Medien

Notizen aus der Provinz

Wir wollten über den Antisemitismus sprechen, der in diesen Tagen durch unsere Straßen getragen wird», sagt Ilana Katz. Daher lud die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel zu einem Pressegespräch ein und präsentierte den versammelten Lokaljournalisten eine Dokumentation antisemitischer Äußerungen, die im Zusammenhang mit Demonstrationen gefallen waren, die in Kassel zum Gazakonflikt stattgefunden hatten.

Einer der Lokaljournalisten fragte Katz: «Warum distanziert sich die jüdische Gemeinde nicht vom Krieg? Das würde hier vor Ort zur Deeskalation beitragen.»

distanz Viele Juden in Deutschland erleben derzeit, dass man sie für Vertreter des Staates Israel hält und, wenn sie dagegen halten, ihnen rät, sie sollten sich doch dann bitte von der Politik der Regierung Netanjahu in Jerusalem distanzieren. Jüngst kommentierte die Berliner «taz»: «Um es manchen schlichter gestrickten Menschen etwas einfacher zu machen, zwischen Juden und dem israelischen Staat zu unterscheiden, würde es allerdings helfen, wenn sich der Zentralrat der Juden in Deutschland nicht ganz so rückhaltlos hinter die Politik der israelischen Regierung stellen würde, wie er das derzeit tut.»

Häufiger als die überregionale «taz» sind es aber lokale Medien, die solche Einstellungen verbreiten und damit kleinere jüdische Gemeinden verunsichern.

Wie jener Journalist in Kassel. Im Interesse ihrer eigenen Sicherheit, so die Logik, mit der er Ilana Katz konfrontierte, sollten sich die Kasseler Juden erst einmal von Israels Politik distanzieren. Derlei Ratschläge findet der Sprecher des Bündnisses gegen Antisemitismus Kassel, Jonas Dörge, schlicht unverschämt. «Für manche Journalisten ist die Jüdische Gemeinde offenbar ein Konsulat Israels», sagt er. «Dabei müsste doch klar sein, dass die Juden in Deutschland keine Israelis sind und umgekehrt auch nicht alle Israelis Juden», so Dörge.

In Kassel war die Berichterstattung über die anti-israelischen Demonstrationen aber ohnehin lückenhaft. So hatte die Lokalzeitung Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA) in ihrer Berichterstattung Rufe wie «Scheißjuden» und das mehrmalige Zeigen des «Hitlergrußes» nicht erwähnt. «Auch deswegen haben wir das Pressegespräch angeboten», sagt Ilana Katz.

wissen Dass im Lokaljournalismus Ambition und Wirklichkeit oft auseinanderklaffen, hat auch der Göttinger Antisemitismusforscher Samuel Salzborn beobachtet. «Beim aktuellen Konflikt hat das damit zu tun, dass sich nur wenige Lokaljournalisten die Mühe machen, die Grundzüge des Problems zu verstehen», sagt Salzborn. Die Anti-Israel-Demonstrationen seien klar judenfeindlich ausgerichtet. «Wem das nicht auffällt, der hat sich offenbar noch nie ernsthaft mit Antisemitismus befasst», so der Politikwissenschaftler. Die meisten Parolen seien antisemitisch. Zudem seien viele der gegen Israel gerichteten Anschuldigungen leicht als Lügen zu erkennen.

Dass es vielen Journalisten an Wissen mangelt, zeigt auch die Verwendung falscher Begriffe. Oft wird Antisemitismus mit Ausländerfeindlichkeit gleichgesetzt. Und die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) etwa sprach jüngst von «antijüdischem Rassismus», als wäre Judenfeindschaft einfach eine Spielart des Rassismus. «Antisemitismus basiert auf der Angst vor einer abstrakten Macht – das ist im Rassismus anders», stellt Salzborn klar.

lob Bei aller Kritik gibt es indes auch positive Erfahrungen mit der Lokalpresse. Als lobenswert gilt etwa die Berichterstattung der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) über die Welle anti-israelischer Demonstrationen. Der Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Michael Szentei-Heise, hat in seiner Region ebenfalls eine sensible Lokalberichterstattung wahrgenommen. Lob von vielen Seiten erntet auch die örtliche Frankfurter Presse. Das aggressive Auftreten anti-israelischer Demonstranten bei einer Kundgebung in der Frankfurter Innenstadt sei von der Lokalpresse überwiegend korrekt berichtet und klar problematisiert worden, sagt die Vorsitzende der örtlichen Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Claudia Korenke.

