Meinung

Ein Thema für alle

Dagegenhalten: Kundgebung am 14. Mai auf dem Münchner Odeonsplatz als Reaktion auf die »Free Palestine«-Demo Foto: imago images/ZUMA Wire

Zu den häufigsten Missverständnissen, die ich als Beauftragter einer Landesregierung gegen Antisemitismus erlebe, gehört die Vermutung, wir würden uns nur »den Juden zuliebe« engagieren. Nicht selten wird sogar vermutet, dahinter steckten Schuldgefühle.

Von dort ist es nicht mehr weit bis zu den klassischen antisemitischen Vorwürfen, Juden sollten halt gefälligst ihre Identität aufgeben (links) oder komplett nach Israel auswandern (rechts). Ein ehemaliger AfD-Abgeordneter, der sich gerne mit Israelflaggen ablichten ließ, ließ mich dazu wissen: »Das Einzige, was mich an Israel stört, sind die vielen Moscheen!«

erfahrungen Wo es mir möglich ist, antworte ich darauf gerne mit den eigenen Erfahrungen aus dem Irak, wo ich 2015/16 ein humanitäres Projekt leitete. Der mit Adolf Hitler verbündete Großmufti al-Husseini hatte bereits 1941 – also Jahre vor der Staatsgründung Israels – mit den Farhud-Pogromen in Bagdad die Vertreibung und Vernichtung des uralten arabischen und kurdischen Judentums in der Region eingeleitet.

Wer Antisemitismus nur »den Juden zuliebe« bekämpfen will, hat noch nicht einmal im Ansatz begriffen, was diese Form des Hasses von jedem anderen Rassismus unterscheidet.

Doch auch die Vertreibung und Ermordung der letzten Juden unter den Assads in Syrien und unter Saddam Hussein im Irak beendete den Antisemitismus nicht, sondern fachte ihn nur weiter an: Heute bezichtigen sich Sunniten, Schiiten und Alawiten, Religiöse und Säkulare, Linke und Rechte gegenseitig der Teilhabe an der angeblichen »zionistischen Weltverschwörung«.

Auch der sogenannte Islamische Staat wird dann nicht als Terrorgruppe erkannt, sondern als angebliche Mossad-Verschwörung weggedeutet, und religiöse Minderheiten wie Jesiden und Christen werden als vermeintliche »Mitverschwörer« entrechtet und verfolgt. Es bewahrheitet sich, was Rabbi Lord Jonathan Sacks sel. A. so formuliert hat: »Der Hass, der bei den Juden beginnt, endet nie bei Juden.«

rassismus Oder in meinen Worten: Wer Antisemitismus nur »den Juden zuliebe« bekämpfen will, hat noch nicht einmal im Ansatz begriffen, was diese Form des Hasses von jedem anderen Rassismus unterscheidet. Denn während gemeinhin andere Menschengruppen abgewertet werden, werden Juden im Antisemitismus als Weltverschwörer fantasiert, die alle anderen Gruppen kontrollieren würden.

Es stimmt einfach nicht, dass heutige Verschwörungsgläubige Wissenschaftler »anstatt« Juden beschuldigen würden. Sie behaupten vielmehr, die Wissenschaften würden von angeblichen jüdischen Superverschwörern kontrolliert!

Antisemiten sind vieles, aber kreativ sind sie nicht.

Antisemiten sind vieles, aber kreativ sind sie nicht: Bis zum Überdruss wiederholen und radikalisieren sie die immer gleichen Verschwörungsmythen. Hieß es im 15. Jahrhundert parallel zum Aufkommen gedruckter Bücher, Frauen und Juden begingen gemeinsam den »Hexensabbat«, um aus getöteten Kindern »Hexensalbe« herzustellen, so schwurbeln heute Xavier Naidoo und Attila Hildmann unter dem Stichwort »Adrenochrom« die gleichen frauenfeindlichen und antisemitischen Verschwörungsmythen zigtausendfach ins Netz.

studie Meine Erfahrungen decken sich daher mit den Beobachtungen einer aktuellen Studie der Universität Tel Aviv um die Wissenschaftlerin Adi Kantor. Anhand von Vergleichen des Antisemitismus in fünf westeuropäischen Demokratien konnten sie und ihr Team aufzeigen, dass beispielsweise linker und vermeintlich »friedensbewegter« Antizionismus in Spanien und Großbritannien sowie rechter Antisemitismus aus deutschen und französischen Verschwörungsbewegungen jeweils in die bürgerliche Mitte ausgreifen konnten.

