Hassliebe

Jubelrufe, Zornesröte

Warum bewegt uns Israel so sehr? Warum eskalieren Diskussionen um diesen kleinen Staat am östlichen Rand des Mittelmeers in Deutschland so schnell? Warum quellen, anders etwa als bei den ebenfalls konfliktträchtigen Themen Kongo oder Sri Lanka, die Leserbriefspalten und Reaktionen auf den Internetseiten der Zeitungen über, sobald ein Artikel Israel oder den Nahost-Konflikt behandelt? Warum glauben fast alle geradezu selbstverständlich, ausgerechnet zu diesem politischen Thema eine profunde Meinung haben zu können, ohne auch nur ein einziges Mal vor Ort gewesen zu sein? Warum verlieren die Diskutanten so schnell den Kopf? Der Grund: Israel gilt entweder als Sehnsuchtsort – oder als ein Ort der Schmach.

Die rund 50 Millionen Christen hierzulande sehen vor allem das Heilige Land, den Ort der bekannten Stätten des sogenannten Alten und Neuen Testaments. Es ist ein Zauber, der seit Generationen wirkt und dem sich viele christlich sozialisierte Menschen kaum entziehen können, wenn sie etwa entlang des Sees Genezareth auf Namen und Orte stoßen, bei denen selbst nur entfernt Gläubige oder gar aus der Kirche Ausgetretene denken: Ach, hier war das! Auch die metaphysisch aufgeladene Stimmung in der geschichtsträchtigen Stadt Jerusalem tut da ihr Übriges.

zuflucht Für die weitaus kleinere Gruppe der Juden hierzulande ist Israel meist aus ähnlichen, ebenfalls religiös fundierten Gründen etwas sehr Vertrautes. Oft leben Teile der Familie und Freunde dort. Und: Das Land dient als potenzieller Zufluchtsort, wenn Antisemitismus unerträglich wird. Es ermöglicht Mitgliedern der Diaspora ein unverkrampftes jüdisches Leben – nicht als Minderheit, sondern als Mehrheit.

Die immer wiederkehrende Frage nach der eigenen Identität – Jude und Deutscher – stellt sich hier gar nicht erst. Zudem ist ostentative Israelliebe in einigen jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik ein bewährtes Mittel, um innergemeindliche Verbundenheit über jegliche Frömmigkeits- und Einkommensgrenzen hinweg zu schaffen.

Vielen Deutschen ist Israel schließlich dehalb so nah, weil sich in diesem Land die Vorzüge Europas mit dem Reiz des Orients aufs Faszinierendste verbinden. Der jüdische Staat erscheint als etwas romantisch Verklärtes. Und: Das Leben dort wirkt aufregender und existenzieller als im satten Europa.

Ein Teil der Deutschen neigt außerdem dazu, Israel gefühlsmäßig zu überhöhen, weil dieser Staat ihnen als Beweis dient für die Überlegenheit des westlich-aufgeklärten Gesellschaftsmodells. Kein schöner Gedanke vielleicht, gleichwohl ein folgenreicher. Hinzu kommt, dass eine nicht unerhebliche Anzahl meint, sich selbst und anderen mit einer rasch dahingesagten, aber folgenlosen »Solidarität mit Israel«-Bekundung beweisen zu können, aus der Geschichte gelernt zu haben. So rückt die Schuld des eigenen Volkes, ja vielleicht der eigenen Vorfahren, in den Hintergrund.

Vielen Palästinensern und Arabern gilt Israel dagegen als Land der Schmach. Diese Haltung teilen auch andere Muslime. Sie erleben den jüdischen Staat als blühende Demokratie, während das islamisch geprägte Palästina Ähnliches vermissen lässt.

schmach Für die kleine Gruppe deutscher Rechtsradikaler schließlich ist Israel als jüdischer Triumph über Hitler aus naheliegenden Gründen ein Ort der Schmach. Aber auch die Gefühle vieler Linker dürfen als problematisch gelten. Ihre oft antizionistische Sozialisation in den westdeutschen Universitäten und der DDR lassen sie nicht wirk lich hinter sich, auch wenn der häufig im linken Antizionismus verborgene Antisemitismus in den vergangenen Jahren schon des Öfteren analysiert und wenigstens zum Teil aufgearbeitet wurde.

Die Palästina-Solidarität dieser Linken – auch ein Überbleibsel der Antiimperialismus-Ideologie und der »Dritte Welt«-Romantik dieser Jahre – hat trotz Selbstmordanschlägen, Bürgerkrieg im Gazastreifen und Hamas-Diktatur Bestand. Das nicht selten brutale Vorgehen der israelischen Armee gegen die Palästinenser sowie die teilweise diskriminierende Politik der Netanjahu-Regierung gegenüber nichtjüdischen Israelis liefert fast täglich neues Futter für dieses überkommene Denken.

