Parteien

Die Staatsfeinde

Foto: picture alliance / ZB

Vieles muss man im demokratischen Rechtsstaat aushalten. Meinungen, auch abstruse. Argumente, auch dumme. Emotionen, auch niederträchtige. Demokratie heißt Streit, Demokratie ist eine Zumutung. Für alle. Gut so. Wunderbar so.

Aber was man nicht aushalten muss, das ist, wenn Leute sich aufmachen, dieses für alle Beteiligten so anstrengende Gespräch einfach aufzukündigen – und stattdessen Fäuste sprechen zu lassen. »Faschismus ist keine Ideologie, sondern bloß eine politische Herrschaftstechnik«, und zwar mit Knüppeln und Stacheldraht für die politischen Gegner statt mit Argumenten.

So hat das einmal ein jüdischer Jurist geschrieben, der vom Faschismus mehr wusste als viele jener Menschen, die in diesen Tagen sagen, man solle angesichts der Wahlerfolge der AfD entspannt bleiben.

Wach auf, Europa!

Dieser kluge Jurist arbeitete während der Weimarer Republik in München als Rechtsanwalt. Er lehrte zugleich Verfassungsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität und engagierte sich in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei DDP. Von den Nazis wurde Karl Löwenstein (1891–1973) ins US-Exil getrieben, wo er unter anderem in Yale lehrte. Er schrieb dort sehr klar: Wach auf, Europa! Die europäischen Demokratien seien viel zu lang tolerant gegenüber den Intoleranten gewesen, den Nazis. Er fand: Das sei ihr historischer Fehler.

Es war 1937, die großen antisemitischen Pogrome hatten noch gar nicht begonnen, aber Juden im Deutschen Reich waren schon weitgehend entrechtet, da kritisierte Löwenstein in einem fulminanten Essay in der »American Political Science Review« seine deutschen Landsleute dafür, dass sie so leichtsinnig gewesen seien, die Hitler-Partei überhaupt je an Wahlen teilnehmen zu lassen.

Wie kann sich eine Demokratie gegen ihre Feinde behaupten, ohne selbst verschlossen und undemokratisch zu werden, fragte er. »Sie muss wehrhaft werden«, lautete seine Schlussfolgerung. Wobei er im englischen Original einen noch schwungvolleren Ausdruck prägte: »militant democracy«. Übersetzt etwa: kampfbereite Demokratie. Nach der Befreiung von der Hitler-Herrschaft ist dieses Konzept dann im Gepäck der US-Armee zurück nach Bayern gekommen. Mit Löwenstein als ihrem Berater. So ist dieses Konzept 1949 auch ins Grundgesetz eingeflossen.

Klartext: Die AfD beabsichtigt eine ethnische Säuberung.

Wenn jetzt über ein AfD-Verbot diskutiert wird, dann auch über eine Idee Löwensteins: Nach Artikel 21, Absatz 2 des Grundgesetzes sind Parteien, »die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden«, verfassungswidrig und sollen deshalb – anders als einst die NSDAP – keine Chance bekommen, bei demokratischen Wahlen mit anzutreten.

Wahrscheinlich würde Löwenstein, der geistige Vater der »wehrhaften Demokratie«, aber staunen, wenn er erführe, wie gelassen und abwartend sich die politischen Institutionen verhalten, während AfD-Leute bereits eine konkrete Machtperspektive in östlichen Bundesländern aufbauen. »Remigration«: So lautet ein beschönigendes Schlagwort, das in diesen Tagen groß in die Nachrichten gekommen ist.

Plan für eine Rückabwicklung von Migrationsbewegungen

AfD-Politiker haben gemeinsam mit bekannten Rechtsextremen in einem Hotel in Potsdam zusammengesessen und über einen Plan für eine Rückabwicklung von Migrationsbewegungen fantasiert. Es geht ihnen, wohlgemerkt, nicht bloß um eine Abschiebung von Ausländern. Um eine Asylpolitik also, über die man in einer Demokratie selbstverständlich streiten kann.

AfD-Leute sprechen hier offen – und nicht zum ersten Mal – darüber, dass Deutsche, die ihren ethnischen Reinheitsvorstellungen nicht entsprechen, ausgebürgert und aus diesem Land hinausgeworfen werden. Es geht um eine ethnische Säuberung.

Wenn heute manchmal über die AfD ein wenig verharmlosend gesagt wird, das sei doch bloß eine Partei von Retro-Konservativen, dann ist das nicht richtig. Sondern es verkennt einen wichtigen Punkt. Was der AfD an jenen Nachkriegsjahren besonders gefällt, das ist die Friedhofsruhe, die damals in der Gesellschaft herrschte. Die Bundesrepublik der 50er-Jahre war ethnisch so homogen, wie Deutschland vorher und nachher nie wieder war. Nicht nur die Menschen in jüdischen Gemeinden wissen aber noch allzu gut, wieso.

In der AfD, die gerade einmal zehn Jahre jung ist, schicken sich heute wieder Leute an, staatsbürgerliche Rechte für Menschen mit dem »falschen« Stammbaum infrage zu stellen. Sie schwadronieren über die Möglichkeit, im Staat eine neue Rassenlehre zu etablieren – mit Bürgern erster und zweiter Klasse.

»Propaganda gegen die Verletzlichsten«

Sie wollen ein Land schaffen, in dem weniger Menschen als bisher demokratisch mitreden dürfen. Hinzu kommt das, was Karl Löwenstein einst eine »Propaganda gegen die Verletzlichsten« nannte: Hetze, die eine Mehrheit der Bevölkerung gegen Minderheiten zusammenschweißen soll.

Das Grundgesetz überlässt die Entscheidung, wann eine solche politische Kraft verboten werden sollte – oder auch nur Teile von ihr –, klugerweise nicht den Parteipolitikern, sondern den unabhängigen Richtern am Verfassungsgericht. Es braucht aber Parteipolitiker, um diesen Prozess überhaupt in Gang zu setzen. Bundesregierung, Bundesrat oder Bundestag: Von ihnen muss das Startsignal kommen.

Der Autor ist rechtspolitischer Korrespondent bei der »Süddeutschen Zeitung«.

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