Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, der Rechtsterrorist Stephan E., war offenbar für die AfD aktiv und soll die Partei in Hessen im Wahlkampf unterstützt haben. Regelmäßig sei er bei Veranstaltungen der AfD in seiner Heimatstadt Kassel gesehen worden. Das legen Aussagen von AfD-Mitgliedern gegenüber der Polizei nahe, die der NDR einsehen konnte.
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass E. den Kasseler Regierungspräsidenten im Juni auf dessen Terrasse mit einem Kopfschuss ermordet hat. So hatte es E. in einem ersten Geständnis nach seiner Festnahme ausgesagt. Die Strafverfolger gehen von einem rechtsextremen Motiv aus.
geständnis Der langjährige Neonazi E. hatte in seinem ersten Geständnis als Grund für den Mord Lübckes Haltung in der Flüchtlingspolitik genannt. Der CDU-Politiker stand für einen humanen Umgang mit Flüchtlingen ein und hatte sich gegen Rassisten ausgesprochen. Er wurde von Rechten massiv angefeindet, auch aus Reihen der AfD. Stephan E. hatte sein Geständnis, in dem er Details zur Tat und zum Versteck der Mordwaffe nannte, zunächst widerrufen und nun – Anfang des Jahres – ein neues Geständnis abgelegt.
Darin belastet E. Markus H. Dieser habe Lübcke »versehentlich« erschossen. Die Ermittler sehen jedoch keinen Grund für Zweifel an seinem ersten, umfassenden Geständnis. Ein Strafsenat des Bundesgerichtshofs bescheinigte der Tat jüngst einen staatsgefährdenden Charakter.
Dass E. bei AfD-Demonstrationen in Chemnitz und Erfurt auf der Straße war, verwundert nicht, denn zu den Aufmärschen kamen nicht nur AfD-Mitglieder. Auch eine Spende von E. an die AfD für den Wahlkampf ist bereits bekannt. Dass E. allerdings in Kassel in der Partei aktiv war, überrascht, denn das Risiko aufzufliegen, war vor Ort immer gegeben.
Über ein Jahrzehnt soll E. zuvor in der Kasseler Neonazi-Szene aktiv gewesen sein. Gemeinsam mit seinem Kameraden Markus H. und anderen Anhängern des »Freien Widerstands Kassel« fuhr er etwa zu Neonazi-Aufmärschen. In den zurückliegenden Jahren fiel er den Sicherheitsbehörden nicht mehr als Rechtsextremist auf, auch nicht mit Straftaten.
Die Partei scheint für jene attraktiv zu sein, die zum Äußersten bereit sind.
Stephan E. hängte vor den Landtagswahlen in Hessen 2018 Plakate für die Partei auf und wurde mehrmals bei AfD-Veranstaltungen gesehen. Die hessische AfD bestätigte dies inzwischen. Sie betont aber auch, E. habe nie einen Mitgliedsantrag gestellt. Bei E. zu Hause fanden die Ermittler Unterschriftenlisten für den AfD-Wahlkampf.
erkenntnisse Für den Kasseler Politologen Wolfgang Schroeder bedeuten die neuen Erkenntnisse, »dass eine solche Partei so interessant ist, dass auch extremistische Kräfte, die nicht nur die Verfassung ändern wollen, sondern sogar bereit sind, Gewalt einzusetzen, in der Partei eine Projektionsfläche und einen Handlungsraum sehen«. Die AfD müsse sich die Frage gefallen lassen, warum E. ausgerechnet zu ihnen kam.
So taugen zwar die offenbaren Verbindungen des mutmaßlichen Rechtsterroristen zur AfD auch nicht als Vorwurf gegen die AfD vor Ort. Sie zeigten vielmehr, dass die Partei inzwischen selbst für jene attraktiv scheint, die zum Äußersten bereit sind und vor politischem Mord nicht zurückschrecken. Fragte man bei rechtsextremen Gewalttaten noch vor ein paar Jahren meist nach Verbindungen der Täter zur NPD, so muss man nun offenbar die AfD in den Blick nehmen. Denn anscheinend ist die Partei für gewalttätige Rechtsextreme und -terroristen attraktiv geworden.
Das dürfte nicht zuletzt an den rechtsextremen Teilorganisationen der AfD liegen, der »Jungen Alternative« und dem »Flügel«. Die Einstufung dieser Gruppen als verfassungsfeindlich sorgte jüngst für einen immensen Anstieg von Rechtsextremisten auf dem Radar des Verfassungsschutzes. Statt bisher 24.100 Personen haben die Verfassungsschützer jetzt über 32.000 Rechtsextreme auf der Beobachtungsliste, wie der »Tagesspiegel« berichtete.
Verbot Während sich die AfD von Rechtsterror zu distanzieren versucht, hat Innenminister Horst Seehofer eine Gruppe verboten, die seit Jahren unter Verdacht steht, rechtsterroristische Strukturen aufzubauen: die Vereinigung »Combat 18 Deutschland«. Für Oppositionspolitiker wie Martina Renner (Linke) kommt das Verbot dieser sogenannten Kampfgruppe Adolf Hitler viel zu spät. Die Neonazis hätten Zeit gehabt, sich auf das Verbot vorzubereiten und möglicherweise belastendes Material beiseitezuschaffen. Seit Jahren moniert Renner, dass »Combat 18« in Deutschland ganz legal agieren kann.
In einem vertraulichen Papier aus dem Bundesinnenministerium von 2018 bescheinigt die Behörde »Combat 18 Deutschland« eine neonationalsozialistische Gesinnung, und dass sie »ein Durchlauferhitzer für rechtsextreme Gewalttäter« sei. Terroristische Bestrebungen erkannte man im Innenministerium jedoch nicht.
Die Bundesanwaltschaft habe 2017 und 2018 umfassend geprüft, ob sie gegen »Combat 18 Deutschland« wegen Terrorverdachts ermitteln könne. Das Ergebnis: Dafür, dass die Gruppe Anschläge ins Auge fasste, gab es keine Hinweise.
verein Das jetzige Verbot erfolgte auf Grundlage des Vereinsgesetzes und ist deutlich niederschwelliger. Denn dabei muss nur nachgewiesen werden, dass sich die Organisation gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet und dem Gedanken der Völkerverständigung zuwiderläuft, bei solch radikalen Neonazi-Gruppen keine Schwierigkeit. Es ist ein symbolischer Schlag. Allerdings können sich militante Neonazis nun nicht mehr öffentlich mit ihrer Zugehörigkeit zu der Bande brüsten – mit dem Verbot der Gruppe steht nämlich auch das Zeigen der Symbole unter Strafe.