Zwischenruf

Für uns alle

Rund 1600 Menschen nahmen am 9. Juni in Berlin am »Al-Quds-Marsch« teil, etwa 200 waren bei der Gegenkundgebung. Foto: Getty Images

Im Kampf gegen den Antisemitismus führen demokratische Gesellschaften einen ureigenen Kampf um ihre innere freiheitliche Verfasstheit. Wer Antisemitismus duldet, nimmt hin, dass Rassismus und Ressentiment einen Platz im alltäglichen Miteinander haben. Im Augenblick kippt diese Frontlinie – nicht nur in Deutschland.

Und sie kippt nicht nur, aber auch ganz besonders, wegen der Migration Zigtausender von Menschen aus dem arabischen Kulturraum, in dem der Antisemitismus von klein auf in Moscheen und Schulen ganz selbstverständlich gepflegt wird. Die falsch verstandene Nachsicht vieler Paternalisten mit den »armen Flüchtlingen« hat ein missverständliches Signal gesendet, dessen Konsequenz widerwärtige antisemitische Ausschreitungen sind, die – wenn sie auf Video dokumentiert werden – für kurze Zeit für Aufregung sorgen und dann wieder pragmatisch vergessen werden.

straftaten Es wird gerade nicht besser, sondern schlechter. Die Frequenz der Straftaten nimmt zu. Nach einem scharfen Kommentar zum Thema erhielt ich Dutzende von Mails und Nachrichten von jüdischen Bürgern, die mir erzählten, dass sie die Mesusa an der Wohnungstür abschrauben, ihre Kinder aus der Kita oder Schule nehmen und in jüdische Bildungseinrichtungen schicken. Gastronomen verzweifeln, Makkabi kämpft, und die für dieses Thema sensiblen Bürger haben nicht das Gefühl, dass irgendetwas von den Sonntagsreden und Feigenblattaktivitäten der offiziellen Politik wirklich hilft.

Am vergangenen Wochenende zogen Hunderte Palästinenser, unterstützt von deutschen Linken, durch Berlin, um für die Vernichtung Israels zu demonstrieren. Die Gegenkundgebung wurde von gerade mal 200 Leuten besucht. Längst ist der Zorn gegen Israel und die Politik von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu einem Vorwand für unverkennbaren Antisemitismus geworden. Die Linien lösen sich auf.

Die Al-Quds-Demo einfach hinzunehmen, ist erbärmlich und stellt die Frage, wie ernst es den Bundesbürgern mit ihrem Engagement für die Sache Israels, aber auch jener der Juden in Deutschland ist. Um ehrlich zu sein: Es ist weiterhin eine papierne und abstrakte Angelegenheit. In Schulen, wo jüdische Kinder rausgemobbt werden, weil sie für die Lage im Nahen Osten und das Verlierertum der arabischen Länder büßen müssen, bleiben Kollegium und Eltern stumm und passiv.

ditib Dabei gäbe es vieles, was man gegen diesen neuen Antisemitismus tun könnte: Moscheen, in denen Judenhass gepredigt wird, müssen geschlossen werden. Imame, die nach Deutschland kommen, um solches Gedankengut zu verbreiten, müssen ausgewiesen werden. Auch der türkische Islamverband Ditib muss stärker kon­trolliert werden. Schließlich untersteht er unmittelbar der türkischen Religionsbehörde, und die türkische Regierung hat sich offensiv als Feind Israels positioniert.

Aber es geht nicht nur um muslimische Einwanderer: Auch im linksliberalen gebildeten Milieu findet ein stilles, aber nicht minder unangenehmes Comeback des Antisemitismus statt. Die merkwürdigen Karikaturen in der »Süddeutschen Zeitung«, einst mit Journalisten wie Josef Joffe ein Bollwerk gegen antizionistische und antisemitische Schwingungen, haben viele Leser erschreckt.

In der Linkspartei gibt es Freunde der kaum verhohlen antisemitisch agierenden Boykott-Bewegung gegen Israel. Und die vom Juste Milieu oft gefeierte linke Sammlungsbewegung Po­demos in Spanien hat gerade erkämpft, dass die drittgrößte Stadt des Landes, Valencia, künftig alle Produkte aus Israel boykottiert. Ähnlich Abstoßendes hören wir von der britischen Labour-Partei, wo der charismatische, linke Parteichef Jeremy Corbyn selten eine Gelegenheit auslässt, zu zeigen, dass Israel und die Juden mit seiner Unterstützung nicht rechnen dürfen.

verantwortung All das ist deprimierend. Aber wir, die wir uns der Sache Israels und der Verantwortung für jüdisches Leben und jüdische Kultur existenziell verpflichtet füh­len, sollten umso motivierter sein. Das größte Kompliment für dieses Nachkriegsdeutschland und für das wiedervereinigte Berlin ist, dass viele israelische Jugendliche, DJs, Architekten, Intellektuelle, Lebenskünstler, aber auch Forscher und Wissenschaftler sich hier wohlfühlen.

Wir wollen nicht nur Glück und Zufriedenheit, wir müssen auch die Sicherheit jener garantieren, die mit Kippa auf dem Kopf stolz ihren Glauben leben. Und zwar absolut kompromisslos. Die Schuld unserer Großväter und Urgroßväter ist das eine, die Freundschaften mit unseren jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, mit den Gästen aus Tel Aviv und Jerusalem sind das andere. Wir sind für sie da, weil sie zum Besten, Aufregendsten und Inspirierendsten gehören, was wir haben.

Eine Verpflichtung aus der Schoa besteht darin, dass sich Juden in Deutschland nie wieder bedroht fühlen dürfen und dass wir jede Form des Antisemitismus auch als Angriff auf unsere eigene nationale Identität verstehen müssen. So liebenswert die Aktionstage waren, an denen auch Christen und ein paar wenige Muslime eine Kippa getragen haben – es geht auch um weniger sonnige Strategien, um eine neue, im Zweifel mit harten Urteilen belegte Nulltoleranz gegen jede Form von Antisemitismus und Volksverhetzung. Möge sie von links, rechts oder aus der vermeintlich bürgerlichen Mitte kommen.

Auch die Bürgerdarsteller mit Tweed-Jackett und Hundekrawatte halten die Schoa entweder für einen Vogelschiss oder eine Schande. Es ist dies alles nicht mehr hinnehmbar. Jetzt muss sich zeigen, wer und wie viele dagegen aufstehen. Wir müssen das für uns machen, weil eine Gesellschaft, die Antisemitismus Spielräume lässt, in den Abgrund taumelt.

Der Autor ist Chefredakteur der Zeitung »Die Welt«.

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