Sicherheitspolitik

Einsatz gefragt

Südsudan, Kongo, Mali – bald auch Somalia? Auf die Bundeswehr kommen in naher Zukunft weitere Einsätze in Afrika zu. Foto: dpa

Die renommierte 50. Münchner Sicherheitskonferenz diente der Proklamation eines Paradigmenwechsels in Deutschland. Bundespräsident Gauck, assistiert von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen, rief dazu auf, die über Jahrzehnte kultivierte und äußerst bequeme Zurückhaltung in der Militär- und Sicherheitspolitik aufzugeben.

Deutschland solle sich früher, entschiedener und substanzieller einbringen. Das militärische Engagement sei auszuweiten. Die Bevölkerung, die der Übernahme jeglicher internationaler Verantwortung kritisch gegenüberstehe, müsse einen Mentalitätswandel vornehmen. Der Bundespräsident fordert dementsprechend eine »neue gesellschaftliche Selbstverständigung« – es sei kein »Projekt der Eliten«.

geschichtsbücher Die Argumentationslinien für dieses »Projekt« klingen wie aus den Geschichtsbüchern abgeschrieben. Schon bei der Debatte um eine militärische Beteiligung auf dem Balkan hieß es: »Auch wer nicht handelt, übernimmt Verantwortung.« Wenn der Bundespräsident heute argumentiert, dass sich aus den nationalsozialistischen Gräueln gerade kein »Recht auf Wegsehen« ableiten ließe, sondern eine Verpflichtung zu handeln, erinnert dies an die Rechtfertigung des damaligen Außenministers Joschka Fischer 1999 für den Kosovokrieg: »Nie wieder Auschwitz«. Erleben wir eine Zeitschleife in der Sicherheitspolitik?

Nein, die Rechtfertigung ist dieselbe, aber die Zielrichtung eine andere: Ging es damals um das »Ob« eines Bundeswehreinsatzes in einem Gebiet, das die NS-Vernichtungsmaschinerie 58 Jahre zuvor heimgesucht hatte, geht es diesmal um das »Wie« in der Welt. 1993 starb der erste Bundeswehrsoldat in Kambodscha, unzählige Auslandseinsätze mit mehr als 100 Toten schlossen sich bis heute an. »Ob« die Bundesrepublik sich militärisch engagiert, steht gar nicht mehr zur Debatte. Es geht um ihre Rolle in diesem Engagement.

kernfragen Endlich werden Kernfragen um den Zweck und die nationale Strategie militärischer Einsätze thematisiert, die sich nicht nur jüdische Bundeswehrsoldaten vermehrt stellen. Sie haben das verbreitete Misstrauen gegenüber der deutschen Staatlichkeit abgelegt, vertrauen diesem Staat, wollen aber auch eine detaillierte Antwort darauf haben, wofür die Bundesrepublik im jeweiligen Konflikt steht und wofür sie notfalls sterben sollen.

Die Diskussion um die Rolle Deutschlands in der Welt kann leicht als Diskussion um eine Weltmachtrolle missverstanden werden. Gemeint ist aber wohl eher eine Stärkung des nationalen Profils in NATO sowie EU und, wenn man die Forderung der Verteidigungsministerin nach einem verstärkten Afrika-Engagement mitbedenkt, und ein Wiederaufleben der deutsch-französischen Außen- und Verteidigungspolitik. Inwieweit man zu einem weitergehenden Eingreifen militärisch derzeit überhaupt in der Lage ist, mag dahingestellt sein. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, warnt jetzt schon vor struktureller Überforderung. Aber dies ist nicht nur ein militärischer Ansatz. Der Vorrang der Diplomatie wird nach wie vor betont.

