Ukraine-Krieg

Putins treue Garde

Russische Fahne bei einer »Corona-Demo« in Görlitz am Montag Foto: IMAGO/Andre Lenthe

Seit ewigen Zeiten kämpften zwei Geheimbünde um die Macht auf der Welt, im Zentrum des Ringens stehe Russland, das die Kräfte des Bösen vernichten will. So ordnet das »Compact«-Magazin, eine der wichtigsten Publikationen im Milieu der AfD-Wählerschaft, von »Querdenkern« sowie Anhängern von Verschwörungslegenden, die aktuelle Lage ein. Das Magazin um Chefredakteur Jürgen Elsässer marschiert auch nach dem Überfall auf die Ukraine unbeirrt im Gleichschritt mit dem Putin-Regime. »Raus aus der NATO! Für einen Friedensvertrag mit Russland« – lautet die Schlagzeile der April-Ausgabe.

In dem Blatt ist dann von »biblischen Offenbarungen« zu lesen, vom »geheimen ›Kult des roten Drachens‹, ein weltumspannendes Netzwerk, das die Menschheit seit Beginn der Zeiten im Auftrag des Teufels« korrumpiere, sowie »anderen alten religiösen Schriften«, in denen »vor den Machenschaften dieses Ordens gewarnt« werde. In diesem Parforceritt durch esoterische und antisemitische Legenden darf der russische Ideologe Alexander Dugin nicht fehlen. Am Ende kulminiert die Hitliste der Verschwörungsmythen in dem Klassiker, die Oktoberrevolution 1917 sei »durch Agenten und mit Mitteln der westlichen Hochfinanz ausgelöst« worden.

Feindbilder Solche Feindbilder schweißen die heterogene Kundschaft, die von »Compact« ideologisch beliefert wird, zusammen – und verbinden sie mit Putins Propaganda. Neben der NATO gehört zu den Feindbildern ein durch angebliche »Cancel Culture« und »Gender-Theorien« verweichlichter Westen. So bezeichnete Putin beispielsweise das Lehren über Geschlechterfluidität im Oktober 2021 als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«.

Neben der NATO gehört zu den Feindbildern ein durch angebliche »Cancel Culture« und »Gender-Theorien« verweichlichter Westen.

Folgt man diesen Ausführungen, wird Russland also einerseits durch das westliche Militärbündnis in seiner Existenz bedroht, andererseits sei der Westen durch Dekadenz sowie gesellschaftlichen Liberalismus kaputt und verweichlicht – so die widersprüchlichen Behauptungen.

Solche logischen Kurzschlüsse gehören fest zum Verschwörungsdenken und somit zur »Querdenken«-Bewegung, deren Stichwortgeber – bis auf wenige Ausnahmen – seit dem Angriff auf die Ukraine russische Propaganda in Deutschland verbreiten. Für das verschwörungsideologische Milieu sind die Themen austauschbar; die Struktur der Verschwörungslegenden – böse Strippenzieher, die mithilfe von Marionetten den wahrhaften Volkswillen manipulieren und unterdrücken – wird zu einem universellen Welterklärungsmuster, sämtliche aktuellen Ereignisse können durch eine antisemitisch grundierte Wahrnehmung eingeordnet werden.

Beispielhaft ist das an den QAnon-Netzwerken zu beobachten. Diese treten neuerdings auffallend wohlgesonnen gegenüber China auf, das für Putin ein wichtiger Verbündeter ist. Eine Analyse des britischen Thinktank-Instituts für strategischen Dialog (ISD) stellt fest: »In erstaunlich kurzer Zeit scheint Xi Jinping im QAnon-Verschwörungspantheon von einem Bösewicht zu einem Helden umgestaltet worden zu sein.« Die Erzählungen erinnern an Legenden, die früher über Donald Trump gesponnen wurden: So sei Xi Vorkämpfer gegen einen »tiefen Staat« und gegen den westlichen Liberalismus. Das ISD warnt, QAnon könnte zum Einfallstor für Chinas Propaganda werden.

Geradezu trotzig hält die Szene an ihrer Lichtgestalt fest.

Auf deutschen Straßen und Marktplätzen wehen derweil weiter russische Flaggen. Geradezu trotzig hält die Szene an ihrer Lichtgestalt Putin fest. »Das ist kein russischer Angriffskrieg. Sie müssen ja nur mal dem Herrn Putin zuhören«, erklärte Ende März ein Mann auf einer Kundgebung gegen Corona-Maßnahmen in Dresden.

»Wenn diese Informationen in Ihrem Fernsehen«, gemeint ist das ARD-Magazin Kontraste, »gesendet werden, was ich nicht glaube, dann werden wir mit diesen Informationen Leute anstecken. Geheimdienste schützen das System. Und jeder, der das sagt, so wie ich hier gerade, riskiert sein Leben dafür.« Zudem erzählt der Mann fast wortgleich, was in »Compact« zu lesen ist: »Es ist kein ukrainisch-russischer Konflikt. Die große Suppe, die ist vom US-Finanzimperialismus gekocht. Und deren Interesse ist, die Kontrolle über die gesamte Welt zu haben.«

Verschwörungsgläubige Neue Weltordnung, US-Finanzimperialismus, gesteuerte Medien – Schablonen, die auf jeden Konflikt gelegt werden. Meist müssen Juden als angebliche Hintermänner gar nicht explizit genannt werden – die Verschwörungsgläubigen verstehen die antisemitischen Chiffren auch so.