Nicht so in Kassel. Hier räumte die HNA zwar nach dem Pressegespräch erstmals ein, dass es bei der anti-israelischen Demonstration «vereinzelt auch antisemitische Beschimpfungen» gegeben habe. Statt aber die Erklärung der Jüdischen Gemeinde abzudrucken, ließ das Blatt lieber ausführlich den Politologen Werner Ruf von der örtlichen Hochschule zu Wort kommen, der als sogenannter Israelkritiker nicht nur ein zweifelhaftes Renommee genießt, sondern auch als früherer Inhaber eines Lehrstuhls für Internationale Beziehungen beim besten Willen kein Experte für Antisemitismus ist. Ruf beschwichtigte und sagte zu den laut gewordenen judenfeindlichen Parolen: «Es gibt keinen Grund für Ängste.»

Die Kasseler Gemeindevorsitzende Ilana Katz kann sich angesichts solcher Entwarnungen nur wundern. «Der spürbar gewordene Antisemitismus beunruhigt viele unserer Mitglieder», sagt sie. «Gerade nach dem Anschlag auf die Wuppertaler Synagoge kann man das nicht einfach wegdiskutieren.»

Meinung

Die AfD schreckt vor nichts mehr zurück

Im Bundestag bagatellisiert die AfD sogar den Völkermord an bosnischen Muslimen 1995, um gegen Muslime in Deutschland zu hetzen

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025

Berlin

AfD-Eklat im Bundestag bei Debatte über Völkermord

Der Bundestag unterbricht seine Haushaltsberatungen für eine Diskussion zum Gedenken an das Kriegsverbrechen in Srebrenica vor 30 Jahren. Bei AfD-Reden kommt es zum Skandal

 11.07.2025

Justiz

Berufung wegen antisemitischer Inhalte auf X zurückgewiesen

Das Landgericht hatte die Klage im Juni 2024 mit Verweis auf fehlende internationale Zuständigkeit abgewiesen

 11.07.2025

Ravensbrück

Familie von KZ-Überlebender erhält Ring zurück

Im Frühjahr war es demnach einer Freiwilligen gelungen, die Familie von Halina Kucharczyk ausfindig zu machen

 11.07.2025

Thüringen

Voigt für deutsch-israelisches Jugendwerk in Weimar

Er führe dazu Gespräche mit israelischen Partnern, die bereits Interesse an einer Ansiedlung in Thüringen signalisiert hätten

 11.07.2025

Washington D.C.

US-Behörde wartet auf Daten zu attackierten Iran-Atomanlagen

In welche Tiefen drangen die bunkerbrechenden Bomben in die iranischen Atomanlagen vor? Die für die Entwicklung der Bomben zuständige Behörde hat darauf noch keine Antwort

 11.07.2025

Sarajevo/Berlin

Rabbiner: Srebrenica-Gedenken in Deutschland besonders wichtig

8.000 Tote und eine Wunde, die nicht verheilt: Heute gedenkt die Welt der Opfer des Massakers von Srebrenica. Das liberale Judentum sieht eine gemeinsame Verantwortung - auch bei der deutschen Erinnerungskultur

 11.07.2025

Brüssel

EU baut Drohkulisse gegen Israel auf

Die EU will Israel zu einer besseren humanitären Versorgung der Menschen in Gaza drängen - und präsentiert das Inventar ihrer Daumenschrauben

 11.07.2025

Berlin

Mehr Verfahren wegen Antisemitismus eingeleitet

Die Berliner Staatsanwaltschaft bearbeitet Hunderte Fälle mit antisemitischem Hintergrund

 11.07.2025