Rechtsextremismus

»Höckes Sprachgebrauch ist ein klarer Angriff - und erfolgreich«

Der Soziologe Andreas Kemper zu Strategien des AfD-Politikers

von Nils Sandrisser  22.04.2024 13:31 Uhr

Andreas Kemper Foto: picture alliance / epd-bild

Der Soziologe Andreas Kemper zu Strategien des AfD-Politikers

von Nils Sandrisser  22.04.2024 13:31 Uhr

Der Soziologe Andreas Kemper aus Münster hat sich intensiv mit dem AfD-Politiker Björn Höcke und dessen Sprache befasst. Derzeit steht Höcke in Halle an der Saale vor Gericht, weil er bei einer Rede den SA-Ruf »Alles für Deutschland« skandiert haben soll. Der nächste Verhandlungstermin ist am Dienstag.

Dabei habe Höcke laut Anklage gewusst, dass es sich bei dieser Formel um eine verbotene Losung der SA handelt. Höcke bestreitet die Vorwürfe. Kemper erklärt im Gespräch, warum er Höcke nicht glaubt und welche Signalwirkungen von einem Urteil ausgehen können.

Herr Kemper, Björn Höcke beruft sich darauf, sein Satz »Alles für Deutschland« sei eine harmlose Aussage. Glauben Sie daran?
Dazu muss man wissen, dass Wörter unterschiedliche Bedeutungen in unterschiedlichen Kontexten haben. Wenn jemand etwa während eines Fußballspiels schreit »Gib alles für Deutschland!«, dann wäre das unproblematisch. Problematisch ist, dass die SA das in einem totalitären Kontext gesagt hat. Damit war gemeint: Du bist nichts, dein Volk ist alles. Und nun muss man sich anschauen, welchen Kontext Höcke sonst bedient. Wichtig ist auch, zu sehen, ob er einmalig eine NS-Parole - vielleicht versehentlich - benutzt, oder ob er systematisch diese Parolen einfließen lässt.

Was kann man erkennen, wenn man diese Kriterien anschaut?
Das habe ich schon 2015 untersucht. Damals gab es die AfD gerade mal seit zwei Jahren. Und da hatte er schon sehr viel NS-Rhetorik von sich gegeben. 2017 konnte ich diese bereits in vier Kategorien untergliedern. Da ging es beispielsweise um Begriffe wie »organische Marktwirtschaft«, also eine biologistische Auffassung von Gesellschaft, wie sie auch die Nazis hatten.

Wie äußerte er sich da konkret?
Er sprach beispielsweise von Menschen, die unterschiedliche Arterhaltungsstrategien hätten. Eine »r-Strategie«, womit ungehemmte Vermehrung gemeint ist, wie bei Ameisen, und eine »K-Strategie« mit nur wenigen Nachkommen, wie Blauwale. So als könne man Afrikaner und Europäer unterscheiden wie diese Arten. Es gibt eine ganze Reihe von NS-Phrasen, -Begriffen und -Bildern, die Höcke übernommen hat. Er benutzt beispielsweise Ungeziefer-Metaphorik. Hinzu kommt, dass er schon 2013 deutlich gemacht hat, dass es ihm darum geht, den angeblichen Mehltau der politischen Korrektheit, der auf unserer Gesellschaft liege, wegzufegen, damit endlich wieder klar gesprochen werden könne. Damit ist gemeint, dass er seine Sprache wieder zur vorherrschenden Sprache machen möchte. In diesen Zusammenhang muss seine Aussage »Alles für Deutschland« eingeordnet werden.

Es geht also, nicht nur um diesen einen Satz, sondern um die gesamte Rhetorik. Das Gesamtbild macht Höckes Erklärung für den Satz »Alles für Deutschland« für Sie unglaubwürdig?
Völlig unglaubwürdig. Man muss da natürlich auch hervorheben, dass Höcke Geschichtslehrer war. Ich bezweifle, dass er nicht weiß, was »Alles für Deutschland« heißt.

