Hintergrund

Die Maschinisten des Völkermords

Haus der Wannsee-Konferenz Foto: Omer Messinger

Im Sommer hört Deborah Hartmann am Schreibtisch die Lautsprecheransagen vom Strandbad Wannsee am gegenüberliegenden Ufer. Im Winter sieht sie den See still vor ihrem Fenster und Krähen krächzen über Uferbäumen. »Es ist die Ambivalenz dieses Ortes, unglaublich schön und unglaublich tragisch«, sagt die Direktorin des Hauses der Wannseekonferenz. »Das ist durchaus verwirrend.«

Am Dienstag besuchten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender diesen verwirrenden, grauenhaften Ort deutscher Geschichte. Ausgerechnet in diese Berliner Villa am Großen Wannsee hatte der SS-Offizier Reinhard Heydrich für den 20. Januar 1942 NS-Funktionäre geladen, um die Ermordung von bis zu elf Millionen Juden Europas zu planen. 80 Jahre später scheint fast unvorstellbar, wie Menschen diesen beispiellosen Völkermord ersannen und umsetzten.

Schon Mitte 1941 hatte Heydrich von Reichsmarschall Hermann Göring den Auftrag bekommen, diese sogenannte Endlösung praktisch zu organisieren. Reichskanzler Adolf Hitler hatte die »vollständige Vernichtung der jüdischen Rasse« sogar öffentlich angedroht. Die politische Entscheidung war also längst gefallen, die Maschinerie bereits angelaufen mit Erschießungen von Zehntausenden in den von Deutschland in Osteuropa beherrschten Gebieten.

Es wäre ein Missverständnis anzunehmen, die Schoa sei bei der Wannseekonferenz beschlossen worden, sagt Matthias Hass, der stellvertretende Leiter der heutigen Bildungsstätte am historischen Ort. »Die Ebene, die hier sitzt, beschließt nichts, das ist keine politische Entscheidungsebene. Sondern das ist eine Umsetzung von Dingen, die schon stattfinden.« Die 15 NS-Offiziere und -Beamte, die da im Konferenzraum mit Blick auf den Wannsee tagen, sollen - das muss man wohl so sagen - die Todesmaschinerie optimieren.

Es sind Staatssekretäre aus Berliner Ministerien, darunter der später als Präsident des Volksgerichtshofs berüchtigte Jurist Roland Freisler. Es sind Vertreter der NSDAP, des Sicherheitsapparats und der Verwaltung der Ostgebiete. Zentrale Figur ist neben Heydrich der SS-Offizier Adolf Eichmann, Referatsleiter »Judenangelegenheiten und Räumungen« im Reichssicherheitshauptamt.

Mit dem Treffen, so erläutert es Hass, will Heydrich seine Führungsrolle behaupten und die Unterstützung der diversen Verwaltungseinheiten sichern. Zudem gilt es »allen, die das möglicherweise noch nicht wissen mitzuteilen, was eigentlich Endlösung der Judenfrage heißt: und zwar europaweite Deportation in den Tod, in den Massenmord: »Wir planen die Ermordung von elf Millionen Menschen.««

Das Ziel sei für die Teilnehmer nicht neu gewesen, womöglich aber die Dimension, sagt Hass. Heydrich lässt für den Termin penibel zusammentragen, wo wie viele potenzielle Opfer der geplanten »Sonderbehandlungen« zu finden sind. Dass auch Juden außerhalb des NS-Machtgebiets aufgelistet sind - zum Beispiel 330 000 in England und fünf Millionen in der Sowjetunion - spiegelt wohl die Siegesgewissheit des NS-Apparats in dem 1939 begonnen Weltkrieg.

Die Todesliste ist Teil des Protokolls der Wannseekonferenz. Es führt aus, wie der NS-Staat mit Repression und Verfolgung »auf legale Weise« versucht habe, »den deutschen Lebensraum von Juden zu säubern«. Nun seien die »Auswanderungsarbeiten« jedoch zuende und an ihre Stelle »als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten«.

In dieser Sprache geht es in dem von Eichmann verfassten Protokoll auf 15 Seiten weiter: steril, verharmlosend, bürokratisch. Bei der Konferenz selbst sei jedoch nach späteren Aussagen Eichmanns »ganz unverblümt von Massenmord gesprochen worden«, schreibt der Historiker Peter Klein vom Berliner Touro College. Niemand habe grundsätzliche Bedenken oder Einwände gehabt. Vielmehr ging es um Kompetenzen, um den Kreis der Opfer, um die Reihenfolge der Deportationen und um effizientere Mordmethoden, etwa Vergiftungen mit Diesel-Abgasen oder dem Giftgas Zyklon B anstelle von Erschießungen.

