

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