Interreligiös

Gott und Grillparzer

Der Muslim kann dem Juden kaum folgen. Im Düsseldorfer Nordpark gehen zwei Männer spazieren. Der eine zieht das linke Bein nach, der andere drosselt immer wieder sein Tempo, damit sie auf gleicher Höhe bleiben. Angeregt unterhalten sich die beiden, aus ihren Mündern quillt Rauch. Es ist einer dieser klirrend kalten, sonnigen Wintertage, an denen es die beiden Männer oft zu Spaziergängen hinauszieht. Wer sie belauscht, wird Zeuge von etwas Seltenem: eines interreligiösen Gesprächs, ganz unverkrampft, freundschaftlich und ohne Hilfe einer Institution.

Kinderlähmung Der Ältere heißt Daniel Hoffmann, ist 51, jüdisch und lehrt als Professor Literaturwissenschaft an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Der Jüngere, Orhan Jasarovski, ist 30 und ein muslimischer Rom aus Mazedonien. Er spricht gut Deutsch, das slawisch gerollte »R« verrät seine Herkunft. Ebenso wie Hoffmann ist auch Jasarovski Germanist. Wer den jungen Mann mit dem tiefschwarzen Haar das erste Mal sieht, dem fällt auf, dass er seine linke Körperhälfte kaum bewegen kann – eine Folge von Kinderlähmung.

Kennengelernt haben sich Jasarovski und Hoffmann vor drei Jahren in einem Seminar über den Schriftsteller Franz Grillparzer. »Wir waren nur sieben oder acht«, erinnert sich der Professor. Jeder, der an einer Uni mal im Seminar gesessen hat, weiß, wie schwer es manchen Dozenten fällt, eine kleine Gruppe zum Reden zu bringen – umso mehr, wenn man wie Hoffmann kein Entertainer, sondern ein nüchterner und manchmal auch schüchterner Wissenschaftler ist.

sensibilität Stumm saßen die Studenten da, als der hagere Professor ihnen von dem österreichischen Dichter erzählte und versuchte, eine Diskussion in Gang zu bringen. Die wenigsten kamen wegen Grillparzer, sondern wegen eines Scheins. Nur einer der Teilnehmer war anders, ein junger Mann mit leuchtenden Augen: Orhan Jasarovski. »Er hatte sofort einen Zugang zu Grillparzer und bewies große Sensibilität für Texte«, schwärmt Hoffmann. »Das beeindruckte mich.« Und so beauftragte er den jungen Mann, über das Goldene Vlies zu referieren. Es wurden daraus zwei Doppelstunden – »eine ausgezeichnete Leistung«.

Heute ist Hoffmann davon überzeugt, dass Jasarovskis Fähigkeiten auch damit zusammenhängen, dass er Muslim ist. »Er studiert den Koran, legt Texte aus und erschließt sich deren Sinn. Dass christliche Jugendliche die Bibel studieren, gibt es heute kaum noch«, sagt der Professor mit leiser Stimme.

Besser kennengelernt haben sich die beiden Männer erst ein Semester später, als Jasarovski erneut Hoffmanns Seminar besuchte und sich nach den Sitzungen mit Fragen an ihn wandte. Der Professor freute sich über das Interesse und lud den Studenten in die Mensa ein. Jasarovski ahnte nicht, dass Hoffmann jüdisch ist. »Sein Name klang deutsch. Wenn ich gewusst hätte, dass er Jude ist, wäre ich wohl nicht in sein Seminar gegangen«, sagt er und schüttelt den Kopf über sich selbst. Denn eigentlich hatte er seit Längerem gern mal einen Juden kennenlernen wollen. Doch die Bedenken, dass man in der Moschee darüber nicht begeistert wäre, hielten ihn davon ab.

Verstörung Als Hoffmann eines Tages im Heinrich-Heine-Institut ein Buch vorstellte, das er über das Leben seines Vaters geschrieben hatte, lud er den Studenten ein. Dort, inmitten der Zuhörer im Saal, erfuhr Jasarovski, dass der Professor Jude ist. Zuerst war er verstört darüber, doch dann sei eine tiefe Freude in ihm aufgestiegen: »Jetzt kann Herr Hoffmann mir ganz viel übers Judentum erzählen.«

