Pro & Contra

Ist die Integration gescheitert?

Die Gesellschaft sind wir alle. Foto: Getty Images

PRO – Der Rechtsanwalt Natahn Gelbart sagt: »Migration ist keine Einbahnstraße.«

Die Frage, ob die Integration von Migranten in der Bundesrepublik erfolgreich ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Bei der Gruppe von Straftätern, die in der Silvesternacht in Berlin Polizei und Feuerwehr, aber auch andere, friedlich feiernde Passanten attackierten, wird man diese Frage jedenfalls kaum mit Ja beantworten können.

Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr wurden in Manier des Straßenkampfes in Hinterhalte gelockt, um sodann mit Schreckschusswaffen und Feuerlöschern aus den Tätergruppen heraus angegriffen zu werden.

Muster Diese Art von Gewalt ist ein Muster und nicht neu. Junge Männer mit muslimischem Migrationshintergrund haben bereits an Silvester 2015 in Köln in über 120 Fällen sexuelle Übergriffe an Frauen verübt. Hunderte Straftäter vorwiegend muslimischer Abstammung sind im Sommer 2020 gewaltsam durch die Innenstädte Frankfurts und Stuttgarts gezogen und zerstörten dort unzählige Geschäfte und Schaufensterscheiben. Im Mai 2021 schlugen mehrere Hundert arabischstämmige Jugendliche bei einer anti-israelischen Demonstration in Berlin mit Flaschen und Steinen auf Polizeibeamte ein und zündeten Feuerwerkskörper.

Über 100 Männer aus demselben Kulturkreis haben im Sommer 2022 in einem Berliner Freibad eine Massenschlägerei unter Verwendung von Messern ausgetragen. Massive Gewalttaten, die wir in der Bundesrepublik bei anderen Migrantengruppen so nicht feststellen. Der relativierende Hinweis auf Ausländerfeindlichkeit und Rassismus geht insoweit fehl, trifft dieser doch alle Migrantengruppen gleichermaßen.

Erkenntnis Ein Freibrief für Gewaltexzesse darf das nicht sein. Und will man die Debatte offen und ehrlich führen, kommt man insbesondere nicht um die Erkenntnis herum, dass es sich dort, wo in Deutschland Juden antisemitisch angefeindet und körperlich angegriffen werden, in vielen Fällen um dieselbe Tätergruppe handelt.

Es ist nicht hilfreich, wenn die inhaltliche Debatte über Migration bereits im Keim von Medien, Politik und Wissenschaft allzu häufig und vollkommen zu Unrecht als »rechts« und »rassistisch« abgekanzelt und erstickt wird.

Dies nicht zuletzt im Interesse der Millionen von Migranten in unserem Land, die an solchen Gewaltexzessen nicht teilnehmen. Patriarchalische Strukturen, familiäre Gewalt, eine mit unserer Werteordnung nicht vereinbare, zuweilen tödliche Definition von familiärer Ehre sowie der Hass auf Juden, Frauen, Schwule und den Staat insgesamt, insbesondere auf die Polizei, die Justiz und Strafverfolgungsbehörden: letztendlich alles, was wir als unsere freiheitlich-demokratische Werteordnung definieren und schätzen.

Zumutbarkeit Der pauschale Einwand des »Generalverdachts« ist schlichtweg falsch. Denn keine Mitglieder anderer Migrantengruppen zeigen dem sie aufnehmenden und sie alimentierenden Staat derart offensiv und demonstrativ die Rote Karte.

Die Messlatte der Zumutbarkeit darf hierbei nicht erst bei organisierter Kriminalität arabischer Clans angesetzt werden. Auch illegale Autokorsos mit hochkarätigen Luxusfahrzeugen und brutale Gewalt in öffentlichen Verkehrsmitteln sind keine Kavaliersdelikte. Das muss kritisiert und diskutiert werden dürfen.

Hilfreich ist hierbei ebenso wenig die voreilige Erklärung der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey, bei den festgenommenen Tätern handle es sich bei fast allen um »Berliner Kinder«.

tätergruppe Solche Darstellungen fördern nicht etwa die wichtige Debatte, sie verwässern und verlagern sie. Denn ein Großteil der Jugendlichen und Heranwachsenden mit Migrationshintergrund im Alter zwischen 15 und 25 Jahren ist in der Bundesrepublik geboren. Die Äußerung Giffeys belegt vielmehr das Gegenteil, nämlich die evident gescheiterte Integration dieser Tätergruppe.

Dass viele Berliner ihrer aktuellen Landesregierung nicht mehr zutrauen, diese Gefahren zu beherrschen, hat nicht zuletzt die Wahl am 12. Februar gezeigt. Migration ist keine Einbahnstraße und auch die Interessen der die Migranten aufnehmenden und ihre Migration finanzierenden Gesellschaft, insbesondere ihre zu schützenden Minderheiten und ihre Grundrechte, sind zu berücksichtigen.

Dazu gehört insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich, die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik.

Nathan Gelbart ist Rechtsanwalt in Berlin.


