Gedenken gestört
Am Vorabend des Holocaust-Gedenktags Jom Haschoa ist eine von der israelischen Botschaft in Deutschland organisierte Online-Diskussion mit einem Holocaust-Überlebenden auf der Videoplattform Zoom gestört worden. Botschafter Jeremy Issacharoff twitterte am Dienstagmorgen, anti-israelische Aktivisten hätten den Vortrag des aus Israel zugeschalteten Tswi Herschel unterbrochen, Bilder von Adolf Hitler gezeigt und antisemitische Slogans gerufen. Die Veranstaltung, bei der rund 30 Menschen zugeschaltet waren, musste daraufhin unterbrochen werden. Sie konnte aber kurze Zeit später ohne die Störer fortgesetzt werden. »Das Gedenken an den Holocaust und die Würde des Überlebenden zu missachten, ist mehr als beschämend und schändlich und zeigt die eklatante antisemitische Einstellung der Aktivisten«, schrieb Issacharoff. Die Botschaft erwäge nun, Anzeige gegen die Störer zu erstatten, sagte eine Sprecherin. Video- oder Tonaufnahmen von der Veranstaltung gebe es nicht. Bundesaußenminister Heiko Maas reagierte entsetzt auf die Störung des Gedenkens. Er twitterte: »Was für eine bodenlose Respektlosigkeit gegenüber den Überlebenden und dem Gedenken an die Verstorbenen. Das ist eine unbeschreibliche Schande!« Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte der Jüdischen Allgemeinen, der Vorfall »bestätigt alle Befürchtungen: Rechtsradikale nutzen die Corona-Krise skrupellos aus, um ihr braunes Gift zu verbreiten. Dabei schrecken sie wie immer nicht davor zurück, das Leiden der Schoa-Überlebenden mit Füßen zu treten und sie erneut zutiefst zu verletzen«. Schuster wies auf einen ähnlichen Vorfall bei einer Online-Zeremonie der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf hin. »So sehr die staatlichen Ressourcen durch die Pandemie gebunden sind, darf trotzdem der Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht vernachlässigt werden«, forderte der Zentralratspräsident. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Uwe Becker, sprach von einem antisemitischen Angriff auf israelisches Holocaust-Gedenken. Er kündigte an, Anzeige wegen Volksverhetzung zu erstatten: »Wer selbst das Gedenken an die Opfer der Schoa zum Angriff auf jüdisches Leben missbraucht, muss mit aller Härte der Gesetze verfolgt werden.« dpa/ja
Anklage gegen Attentäter von Halle
Rund ein halbes Jahr nach dem antisemitischen Anschlag von Halle hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen den mutmaßlichen Attentäter erhoben. Stephan B. ist »des Mordes in zwei Fällen sowie des versuchten Mordes in mehreren Fällen zum Nachteil von insgesamt 68 Menschen hinreichend verdächtig«, wie der Generalbundesanwalt in Karlsruhe am Dienstag mitteilte. Zudem wird dem Attentäter gefährliche Körperverletzung, versuchte räuberische Erpressung mit Todesfolge, besonders schwere räuberische Erpressung, Volksverhetzung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Die Anklage wurde am 16. April vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Naumburg erhoben. In der Anklageschrift heißt es: »Stephan B. plante aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens.« Zum Zeitpunkt des Attentats hielten sich in der Synagoge 52 Beter auf, um Jom Kippur zu begehen. epd
Antisemitismus in Thüringen
Nach Recherchen des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) sind in Thüringen seit dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge vor 20 Jahren rund 1000 antisemitische Straftaten registriert worden. Der Sender wertete nach eigenen Angaben knapp 80 vierteljährliche Anfragen der Thüringer Linksfraktion an die Landesregierung aus. Im Durchschnitt würden pro Jahr 50 antisemitische Straftaten verübt, also rund eine pro Woche, darunter Grabsteinschändungen auf jüdischen Friedhöfen, Hakenkreuzschmierereien an jüdischen Gedenkorten oder Synagogen sowie Beschimpfungen und Übergriffe auf Juden. Der Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer ging im MDR-Gespräch von einer Dunkelziffer aus. Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, sagte: »Ich denke, es gibt nicht mehr Antisemitismus, sondern der Antisemitismus, der bisher nur in Köpfen war, wird jetzt freier ausgesprochen.« ja/epd