Meinung

Mit dem Recht gegen Antisemitismus

Über die Notwendigkeit von Gesetzesänderungen zur Bekämpfung von Judenfeindlichkeit

von Susanne Krause-Hinrichs  15.09.2023 07:49 Uhr

Susanne Krause-Hinrichs Foto: ©Foto-Blumrich 2014

Über die Notwendigkeit von Gesetzesänderungen zur Bekämpfung von Judenfeindlichkeit

von Susanne Krause-Hinrichs  15.09.2023 07:49 Uhr

Die Erkenntnis, dass Antisemitismus noch immer ein zentrales Problem in unserer Gesellschaft ist, setzt sich nur langsam durch. Viel zu langsam! Denn Antisemitismus bedroht aktuell sowohl unsere demokratische Verfasstheit als auch das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Persönlichkeitsrechte von Juden. Und auch die von Nicht-Juden!

Sind unsere Rechtsgrundlagen wirklich geeignet, diese Bedrohungen abzuwehren? Nein. Zumindest können sie offensichtlich nicht verhindern, dass der Judenhass wieder aufflammt. Die Anzahl antisemitischer Straftaten steigt wieder, und zwar stark. Diese Bedrohung hat ein Ausmaß angenommen, das seit dem Ende des Nationalsozialismus nicht mehr für möglich gehalten worden ist.

auftrag Die Verantwortung aus der Schoa formuliert nun aber einen fortwährenden, man kann sagen: ewigen Auftrag an den deutschen Staat, Judenhass zu bekämpfen und jüdisches Leben zu schützen. Die Gesetze und Rechtsvorschriften, die unser aller Leben in dieser Gesellschaft bestimmen, müssen dem Rechnung tragen. Sie bilden nämlich die Grundlage für den Kampf gegen Antisemitismus. Letzteren zu sanktionieren geht nur mit dem Recht.

Zumal erst Gesetze die notwendige Handhabe für behördliches Handeln bieten und zugleich klare Signale in die Gesellschaft hinein geben. Geradezu ein Grundgesetz des Handelns ist: So wie die Welt sich verändert, müssen sich auch die Gesetze verändern. Das Recht muss mit der Rechtswirklichkeit Schritt halten. Und das gilt nicht zuletzt für die Antisemitismusbekämpfung.

Tatsache ist aber, dass Antisemitismus im Strafgesetzbuch überhaupt nicht vorkommt. Antisemitische Handlungen sind nicht zwangsläufig verboten oder strafbar. Es gibt demgemäß auch keine gesetzliche Definition des Antisemitismus. Diese Leerstelle füllt sich von selbst und verursacht Unsicherheit.

definition In seiner Vielfalt und Wandelbarkeit wird der Antisemitismus oft nicht recht erkannt. Der erste Schritt, wenn man ihn bekämpfen will, ist, ihn zu erkennen und dann rechtssicher zu benennen. Die IHRA- Definition zu Antisemitismus, beispielsweise, ist eine gute Arbeitsgrundlage - aber verbindlich und dauerhaft kann sie erst durch gesetzliche Festlegung wirken.

Der Straftatbestand der Volksverhetzung greift zu oft nicht. So hat es die Staatsanwaltschaft Braunschweig vor Kurzem zunächst abgelehnt, den Schlachtruf »Judenpresse, Judenpack, Feuer und Benzin für euch« wegen Volksverhetzung zu ahnden. Antisemitisch aufgeladene Corona-Demonstrationen mit gelben »ungeimpft-Sternen« oder Konzerte mit antisemitischen Symbolen sind bisher schwierig bis unmöglich juristisch zu unterbinden.

Die Bundesrepublik Deutschland ist nur dann glaubhaft als Garant für jüdisches Sein in Deutschland, wenn Antisemitismusprävention auch bundesrechtliches Staatsziel ist.

Hier zeigt sich also eine Lücke im Recht, die wirksames staatliches Handeln verhindert. Der Gesetzgeber darf das nicht zulassen; er muss klare rechtliche Grundlagen und Definitionen schaffen, die Behörden, Staatsanwälte und Gerichte verpflichten. Diese Klarheit hilft ihnen zugleich, wirksam gegen Antisemitismus vorzugehen. Das betrifft insbesondere auch Handlungen im Internet, in dem antisemitische Botschaften täglich millionenfach verbreitet werden. So wird Hass auf Juden angefacht.

gewissen Über diesen Lückenschluss auf einfacher gesetzlicher Ebene hinaus geht es aber auch um die Basis unserer Demokratie: das Grundgesetz. Dieses muss angepasst werden, dringend sogar, um dem »Nie wieder!« Nachdruck zu verleihen. Es muss auf diese Weise im nationalen Gewissen verankert werden.

Die Bundesrepublik Deutschland ist nur dann glaubhaft als Garant für jüdisches Sein in Deutschland, wenn Antisemitismusprävention auch bundesrechtliches Staatsziel ist. Brandenburg, Hamburg und Sachsen-Anhalt sind hier mit positivem Beispiel vorangegangen und haben ihre Landesverfassungen entsprechend ergänzt.

Ein Letztes: Die Wiederkehr des Totalitären ist damit aber nicht abgewendet. Rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte versuchen immer intensiver, die Demokratie auszuhöhlen. Sollte es der AfD gelingen, Regierungsverantwortung zu erlangen, könnte sie auf Jahre hinaus rechtsextreme und undemokratische Politik absichern - durch personelle Besetzungen in Gerichten und Behörden, aber gerade auch durch die Änderung von einfachen Gesetzen. Wenn dazu zivilgesellschaftliche Kräfte, die aktiv aufklären und ein tolerantes Gegengewicht bilden, behindert werden, indem ihnen Mittel gestrichen werden, dann wird die Unterwanderung des demokratischen Systems endgültig ein gesamtgesellschaftliches Problem. Das darf der aufgeklärte Souverän des 21. Jahrhunderts nicht zulassen. Soviel Lehre aus der Geschichte muss gesichert sein.

Die Autorin ist Geschäftsführerin der F.C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz, www.stiftung-toleranz.de

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