Extremismus

Erdogan, Özil und wie der Wolfsgruß-Eklat die EM-Leistung der Türkei überschattet

Foto: picture alliance / REUTERS

Ein Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz gab es nicht. Dafür nahm sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei seinem Blitz-Besuch im Berliner Olympiastadion Zeit für ein persönliches Treffen mit den Nationalspielern. Der 70-Jährige blickte in enttäuschte Gesichter, als er nach dem Aus im Viertelfinale der Fußball-EM am späten Samstagabend überraschend in der türkischen Kabine erschien. 

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Wie auf Befehl erhoben sich die niedergeschlagenen Spieler von den Bänken, als sich die Tür der Umkleide öffnete und Erdogan den Raum betrat. Im dunklen Anzug und mit ernster Miene drehte das türkische Staatsoberhaupt eine Runde, schüttelte fleißig Hände, spendete Trost und stellte sich inmitten des Wolfsgruß-Eklats demonstrativ hinter seine Schützlinge. 

Applaus für Erdogan

»Ich gratuliere euch allen. Auch wenn wir heute hier dieses Ergebnis erzielt haben, seid ihr unsere Champions«, richtete Erdogan aufmunternde Worte an seine Landsleute. Auch die Hand des gesperrten Merih Demiral, der mit seiner umstrittenen Jubelgeste erst die politischen Debatten rund um das Spiel gegen die Niederlande ausgelöst hatte, schüttelte der Präsident und sendete so eine deutliche Nachricht in die Welt. 

»Was geschehen ist, ist geschehen. Wir waren unter den letzten Acht. Ich hoffe, nun werden wir die Champions. Es gibt auch eine Zukunft. Wir werden auch dies bewältigen«, versprach Erdogan, der sich auf das Herz klopfte und einmal mehr als glühender Patriot inszenierte. Unter Applaus des Teams verließ er die Kabine wieder. 

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Abgehakt war das Thema für ihn aber nicht. Auf dem Heimflug äußerte sich Erdogan erneut zur Wolfsgruß-Debatte. »Ehrlich gesagt hat die UEFA-Sperre für zwei Spiele gegen Merih einen schweren Schatten auf die Meisterschaft geworfen. Das ist unerklärlich, es ist eine rein politische Entscheidung«, urteilte der 70-Jährige laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu im Gespräch mit Journalisten. Die Sanktion sei nicht sportlich zu bewerten. »Tatsächlich handelt es sich um eine Strafe für die Türkei als Nation.« 

Özil heizt Debatte an 

Die Inszenierung hatte schon Stunden vor dem bitteren 1:2 begonnen, als Erdogan begleitet von dutzenden Polizeiwagen in einer gepanzerten Limousine zum Stadion gefahren wurde. Gemeinsam mit seiner Entourage und Ehefrau Emine nahm der Präsident auf der VIP-Tribüne Platz. Auch der ehemalige deutsche Nationalspieler Mesut Özil war unter den Gästen. Die klare Botschaft ans Team: Wir stehen hinter euch. 

Zuvor hatte Özil mit Beiträgen auf Instagram die aufgeladene Debatte angeheizt. So teilte er ein Foto des kritisierten Demiral-Jubels. Versehen war es mit einer Anfeuerung an die Türkei. Schon einige Tage vorher hatte der 35-Jährige oberkörperfrei für ein Foto posiert, auf dem seine Brust-Tätowierung mit drei Halbmonden und einem heulenden Wolf zu sehen ist. Diese Symbole werden den »Grauen Wölfen« zugeordnet.

Der Wolfsgruß drückt in der Regel die Zugehörigkeit oder das Sympathisieren mit der türkischen rechtsextremen Ülkücü-Bewegung und ihrer Ideologie aus. In der Türkei wird er etwa von der ultranationalistischen Partei MHP genutzt, die Partner der Regierung unter Präsident Erdogan ist.

Wegen Wolfsgruß: Fanmarsch wird abgebrochen

In Berlin war die Geste schon Stunden vor dem Spiel sehr präsent. Am Breitscheidplatz versammelten sich Tausende türkische Fans und zeigten immer wieder das Symbol. Manche von ihnen trugen eine Wolfsmaske. Andere hielten Schilder in die Luft, auf denen sie die Entscheidung der UEFA, Demiral für zwei Spiele zu sperren, massiv kritisierten. Wegen »fortgesetzter politischer Botschaften« brach die Polizei den Fanmarsch schließlich ab. 

Im Stadion ging es weiter. Erdogan und Özil beobachteten von ihren Tribünenplätzen aus, wie Tausende Fans eingehüllt in rot-weiße Flaggen der Forderung der Ultras nachkamen und während der Nationalhymne den Wolfsgruß zeigten. 

Erdogans Plan scheitert in der Schlussphase

Erdogans Ziel war klar. Nach Berlin reisen, mit einem Sieg gegen die Niederlande den zweiten Halbfinal-Einzug der EM-Historie feiern und der Welt zeigen: die Türkei ist stärker als ihre Gegner und Kritiker. Und der Plan schien zunächst aufzugehen. 

Die Türken spielten leidenschaftlich und waren über weite Strecken das leicht bessere Team. Die Führung durch Samet Akaydin (35. Minute) - ausgerechnet der Spieler, der für den gesperrten Demiral in die Startelf rückte, war verdient. Erdogan sprang auf, nahm seine Frau in den Arm und winkte den Fans zu. Aber ein Kopfballtreffer von Stefan de Vrij (70.) und ein Eigentor von Mert Müldür (76.) besiegelten das EM-Aus.

Doch über das Sportliche redete ohnehin kaum jemand. Die Debatten, die schon in den Tagen vor dem Anpfiff für reichlich Empörung gesorgt und Äußerungen zahlreicher Spitzenpolitiker hervorgerufen hatten, drängten auch am Samstag den Fußball in den Hintergrund. 

Wer in ein paar Wochen über die türkischen EM-Spiele spricht, wird weniger über die leidenschaftlichen Auftritte, den durchaus sehenswerten Fußball oder Jungstar Arda Güler reden. Auch eher nicht über den türkischen Überraschungserfolg im Achtelfinale gegen Österreich oder die ohrenbetäubende Unterstützung der zehntausenden Fans in den Stadien. Was viel eher hängen bleibt, ist der Wolfsgruß, Erdogans Inszenierung und viel politischer Wirbel. 

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