Der Bundesgerichtshof (BGH) prüft, ob eine als »Judensau« bezeichnete Schmähplastik an der Stadtkirche Wittenberg in Sachsen-Anhalt entfernt werden muss. Das Relief für sich betrachtet sei »in Stein gemeißelter Antisemitismus«, stellte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters am Montag in Karlsruhe klar.
Allerdings ist das antijüdische Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert inzwischen um eine Bodenplatte und einen Aufsteller ergänzt, die die Darstellung einordnen sollen. Der sechste Zivilsenat will seine Entscheidung am 14. Juni verkünden. (Az. VI ZR 172/20)
Das Relief zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifiziert werden sollen. Eine laut BGH als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz des Schweins und blickt ihm in den After. Schweine gelten im Judentum als unrein. Die Stadtkirchengemeinde bezeichnet die »Wittenberger Sau« als »ein schwieriges Erbe, aber ebenso Dokument der Zeitgeschichte«.
Kläger Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertiert ist und sich seither Michael nennt, will, dass die Plastik von der Kirche entfernt wird. Er sieht in der »Judensau« nur ein Beispiel für viele Verfehlungen der Kirche im Umgang mit Juden und fand am Rande der Verhandlung deutliche Worte: »Die Kirche hat das deutsche Volk auschwitzfähig gemacht.« Insbesondere den Reformator Martin Luther (1483-1546), der einst in eben jener Kirche in Wittenberg predigte, bezeichnet Düllmann als »Erz-Antisemit«.
Die Stadtkirchengemeinde habe sich in den 1980er Jahren in Absprache mit der jüdischen Gemeinde mit dem Relief auseinandergesetzt und es zum Teil eines Mahnmals gemacht, argumentierte deren Anwältin Brunhilde Ackermann. In welcher Form auf den historischen Kontext hingewiesen wird, sei weder Sache des Klägers noch des Gerichts.
Düllmanns BGH-Anwalt Christian Rohnke sah das anders. Aus seiner Sicht reichen die Ausführungen auf der Erklärtafel nicht aus. Die Kirche übernehme keine Verantwortung, sagte er. Auch sei die Schweinedarstellung schon im Jahr 1290 eine »Hetzplastik« gewesen - und nicht erst, weil heutzutage anders darüber gedacht werde.
Ackermann hingegen listete eine Reihe an Beispielen auf wie die Darstellung von Schwarzen oder den Umgang mit Frauen, die aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß seien und dann womöglich aus Büchern und Filmen gestrichen werden müssten. Doch dürfe man solche Relikte im Sinne der Demokratie »nicht dem Zeitgeist opfern«, sagte sie. Wie sollten Kinder in der Schule etwas über die Diskriminierung von Juden lernen, wenn es dazu nichts mehr zu sehen gäbe?
Auf der Erklärtafel an der Kirche heißt es, Schmähplastiken dieser Art seien besonders im Mittelalter verbreitet gewesen. »Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.« Der Zentralrat der Juden hat keine sicheren Informationen über die Gesamtzahl derartiger Darstellungen. Von anderen Rechtsstreitigkeiten, die sich an einem BGH-Urteil orientieren könnten, weiß man dort nichts.
Kläger Düllmann war bislang vor dem Landgericht Dessau-Roßlau und dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg gescheitert. Alles andere würde ihn auch jetzt überraschen, sagte der 79-Jährige nach der Verhandlung am BGH. Dann werde er zum Bundesverfassungsgericht ziehen, wo es nicht um zivilrechtliche Fragen nach Beleidigung und Unterlassung gehe, sondern um das Grundgesetz und die Würde des Menschen. Zu guter Letzt bleibe ihm der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Zentralratspräsident Josef Schuster, hatte nach der OLG-Entscheidung eine Tafel gefordert, »die das Schmährelief eindeutig erläutert und in den historischen Kontext einordnet«. Der Deutschen Presse-Agentur erläuterte er nun, die Kirche müsse eine klare Abgrenzung und Verurteilung zum Ausdruck bringen. Das sei bisher nicht ersichtlich.
»Die antijudaistische Geschichte der Kirche lässt sich nicht ungeschehen machen«, sagte Schuster. Eine Erklärtafel sei besser, als Schmähplastiken zu entfernen und damit zu verleugnen. Gelungene Beispiele gibt es nach Angaben des Zentralrats am Regensburger Dom und an der Ritterstiftskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn.
Christian Staffa, Antisemitismusbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland, erklärte: »Die lange Geschichte christlichen Antijudaismus und Antisemitismus, die sich in diesem Relief auf obszöne Weise verdichtet, ist nicht auf juristischem Wege zu klären.« Vielmehr sollten die »kirchlichen Zeugnisse antijüdischer Haltung und Praxis« Anlass zur Umkehr von aller Judenfeindschaft sein.