Schimon Peres in Deutschland – da ging es in vielen Nachrufen um einen großen ernsten Mann, den nichts so beherrschte wie die emotionale Last der Schoa: von seinem allerersten heimlichen Deutschlandbesuch 1957 bis zu seiner Rede am Holocaust-Gedenktag 2010 im Bundestag.
Es gab aber auch einen ganz anderen Peres in Deutschland: entspannt, wissbegierig und viel witziger und umgänglicher als der normale Spitzenpolitiker auf Visite im Ausland. So erlebte ich ihn 1997 in einer kleinen Runde mit Journalisten in Bonn. Peres ging mit klugen und weniger klugen Fragen nach dem damals schon festgefahrenen Friedensprozess ebenso geduldig um wie mit Erkundigungen nach der vertrackten israelischen Innenpolitik.
widersacher Kein richtig böses Wort über die palästinensischen Kontrahenten, und erst recht nicht über seine Widersacher in der Jerusalemer Politik. Und auf die Frage aller Fragen hatte Peres, seinerzeit Oppositionsführer in der Knesset, eine verblüffende Antwort: Warum hatte er sich vom Hardliner zum Friedenspolitiker gewandelt, trotz aller militärischen Gefahren und aller innenpolitischen Rückschläge?
Das sei doch ganz einfach, antwortete er: »Wir wollten endlich den Konflikt mit dem Genossen Wischnewski beenden!« Nicht nur ein Witz: Wenn Peres in seinem ganzen Leben eines bitterernst war, dann der Kampf um die Beilegung von Konflikten, der Kampf auch um Sympathie und Anerkennung für sich und seinen Staat.
Jüngere Deutsche wussten damals schon nicht mehr so genau, dass der SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski, damals längst im Ruhestand, lange Jahre der beste Freund der Araber in der westdeutschen Politik gewesen war.
journalisten Das Gespräch wurde für die deutschen Journalisten aber noch schwieriger. Peres antwortete nicht mehr auf Fragen, sondern stellte selbst welche, neugierig und auf der Basis eines enormen Vorwissens: Um die Pläne für den Hauptstadtumzug nach Berlin ging es, um die Machtkämpfe deutscher Spitzenpolitiker untereinander, um die bevorstehende Einführung des Euro. Einigen Gesprächsteilnehmern fehlten auf Englisch die Worte für eine vernünftige Antwort. Gut, dass sich in der Runde einer fand, der das Deutsch seiner Kollegen gleich ins Hebräische übersetzen konnte.
Was sich überraschenderweise nach etlichen Jahren auszahlte. Im Mai 2003 war Peres, jetzt als Außenminister, in Berlin zu Gast. Die zweite Intifada war voll im Gang, und an der generell düsteren Stimmung änderte auch die Gartenparty nichts, die der israelische Botschafter aus Anlass des Jom Haazmaut und zu Ehren des Ministers gab.
botschaft Hunderte Gäste auf dem großen Rasen hinter der Botschaft, gefühlt noch mehr deutsche und israelische Sicherheitskräfte, und dann endlich die Ankunft des Ministers. Peres schreitet mit seinem Freund und Kollegen Joschka Fischer über den Hauptweg der Gartenanlage, guckt sich um, weicht vom Weg ab.
Panik bei den Bundespolizisten, aber Peres steuert zielsicher auf zwei, drei Gäste zu, Händedruck, »Schalom!« – und der Übersetzer aus der Bonner Runde weiß erst einmal gar nicht, was ihm die unverdiente Ehre verschafft hat. Und fragt später einen israelischen Freund, mit wem ihn der Minister verwechselt haben könnte. »Schimon Peres? Verwechseln? Gibt’s nicht – der hat ein Elefantengedächtnis, und wenn er dich grüßt, dann hat er dich auch gemeint.«
Und so mischt sich jetzt in meine Trauer auch das Gefühl des persönlichen Verlusts.