Seitdem sind über zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich eine Freundschaft zwischen den beiden entwickelt. Zig Stunden haben sie miteinander verbracht, um über Gott und die Welt und die religiösen Konzepte von Judentum und Islam zu reden. Während der Zentralrat der Juden und der der Muslime nur allmählich Berührungsängste abbauen, entsteht hier, auf ganz persönlicher Ebene eine interkulturelle Freundschaft, wie sie selten ist. »Vor allem die religiöse Komponente macht unser Verhältnis zueinander besonders«, sagt Hoffmann. »Etwas Vergleichbares mit jüdischen Freunden habe ich nicht.«

Doch wer glaubt, zwischen den beiden herrsche immer Eintracht, der irrt. Mitunter kommen Themen zur Sprache, die Zündstoff enthalten. Zum Beispiel, wenn Jasarovski seine Sicht des Islam schildert: »Er ist die Vervollkommnung des Judentums und des Christentums.« Hoffmann kontert dann mit gewohnt milder Stimme, aber umso deutlicheren Worten. Beide wissen, echte Freundschaft hält dies aus.

Nahostkonflikt Inzwischen wirkt sich die Bekanntschaft mit dem jüdischen Professor auch auf Jasarovskis Ehrenamt als Jugendleiter in einem islamischen Kulturzentrum aus. So hält er neuerdings Vorträge, in denen er betont, wie nah Muslime und Juden einander seien. Nicht alle dort hören das gern. Zu stark beeinflusst der Nahostkonflikt das Bild, das auch Düsseldorfer Muslime von Juden haben.

Seit einiger Zeit drängt Jasarovski seinen älteren Freund, gemeinsam nach Israel zu reisen. Doch der weicht aus. »Ich sage das sehr ungern, aber ich war noch nie dort«, gesteht Hoffmann. Er denkt manchmal sogar über eine gemeinsame Reise nach, doch kämen ihm immer wieder Zweifel, sagt er. »Es würde mich schmerzen, wenn Orhan bei der Grenzkontrolle schikaniert wird.« Der junge Mann hält das für ausgeschlossen: »Ich habe einen mazedonischen Pass. Was soll mir da passieren, auch wenn ich Muslim bin?«

Doch nicht nur der Konflikt im Nahen Osten und religiöse Themen bestimmen das Gespräch, wenn sich die Männer treffen. Auch sehr profane Dinge gehören inzwischen dazu. Grinsend erzählt Jasarovski, wie sie einmal miteinander gekocht hätten: Nudeln habe es gegeben – ein mühsam gefundener Kompromiss.

Wer die beiden beobachtet, vermisst die Hierarchie, die zwischen Professoren und Studenten in Deutschland üblicherweise herrscht. Hoffmann meint, dass sie fehlt, liege am Religiösen. »Unsere Begegnung war immer eine spirituelle Angelegenheit. Wir sprechen als gläubige Menschen miteinander, nicht als Akademiker.« Er sei in der Lage, das zu trennen.

Vaterschaft Auch wenn sich die zwei Männer inzwischen auf Augenhöhe begegnen, lässt sich nicht verleugnen, dass 20 Jahre zwischen ihnen liegen. »Gerade in letzter Zeit erinnert mich Daniel oft an meinen Vater«, sagt Jasarovski. Und in gewisser Weise sei er das ja auch: nämlich sein Doktorvater. Deshalb reden die beiden seit einigen Monaten auch oft über Jasarovskis Promotionsvorhaben. Thema: »Die Rezeption der Literatur des Nahen Ostens im deutschsprachigen Raum von 1960 bis 2010«.

Jasarovski hat in den vergangenen Wochen mehrere Auswahlgespräche bestanden, um schließlich ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung zu bekommen. Für seine Interviewer wird es das erste Mal gewesen sein, dass sie einen Rom in die Auswahlrunden einluden. Hoffmann jedenfalls ist überzeugt davon, dass Jasarovski der Erste aus der Volksgruppe der Roma ist, der jemals in Deutschland promovieren wollte.

Für den jungen Mann ist das Stipendium auch von existenzieller Bedeutung. Hätte man es ihm verwehrt, bliebe ihm nichts anderes übrig, als nach Mazedonien zurückzukehren – in ein Land, in dem ein behinderter Rom am Rande der Gesellschaft steht. Nun, da Jasarovski in Düsseldorf bleiben darf, wird man die beiden ungleichen Freunde wohl noch oft im Nordpark sehen.

Sie werden weiter ihre Runden drehen und dabei über Gott und die Welt und ihre Liebe zur deutschen Sprache reden: der Jüngere, der sein linkes Bein nachzieht, und der Ältere, der es eines Tages vielleicht doch noch lernt, langsamer zu gehen, damit er seinem Gesprächspartner nicht davonläuft.

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