Nach nur 90 Minuten war wohl alles geklärt. Heydrich hatte seinen Machtanspruch durchgesetzt, die Rollen waren verteilt, das industrielle Morden geplant, mit teuflischer Präzision. Es habe keine Wartezeiten gegeben, keine Staus, keinen Mangel an Zügen - ein »rasend schnelles Mordprogramm«, sagt Hass. »Zum Zeitpunkt der Konferenz sind ungefähr 80 Prozent der Opfer noch am Leben. Und eineinhalb Jahre später, im Herbst 1943, sind 80 Prozent tot.« Ermordet, zu Tode gearbeitet, an Krankheiten gestorben, verhungert. Bis Kriegsende 1945 insgesamt sechs Millionen Juden Europas.

Steinmeier ließ sich das bei seinem Besuch erklären und besichtigte die Dauerausstellung. Ins Gästebuch der Gedenkstätte schrieben er und seine Frau: »Es darf nicht vergessen werden, was hier vor 80 Jahren geschah, als ein Staatsapparat, deutsche Verwaltungsbeamte, den Völkermord an den Jüdinnen und Juden Europas planten.« Die Bildungsarbeit möge dazu beitragen, dass Geschichte sich nicht wiederhole.

Häufig kommen, wenn die Pandemie es zulässt, Schulklassen in die Gedenkstätte. Aber wie vermittelt man diese Ereignisse heute? Matthias Hass hält das nicht für aussichtslos. »Wir haben jetzt Generationen, die viel radikaler bereit sind, die harten Fragen zu stellen«, sagt der Vizedirektor.

Warum Menschen dies taten, wie Familienväter und Schöngeister zugleich Maschinisten des Völkermords werden konnten, lasse sich aber vielleicht nie erklären, meint Direktorin Hartmann. »Ich glaube, damit müssen wir lernen zu leben, dass manche Dinge einfach grau bleiben und nicht eindeutig zu beantworten sind.«

Potsdam

Günther Jauch pflegt Kontakt zu Holocaust-Überlebender

In Potsdam ist eine Ausstellung zur Entführung des Nazi-Verbrechers Adolf Eichmann zu sehen. Moderator Günther Jauch unterstützt sie als Schirmherr und teilt eine persönliche Geschichte

 26.03.2025

Koalitionsverhandlungen

Noch nicht geeint

Union und SPD haben sich in einigen Punkten bereits auf eine gemeinsame Linie verständigt - doch in Sachen Unterstützung für Israel gibt es noch Dissens

von Michael Thaidigsmann  26.03.2025

Restitution

Länder stimmen Schiedsgerichtsbarkeit über NS-Raubgut zu

Die Präsidentin der Kulturministerkonferenz Barbara Klepsch (CDU) sprach von einem klaren Bekenntnis zur historischen Verantwortung

 26.03.2025

Brandenburg

Freundeskreis Israel hat sich neu konstituiert

Neue Vorsitzende sind der SPD-Abgeordnete Sebastian Rüter und die CDU-Abgeordnete Kristy Augustin

 26.03.2025

Gesellschaft

Umfrage: Mehr als die Hälfte möchte Schlussstrich unter NS-Zeit

Auch die Aussage, dass der Nationalsozialismus angeblich auch gute Seiten gehabt habe, findet hohen Zuspruch

von Leticia Witte  26.03.2025

Meinung

Den Opfern glauben

Mascha Malburg sieht im Fall Gil Ofarim keinen Anlass, an den vielen antisemitischen Taten in Deutschland zu zweifeln

 26.03.2025

Interview

»Die UNRWA ist komplett von der Hamas durchseucht«

Dirk Niebel über die Kritik am Hilfswerk für Palästinenser, Verwicklungen in den Terror und andere Wege der Unterstützung

 26.03.2025

Leipzig

Gericht verhandelt zu Klage der BDS-Bewegung gegen Bundestag

Das Parlament verurteilte die Aktivitäten der antiisraelischen Kampagne BDS als antisemitisch. Die Unterstützer wehren sich gegen die Vorwürfe. Nun geht der Rechtsstreit in die nächste Runde

 26.03.2025

Berlin

»Wir müssen sie da rausholen«

Die ehemaligen israelischen Geiseln Raz und Ohad Ben Ami berichteten in Berlin von ihrem Schicksal in den Händen der Hamas-Terroristen in Gaza. Gemeinsam mit Angehörigen weiterer Entführter kämpfen sie für deren Freilassung und für die Rückkehr der Ermordeten

von Detlef David Kauschke  26.03.2025