Wie sich jüdische Gemeinden vor Ort oder auch der Staat Israel dazu verhielten, spielte eine geringe Rolle, sodass die Studie dem Staat und den jüdischen Religionsgemeinschaften empfahl, sich diesen Schuh erst gar nicht anzuziehen. »Länder in Europa müssen sich selbst als verantwortlich dafür erkennen, den Antisemitismus in ihrer eigenen Mitte zu bekämpfen«, erklärte Adi Kantor in der »Times of Israel«. »Antisemitismus ist kein Problem von Juden, wir müssen das klarmachen.«

Auch Juden sollten sich nicht selbst für den Hass und die Niedertracht anderer Menschen verantwortlich machen.

In Gesprächen mit den jüdischen Landesgemeinden und gerade auch den sehr aktiven Studierendenbünden in Baden und Württemberg habe ich daher immer wieder deutlich gemacht, dass es nicht nur falsche Schuldgefühle auf nichtjüdischer Seite gibt. Auch Juden sollten sich nicht selbst für den Hass und die Niedertracht anderer Menschen verantwortlich machen.

»Meet a Jew« Ich freue mich über alle, die sich zum Beispiel via »Meet a Jew« gegen antijüdische Vorurteile stemmen oder sich im interreligiösen Dialog engagieren – das ist unglaublich wertvoll und auch wirkungsvoll. Die Einstellung je eines badischen und württembergischen Polizeirabbiners soll Polizisten die Möglichkeit geben zu begreifen, was sie beschützen sollen – und deutlich machen, dass nicht nur die Kirchen unseren gemeinsamen Rechtsstaat tragen.

Aber eine Demokratie müsste Antisemitismus auch dann abwehren, wenn es gar keine jüdischen Gemeinden in ihrer Mitte gäbe. Es liegt eben nicht zuerst an den deutschen Juden, sondern vor allem an der Mehrheitsgesellschaft, ob und wie »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« auch in die Zukunft weisen. Deutschland und Europa müssen mehr Verantwortung übernehmen, anstatt Antisemitismus als vermeintlich jüdisches oder israelisches Problem abzutun.

Der Autor ist Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg.

Regierung

Warum Friedrich Merz Angela Merkel erst zum 100. Geburtstag öffentlich gratulieren will

Alte Rivalität rostet nicht? Als der Bundeskanzler in Großbritannien auf das Verhältnis zu seiner Vorvorgängerin angesprochen wird, reagiert er schlagfertig

 17.07.2025

Syrien

Hunderte Drusen fliehen nach Israel

Mitglieder der religiösen Minderheit wollen sich vor der Gewalt des Regimes und beduinischer Milizen retten. Gleichzeitig übertreten Drusen aus Israel die Grenze zu Syrien, um ihren Glaubensbrüdern zu helfen

 17.07.2025

Berlin

Ordner bedrängte Lahav Shapira bei Uni-Besetzung: Geldstrafe

Der 32-Jährige wurde der Nötigung schuldig gesprochen

 17.07.2025

Nahost

Nach massiven Übergriffen: Israels Drusenführer erhebt schwere Vorwürfe gegen Syriens neue Machthaber

Es sei ein Fehler gewesen, die Sanktionen gegen Interimspräsident Ahmed al-Sharaa aufzuheben, sagt Scheich Muwafaq Tarif. »Er hat sich nicht geändert«

 17.07.2025

Frankfurt am Main/Berlin

Schuster nennt Wadephuls Israel-Äußerung eine »Entgleisung«

Der Zentralratspräsident warnt zudem vor antisemitischer Verrohung

 17.07.2025

Berlin

Wo die Intifada globalisiert und gegen Zionisten gehetzt wird

Ein Augenzeugenbericht über einen merkwürdigen Abend an der Freien Universität, der mit einem Hausverbot endete

von Alon David  17.07.2025

Meinung

Es ist an der Zeit, endlich gegenzusteuern

Deutschland sollte lernen, seine Werte selbstbewusst zu vertreten. Plädoyer für eine andere Zuwanderungspolitik

von Jacques Abramowicz  17.07.2025

Zentralrat der Juden

Den Zeiten zum Trotz

Vor 75 Jahren gegründet, hat der Zentralrat das jüdische Leben in Deutschland nach der Schoa wieder möglich gemacht und geprägt. Worauf es nun in Zukunft ankommt

von Michael Brenner  17.07.2025

Jubiläum

»Stabiles, gesundes jüdisches Leben«

Mahner gegen Antisemitismus: Vor allem dafür ist der Zentralrat der Juden einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Zu seinen Aufgaben gehört noch mehr. Vor 75 Jahren wurde er gegründet

von Leticia Witte  17.07.2025