CONTRA – Die Kulturwissenschaftlerin Eva Lezzi sagt: »Ausgezähltwerden impliziert: Du gehörst nicht dazu.«

Feiern zum 1. Mai 2021: »Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten und blinde Zerstörungswut haben nichts mit politischem Protest zu tun«, teilte der Berliner Innensenator mit und »verurteilte die Krawalle«, bei denen Dutzende Beamte verletzt und mehr als 350 Menschen festgenommen wurden. Journalistisch korrekt verschweigt der Bericht in »Spiegel Panorama« sowohl die Staatsbürgerschaft als auch die Vornamen der Festgenommenen, die am Rande der Feierlichkeiten randalierten.

Ob viele unter ihnen Karl oder Friedrich hießen, da es sich ja um »links-autonome« Demonstranten handelte? Wobei sich der Name Friedrich hier vermutlich weniger von Friedrich Engels herleitet, sondern von den Preußischen Königen dieses Namens. Das bringt mich zu einer anderen Parallelwelt: die der Reichsbürger.

Der Verfassungsschutz spricht von 23.000 Personen, die sich als »Reichsbürger« und »Selbstverwalter« verstehen und als solche den Staat und seine Institutionen ablehnen, teilweise militant bekämpfen. Einige wollen laut Pressemeldungen in der Uckermark ein »Königreich Deutschland« errichten – ausgerechnet in Rutenberg, einem Dorf, in dem ich mich bisher immer wohlgefühlt habe. Der selbst ernannte König heißt zwar Peter I. und nicht Friedrich Wilhelm V., ich werde in Zukunft jedoch wohl auch alle Friedriche und Wilhelme fürchten müssen, die mir in der Uckermark begegnen.

Straftaten Friedriche, die in Talkshows und anderswo die Offenlegung von Vornamen fordern, in der Hoffnung, so Straftaten einer bestimmten »migrantischen« Bevölkerungsgruppe zuschreiben und deren »Integration« als gescheitert deklarieren zu können, sind mir ohnehin suspekt, zumal sie nicht allein sind.

Nach den Krawallen in der Silvesternacht 2022/23 haben viele hochkarätige Politiker und Politikerinnen ebenso wie Journalisten und Journalistinnen bei der Zählerei von Staatsbürgerschaften und ihrer Zuordnung zu Tätergruppen und Straftaten mitgespielt – und dabei auch auf Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft hingewiesen, die in der Statistik fälschlich als Deutsche geführt würden.

Ein solches Ausgezähltwerden – ob zum Guten oder zum Schlechten – impliziert stets: Du gehörst nicht dazu, sondern zu einer Gruppe, die der Zählende festlegt und genau dadurch ausgrenzt. Als Jüdinnen und Juden müssten wir alarmiert sein. Erinnern wir uns an die »Judenzählung«, auch »Judenstatistik« genannt, während des Ersten Weltkriegs, die danach fragte, wie viele Juden Dienst an der Front leisteten.

»drückeberger« Das Ergebnis wurde nie publiziert, vermutlich, weil die Zahlen der These widersprachen, Juden seien »Drückeberger«. Ich bin als Pazifistin nicht stolz darauf, dass Juden unter Kaiser Wilhelm II. in den Krieg zogen. Aber ich teile die Erkenntnisse der historischen Forschung, dass die Judenzählung nicht nur Antisemitismus ausgedrückt, sondern regelrecht angeheizt und unter deutschen Juden immensen psychologischen Schaden angerichtet hat.

In der NS-Zeit mussten sich Jüdinnen und Juden seit Januar 1939 bekanntermaßen einen zweiten Vornamen – Sara oder Israel – zulegen, so sie nicht ohnehin einen »typisch jüdischen« Namen hatten. Die Integration war den Nazis offensichtlich zu weit fortgeschritten. Die Familie meiner Mutter mit dem Vornamen Golda gehörte hingegen zu den Berliner »Ostjuden«, die im Scheunenviertel lebten und – jedenfalls laut Statistik – die Kriminalitätsrate hochtrieben.

Aufgrund von Armut, Migration, Sprache, Religion und Tradition waren die sogenannten Ostjuden »schwer integrierbar« und gelten erst ex post als pittoresk. Unter den Nazis musste Golda fliehen und landete über Umwegen bei einer Schweizerischen Pfarrfamilie. Bereits nach wenigen Wochen konnte die Siebenjährige die neu erlernten Weihnachtslieder auf der neuen Blockflöte perfekt spielen.

willkommen Während Corona habe ich angefangen, syrischen Frauen Deutschunterricht zu erteilen. Sie kamen nicht wie viele andere Geflüchtete aus der Region unter traumatischsten Fluchtbedingungen und allein nach Deutschland, sondern dank »Flüchtlingspaten Syrien e.V.« als Familien. Der Verein konnte ihnen zudem vermitteln: Ihr seid hier willkommen! Meine Schülerinnen und ich teilen seither vieles, auch Fotos und Erzählungen über unsere Kinder.

Eine Mutter ist stolz auf ihre Tochter, die das Abi als Klassenbeste abgeschlossen hat, eine andere auf ihren ältesten Sohn und sein Klavierspiel. Sie zeigt ein Handyvideo, auf dem er vor einer Bücherwand sitzend musiziert. Ich bin beeindruckt und muss doch auch ein wenig schmunzeln über diese Performance so gelungener Integration. Und schon bin ich selbst in eine der vielen Klischee-Fallen getappt, die im Diskurs um Integration lauern. Vermutlich spielt der junge Mann einfach gern Klavier. Egal wo.

Eva Lezzi ist Privatdozentin für Kulturwissenschaft, freiberufliche Autorin und Kuratorin.


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