Selbst in Israel findet um das »Ob« militärischer Einsätze Deutschlands keine ernst zu nehmende Diskussion statt. Man kennt und vertraut sich, auch auf militärischer Ebene. Als der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert 2006 bat, deutsche Soldaten in eine internationale Schutztruppe für Süd-Libanon zu entsenden, war die Kooperation zwischen Bundeswehr und Zahal schon Routine.

staatsräson Wie Deutschland aus israelischer Sicht eine aktivere Sicherheitspolitik wahrnehmen sollte, liegt auf der Hand: Meint es Bundeskanzlerin Merkel mit ihrer Zusage vor der Knesset, Israels Sicherheit sei Teil der Staatsräson Deutschlands, wirklich ernst, so muss sich dies auch machtpolitisch in der nun auszufüllenden Führungsrolle ausdrücken: etwa dergestalt, dass Deutschland gegen die zunehmende Dämonisierung Israels in den sowie durch die EU-Staaten deutlicher Position bezieht. Deutschland sollte den Einfluss israelkritischer Staaten auf die EU-Außenpolitik in Sachen Nahost zurückdrängen.

Dazu braucht es aber Strategien jenseits der kleinsten gemeinsamen Schnittmenge mit den Partnern. Ob dies einer Regierung gelingt, die im kurzfristigen Krisenmanagement geübt ist, aber nicht in der Formulierung von Strategien, bleibt abzuwarten. Deutsche Wählerstimmen gewinnt man bei der jetzigen Stimmungslage für dieses Vorgehen ohnehin nicht. Die Regierung müsste sich daran gewöhnen, dass die Übernahme einer Führungsrolle auch damit einhergeht, von anderen weniger geliebt zu werden. Die polemischen Reaktionen auf das deutsche Krisenmanagement in der Eurokrise waren da nur ein kleiner Vorgeschmack.

Der Autor ist Oberst im Generalstab der Bundeswehr und stellvertretender Vorsitzender des Bundes jüdischer Soldaten.

Meinung

Nur zweite Wahl?

Man muss den neuen Kanzler nicht mögen. Aber eine Chance geben sollte man ihm schon. Mit Heckenschützenmentalität und verantwortungsloser Lust am Zündeln haben einige Parlamentarier mutwillig den guten Ruf unseres Landes aufs Spiel gesetzt

 06.05.2025

Nahost

Trump verkündet überraschend Huthi-Kapitulation

Während Israel als Reaktion auf den jemenitischen Dauerbeschuss Huthi-Ziele bombardiert, überrascht US-Präsident Donald Trump mit einer Ankündigung: Die Miliz hätte kapituliert. Was das genau bedeutet, bleibt zunächst völlig unklar

 06.05.2025

Berlin

Merz: »Israel macht uns allergrößte Sorgen«

Noch am kommenden Wochenende soll der neue Außenminister Wadephul nach Israel reisen. Der neue deutsche Kanzler sendet schon jetzt eine klare Nachricht nach Jerusalem

 06.05.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  06.05.2025

8. Mai

Deutschland braucht noch Zeit

Auch 80 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft sind entscheidende Fragen umstritten: Wer wurde befreit, von wem genau, und was folgt daraus? Ein Gesprächsangebot

von Igor Matviyets  06.05.2025

Essay

Bitburg 1985: Plötzlich waren wieder die Juden schuld

Maram Stern über eine Zeit, als in Deutschland schon einmal versucht wurde, einen Schlussstrich zu ziehen

von Maram Stern  06.05.2025

Studie

Bildungsstätte Anne Frank: NS-Geschichte wird im Netz zum Spiel

Dabei würden falsche Darstellungen und antisemitische Klischees verbreitet

 06.05.2025

Kanzlerwahl

So reagiert das Ausland auf die Wahl-Niederlage im ersten Durchgang von Friedrich Merz

Die Niederlage von Friedrich Merz im ersten Wahlgang überrascht auch die internationalen Medien.

 06.05.2025

Presseschau

»Drama beGermania«: Wie israelische Medien auf die Kanzlerwahl blicken

Auch in Israel wird der Krimi um die im ersten Gang gescheiterte Wahl von Friedrich Merz mit Interesse verfolgt. Ein Überblick

 06.05.2025