Die russische Propaganda liefert kontinuierlich neue Narrative, wie zuletzt über angebliche Biowaffen-Labore in der Ukraine, die von den USA geheim betrieben würden. Warum auch immer die USA dies nahe der russischen Grenze tun sollte. Auch AfD-Politiker übernehmen diese Propaganda-Vorlagen. Immer neue Recherchen zeigen, wie viel Aufwand Russland betrieben hat, die Kontakte zu rechtsextremen und verschwörungsideologischen Milieus im Westen zu pflegen.

Die russische Propaganda liefert kontinuierlich neue Narrative, wie zuletzt über angebliche Biowaffen-Labore in der Ukraine, die von den USA geheim betrieben würden.

Damit wird einerseits das demokratische System attackiert, gleichzeitig lassen russische Staatssender gerne ihre »nützlichen Idioten« zu Wort kommen, um über angeblich diktatorische Zustände im Westen zu berichten. Die AfD ringt nun mit sich selbst, wie viel Nähe zum Kreml noch in der Partei zugelassen werden könne.

Falschbehauptungen Doch Putins treue Garde verschwindet nicht einfach. Nach den Berichten über mutmaßliche russische Kriegsverbrechen in Butscha teilte der AfD-Politiker Johannes Normann unter anderem Tweets der russischen Botschaft in Berlin. Darin wird behauptet, bei den Foto- und Videoaufnahmen handele es sich »unwiderlegbar« um eine »weitere Inszenierung des Kiewer Regimes für westliche Medien, so wie es auch mit der Geburtsklinik in Mariupol und in anderen Städten der Fall war«.

Wie nach einem Baukasten-Prinzip werden die verschiedenen Falschbehauptungen immer wieder neu zusammengestellt, um von Verbrechen abzulenken, sie zu relativieren und die Öffentlichkeit zu verwirren. Die russischen Staatssender können zwar nur noch sehr eingeschränkt in Deutschland ihre Propaganda direkt verbreiten. Von dem weit verzweigten Netzwerk aus AfD-Anhängern, »Querdenkern« und Putin-Freunden werden diese Botschaften aber gerne aufgenommen und gestreut. Putins treue Garde ist weiter im Dienst.

Kommentar

Den Nachkommen der Schoa-Opfer kaltschnäuzig und nassforsch die Leviten gelesen

Ausgerechnet zum 60. Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen kritisiert die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann die Kriegsführung in Gaza, und das auch noch, ohne die Hamas zu erwähnen

von Esther Schapira  16.05.2025

Nahost-Diplomatie

Medien: Syrien und Israel führen indirekte Gespräche. Trump: »Al-Sharaa ist ein starker Typ«

Der US-Präsident forciert bei seinem Nahostbesuch die Idee weiterer Abraham-Abkommen mit Israel - auch Syrien soll Interesse signalisiert haben

 16.05.2025

Justiz

Ankläger von Weltstrafgericht tritt zurück

Chefankläger Karim Khan wird des sexuellen Missbrauchs beschuldigt

 16.05.2025

Interview

»Es hätte viel kürzer und klarer sein müssen«

Peter Neumann über das AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes, die internationale Debatte darüber und ein mögliches Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei

von Nils Kottmann  16.05.2025

Gedenken

Sinti und Roma erinnern an Widerstand in Auschwitz-Birkenau

An diesem Tag sollte der Lagerabschnitt B II e, das sogenannte »Zigeunerlager«, in dem Tausende von Sinti und Roma inhaftiert waren, aufgelöst und sämtliche Häftlinge in den Gaskammern ermordet werden

 16.05.2025

Interview

»Außenpolitik geht nicht mit Belehrungen«

Der Bundestagsabgeordnete Armin Laschet (CDU) über die Nahostpolitik der neuen Bundesregierung, deutsche Geiseln in Gaza und die Zukunft der Abraham Accords

von Joshua Schultheis  16.05.2025

Berlin

»Die rohe Gewalt der Demonstranten erschüttert mich«

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, verurteilt Angriffe gegen Polizisten bei israelfeindlicher Kundgebung

von Imanuel Marcus  16.05.2025

Tel Aviv/Ravensburg

Ricarda Louk kämpft für das Andenken an ihre Tochter Shani

Am 7. Oktober 2023 wollte Ricarda Louks Tochter mit anderen jungen Menschen tanzen und feiern – dann kam das Massaker der Hamas. Vor einem Jahr wurde Shanis Leiche gefunden. So geht es ihrer Familie heute

 16.05.2025

Berlin

Polizist von Israelhassern beinahe zu Tode geprügelt – 56 Festnahmen bei »propalästinensischer« Demonstration

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) verurteilt die Tat und die bei der Kundgebung verbreitete »antisemitische Hetze«

von Imanuel Marcus  16.05.2025 Aktualisiert