Als Geschichtslehrer müsste Höcke ja auch dieses berühmte Bild des »Tags von Potsdam« kennen. An jenem Tag stand Hitler vor Hindenburg und neigte scheinbar demütig den Kopf vor dem Reichspräsidenten. Am 5. Februar 2020, als zunächst der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, stand Höcke in ganz ähnlicher Pose vor Kemmerich. Finden sich NS-Bezüge bei Höcke also nicht nur in der Sprache, sondern auch in der Bildsprache?
Ob dieses Bild eine Imitation Hitlers war, kann ich nicht sagen. Das kann auch Zufall gewesen sein. Nur wenn es häufiger vorkommt, wäre es überzufällig. Aber es gibt Vergleiche zwischen Höcke und dem NS-Propagandaminister Joseph Goebbels darin, wie sie sprechen, welche Mimik sie einsetzen, wann sie Pausen machen und so weiter. Und da kann man schon fragen, warum sich das so gleicht. Man könnte vermuten, dass Höcke Hitler und Goebbels imitiert.

Sie formulieren das vorsichtig. Die Bildsprache Höckes ist für sie also nicht eindeutig?
In der Sprache wird Höckes NS-Bezug für mich einfach deutlicher als in der Bildsprache. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich Soziologe bin und mich mehr mit Sprache beschäftige und nicht so sehr auf Körperlichkeit achte. Aber es würde natürlich passen.

Und welche Strategie verfolgt Höcke Ihrer Ansicht nach mit seiner Sprache?
Ich würde da zwei Phasen unterscheiden. Es gibt einen Höcke vor der AfD und einen in der AfD. Höcke hatte schon eine politische Agenda, bevor er in die AfD eingetreten ist. Er stellt das zwar immer anders dar, aber er war vorher schon politisch aktiv. Das ZDF hat ihn auf einer Neonazi-Demo 2010 gezeigt. Und ich habe herausgefunden, dass er unter dem Pseudonym »Landolf Ladig« 2011 und 2012 drei Artikel verfasst hat, die in Neonazi-Zeitungen erschienen sind. Darin hat er tatsächlich von einer Revolution gesprochen, auf die man sich vorbereiten müsse, um danach an die Zeit der NS-»Antiglobalisierung« vor 1945 anzuknüpfen.

Das ist allerdings schon eine Weile her. Zu Höckes Gunsten könnte man doch annehmen, dass er diese Ansichten heute nicht mehr vertritt.
Wenn man das annehmen wollte, müsste er sich erst einmal dazu bekennen, sich entschuldigen und glaubhaft machen, dass er diese Ziele nicht mehr verfolgt. Wenn er sich nicht dazu äußert, müssen wir ja davon ausgehen, dass er erpressbar ist durch den Herausgeber dieser Zeitungen. Man kann erst dann davon ausgehen, dass Menschen sich gebessert haben, wenn sie zu ihren Fehlern stehen und aufarbeiten.

Wie stellt sich das Auftreten Höckes für Sie seit seinem Eintritt in die AfD dar?
In der AfD tritt Höcke für eine Veränderung der Sprache ein, hin zu einer »patriotischen Sprache«, wie er es nennt. Er sagt, man müsse die Strafrechtsparagrafen 130 zu Volksverhetzung sowie 86 und 86a zur Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen »hinwegfegen«. Das wäre eine Vorbereitung auf die Revolution, die er früher schon verfolgt hat. Das Ziel ist die »180-Grad-Wende«, von der Höcke ja gesprochen hat. Der Sprachgebrauch »Alles für Deutschland« ist vor diesem Hintergrund ein ganz klarer Angriff. Und dieser Angriff ist auch erfolgreich.

In welcher Hinsicht?
In dem Sinne, dass derzeit eine ganze Reihe Leute aus diesem Milieu auch angefangen haben, »Alles für Deutschland« zu skandieren.
Das Landgericht Halle müsste all das jetzt wieder einfangen. Ein Urteil müsste gewährleisten, dass den Leuten, die sich nun hinter Höcke vorgewagt haben, klar wird, welche Konsequenzen es hat, wenn man Nazi-Parolen ausspricht.

Sie erwarten also von dem Urteil eine Signalwirkung, wie auch immer es ausfällt?
Ja. Höcke ist ja nicht alleine. Er ist derjenige, der vorgeprescht ist - wahrscheinlich in der Hoffnung, dass er maximal eine Geldstrafe bekommt. Das könnte er verkraften, er hat entsprechende Spendenaufrufe bereits gestartet. Und dann wäre das durch. Als Nächstes wäre dann wohl ein anderer Nazi-Spruch dran. Vielleicht »Deutschland erwache«.

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