Ort der Sehnsucht, Ort der Schmach – das macht die Diskussion über Israel und Palästina so erbittert, schwingen dabei doch die eigene Sozialisation, Identität, ja tiefgehende Emotionen mit.

Stets werden die Debatten vor dem Hintergrund der deutschen Schuld für den Holocaust geführt. Da fällt es schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren. Und auch, wenn dies eher Randgruppen sind: Sowohl in der exzessiven Israel-Vergötterung mancher »Anti-Deutscher« wie in der reflexhaften Israel-Verfluchung einiger »Anti-Imps« spiegelt sich das vermutlich uneingestandene Verlangen wider, wenigstens als Enkel der deutschen Tätergeneration auf der richtigen Seite zu stehen. Bei genauer Betrachtung wirken beide Exkulpationsversuche eher lächerlich.

identität Diese vielschichtige Gemengelage macht Gespräche über Israel so unerquicklich, erklärt indirekt aber auch, warum die Kritik der in Berlin lebenden israelischen Autorin Iris Hefets an ihrer Heimat vergangenes Jahr publizistisch so viel Aufsehen erregte, eine heftige innerdeutsche Debatte auslösen und bis heute nachwirken konnte.

Hefets hat vor einem ganz bestimmten Hintergrund argumentiert, nämlich vor dem der aktuellen Debatten, der schärferen Diskussionskultur und dem quälenden Identitätsdiskurs in Israel. Sie tat es in einer Situation, in der Israel einmal mehr durch die offensichtlichen atomaren Träume des iranischen Diktators existenziell bedroht ist.

Es diskutiert sich eben auch in Israel nicht besonders gelassen mit einem Pistolenlauf an der Schläfe. Hefets’ teilweise polemischer Duktus, bei israelischen Autoren nichts Unübliches, konnte wohl nur dort einen funktionierenden Rahmen finden. In Deutschland dagegen landete er zwangsläufig auf dem verminten Gelände der in sich verkeilten Weltanschauungen.

Die Diskussion über Israel sollte zwischen Flensburg und Chemnitz weniger von Gefühlen als von kühler Kenntnis über Vergangenheit und Gegenwart des jüdischen Staates geprägt sein. Leider erschweren dies sowohl die kurzsichtige Politik der Regierung Netanjahu als auch die weitaus gefährlichere der Hamas im Gazastreifen. Nur wenn es uns gelingt, Israel kenntnisreich, differenziert und vor allem gelassen zu betrachten, werden wir mit Recht Kritik üben können – konstruktiv, so wie bei einem guten Freund.

Syrien

Al-Scharaa: Friedensschluss mit Israel nicht ausgeschlossen

Einst kämpfte Ahmed al-Sharaa für islamistische Terrororganisationen. Einem US-Abgeordneten zufolge könnte der neue Staatschef nun in eine ganz andere Richtung gehen

 24.04.2025

Justiz

Teilerfolg Israels vor Internationalem Strafgerichtshof 

Das Weltstrafgericht erließ Haftbefehl gegen Israels Premier Netanjahu. Israel legte Einspruch ein, doch scheiterte - bis jetzt

 24.04.2025 Aktualisiert

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus ist am Montag im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  24.04.2025 Aktualisiert

Meinung

Wenn deutsche Ex-Diplomaten alle antiisraelischen Register ziehen

Deutschland darf nicht länger schweigen? Eine Erwiderung von Daniel Neumann auf den vielsagenden »FAZ«-Gastbeitrag ehemaliger Botschafter

von Daniel Neumann  24.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Geschichte

Heftige Kontroverse: Russischer Botschafter will zu weiterer Gedenkveranstaltung

Die Teilnahme des russischen Botschafters am Weltkriegs-Gedenken auf den Seelower Höhen hat eine heftige Kontroverse ausgelöst. Jetzt will er zu einer weiteren Gedenkveranstaltung

von Michael Fischer  24.04.2025

Antisemitismus

»Das ist keine Meinungsfreiheit, was da stattfindet. Es ist Aufhetzungsfreiheit«

Israels Botschafter Ron Prosor warnte in seiner Rede in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen vor einem neuen Gesicht des Judenhasses

 24.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

»Triumph des Lichts für das jüdische Volk«

Beim »Marsch der Lebenden« sind diesmal außer Holocaust-Überlebenden auch ehemalige israelische Gaza-Geiseln dabei. Für Eli Scharabi ist es ein besonderer Moment

 24.04.2025

Antisemitischer Angriff

Lahav Shapira: Haftstrafe für Mustafa A. ist eine »Genugtuung«

Im Gespräch mit der »taz« äußert sich der 2024 brutal zusammengeschlagene FU-Student ausführlich zum Prozess

 24.04.2025