Rechtsextremismus

Minister Reul: Ausmaß rechtsextremer Chatgruppen nicht absehbar

Foto: imago

Das Ausmaß rechtsextremer Chatgruppen in der nordrhein-westfälischen Landespolizei ist nach Darstellung von Landes-Innenminister Herbert Reul (CDU) noch nicht absehbar. »Ich bin kein Prophet, kein Kaffeesatzleser im Gegensatz zu manchen, der immer alles schon weiß. Ich fange jetzt einfach systematisch an«, sagte Reul am Donnerstag im WDR2 auf die Frage, was nach der Entdeckung von fünf Chatgruppen, der Beschlagnahme von Handys und Durchsuchungen noch herauskomme. Ermitteln, aufklären, bestrafen, laute die Devise. Neben den Polizeichefs und den Landräten wolle er auch die untere und mittlere Führungsebene der NRW-Polizei stärker in die Pflicht nehmen.

Zur Frage, warum die Chatgruppen nicht früher in den Dienststellen aufgefallen seien, sagte Reul im WDR2, er habe derzeit keine richtige Erklärung dafür. Es gebe Erklärungsversuche. »Ich glaube, dass zu oft noch Polizisten meinen, sie müssten durch Kameradschaft alles decken.« Wer das mache, wer schweige, müsse aus dem Polizeidienst raus. Reul appellierte, rechtsextreme Chats zu melden: »Ja, ihr müsst zusammenhalten, ihr müsst euch aufeinander verlassen in Notlagen. Aber umgekehrt, ihr habt alle einen Eid geschworen, euch an die Gesetze und an die Verfassung zu halten. Und wenn ein Kollege das nicht macht, müsst ihr das melden, das ist genauso eure Pflicht.«

ZENTRALRAT Zentralratspräsident Josef Schuster zeigte sich zutiefst besorgt. Es sei »allerhöchste Zeit, genau hinzusehen und Rechtsextremismus bei der Polizei konsequent zu verfolgen und zu ahnden«, sagte Schuster der Jüdischen Allgemeinen.

Derartige Fälle würden »einen dunklen Schatten auf die Arbeit der Polizei« werfen. »Denn ich bin überzeugt, dass die große Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten sich dem demokratischen Rechtsstaat verpflichtet fühlt und eine unverzichtbare Arbeit für unsere Gesellschaft leistet. Als Angehörige der Sicherheitsbehörden tragen sie eine besondere Verantwortung. Antisemitismus, die Verherrlichung der NS-Zeit und Rassismus dürfen keinen Platz bei der Polizei haben«, so Schuster weiter.

Um Klarheit und Vertrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden zu erhalten, halte er eine Studie zu antisemitischen, rassistischen und rechtsextremen Tendenzen bei der Polizei für sinnvoll.

Der Kriminologe Prof. Tobias Singelnstein fordert anonyme Meldeverfahren für interne Missstände bei der Polizei. »Man kann sich ja nicht vorstellen, dass so ein Netzwerk innerhalb der Polizei niemandem aufgefallen ist«, sagte er der dpa. »Aber wenn einer etwas bemerkt, gilt bisher in der Regel der offizielle Dienstweg. Zugleich wird das »Anschwärzen« von Kollegen in der Polizei nach wie vor nicht goutiert.« Anonyme Whistleblower-Kommunikationsangebote gebe es bei der Polizei nur in zarten Anfängen, sagte der Bochumer Experte.

DISZIPLNARMASSNAHMEN In Nordrhein-Westfalen waren fünf rechtsextreme Chatgruppen aufgedeckt worden, an denen 29 Polizistinnen und Polizisten beteiligt gewesen sein sollen. Die Betroffenen seien suspendiert worden, gegen alle seien Disziplinarmaßnahmen eingeleitet worden, hatte Reul am Vortag bekanntgegeben. 14 Beamte sollen aus dem Dienst entfernt werden. Der NRW-Innenminister will am späten Donnerstagmittag (13.05 Uhr) den Landtag in Düsseldorf über den Ermittlungsstand informieren.

BKA-Präsident Holger Münch warnt vor einem Vertrauensverlust. »Das sind Vorfälle, die das Vertrauen in die Polizei erheblich erschüttern«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

CDU-Innenexperte Armin Schuster sieht keine deutschlandweiten Netzwerke in der Polizei. Zwar spreche er schon seit Jahren nicht mehr von Einzelfällen. »Aber ich sehe auch noch nicht Strukturen über ganz Deutschland, Netzwerke über ganz Deutschland, die gezielt zusammenarbeiten«, sagte Schuster im ARD-»Morgenmagazin«.

Die Grünen im Bundestag fordern einen Beschluss der Innenministerkonferenz, in allen Bundesländern unabhängige wissenschaftliche Studien über die Verbreitung verfassungsfeindlicher Einstellungen in Sicherheitsbehörden durchzuführen. Es glaube nun kaum noch jemand, »dass wir es lediglich mit Einzelfällen zu tun haben«, sagte die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, dem »Tagesspiegel«. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) lehnt solche Studien bisher ab. dpa/ja

Berlin

»Berlin verneigt sich«

Zwei Monate nach ihrem Tod wird die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Berlin gewürdigt. Der Bundespräsident mahnt vor Politikern und Weggefährten, das Erbe der Jahrhundertfrau weiterzutragen

von Alexander Riedel  09.07.2025 Aktualisiert

Berlin

Berufungsverhandlung gegen X wegen antisemitischer Inhalte

Der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, unterstütze den Prozess

 09.07.2025

Langenau

»Die Aktivisten wollen den Pfarrer und seine Familie zermürben«

Württembergs Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl fordert konkrete Schritte gegen »propalästinensische« Störer vor der Martinskirche. Die Stadt habe »versucht, es auszusitzen«

 09.07.2025

Berlin

Lahav Shapira verklagt FU: Prozess beginnt Dienstag

Der attackierte Student wirft seiner Universität vor, zu wenig gegen Antisemitismus auf dem Campus getan zu haben

 09.07.2025

Meinung

BSW und AfD: Zwei Ausprägungen desselben autoritären Denkens

Sahra Wagenknecht und ihre Partei nähern sich den Rechtsextremen immer weiter an. Spätestens jetzt ist klar: Am BSW gibt es nichts Progressives

von Igor Matviyets  09.07.2025

Interview

»Schau ma mal, dann seng ma scho«

Josef Schuster über 75 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland, Herausforderungen für die Gemeinden und die Frage, ob er für eine weitere Amtszeit kandidieren will

von Leticia Witte  09.07.2025

Berlin

Merz: Israels Angriffe auf Iran sind völkerrechtskonform

Sind die israelischen Angriffe auf den Iran vom Völkerrecht gedeckt? Der Kanzler nimmt dazu nun eine eindeutige Haltung ein

 09.07.2025

Berlin

Millionenförderung für jüdisches Leben

Die sogenannten Staatsleistungen machten dabei fast 8,9 Millionen Euro in dieser Summe aus. Als Zuwendung für personelle Sicherheitsleistungen flossen den Angaben zufolge 6,1 Millionen Euro

 09.07.2025

Skandal-Band

Felix Klein fordert, Konzerte von »Bob Vylan« abzusagen

Das britische Punk-Duo hatte bei einem Auftritt israelischen Soldaten den Tod gewünscht

von Hannah Schmitz  09.07.2025