Es war an einem Freitag. Kiddusch in einer mittelgroßen Gemeinde in einer ostdeutschen Stadt, überwiegend russischsprachig und aus Zuwanderern bestehend. Neben mir saß ein freundlicher älterer Herr, der lebhaft mitsang.
Schließlich fragte er uns, warum wir die Tora nicht besser kennen würden. Denn sie verkünde doch, dass der Messias bereits existiere und dass sie klar auf den einen hinweise: »Jesus, den Christus«. Schließlich bekannte er sich offen dazu, ein »messianischer Jude« zu sein.
judenmission Insbesondere im Osten Deutschlands sind viele Juden den Bemühungen solcher Gruppen ausgesetzt. Dabei geht es nicht zuletzt um Effizienz. Denn mehr noch als die tradierte christliche Judenmission, so die Hoffnung, würde sich – quasi von Jude zu Jude – die Erkenntnis durchsetzen, dass die »Erfüllung des Judentums« in der Hinwendung zu Jesus in der christlichen Deutung bestehe. Das Problem bei diesen Gruppen ist nicht ihr Bekenntnis zu christlichen Prinzipien. Das zu haben, ist ihr Menschenrecht. Das Problem ist vielmehr, dass sie sich als »Juden auf dem rechten Weg« präsentieren und somit ein christliches Thema zu einem jüdischen Problem machen.
Nun hat die Evangelische Allianz jüngst entschieden, die missionarischen Juden unter ihre Fittiche zu nehmen. Das könnte man so deuten, als sei das Offensichtliche an diesen Gruppen, dass es nämlich Christen mit jüdischen Wurzeln sind, nun auch institutionell klargestellt. Schön wär’s.
boykott Doch erleben wir nicht eher einen evangelikalen Versuch, die in den Kirchen nach der Schoa nicht mehr geschätzte Judenmission durch die Predigt messianischer Juden zu ersetzen? Und gleichzeitig deren Einfluss innerhalb der evangelischen Kirche zu stärken? »Christen freuen sich über die Juden, die Jesus Christus als ihren Messias erkennen. Messianische Juden sind deshalb unsere Schwestern und Brüder«, heißt es in erfreulicher Offenheit in der Erklärung der Evangelischen Allianz. Ein Nahziel ist es ohne Zweifel, auf diese Weise den Boykott dieser Gruppen durch den Evangelischen Kirchentag zu unterlaufen.
Manche wittern da eine Gefahr für die Gemeinden. Doch gemach: Dem letztlich erfolgreichen Dialog von Christen und Juden wird diese Aktion nicht schaden. Und im Lutherjahr darf man durchaus an die Kontinuität der Erfolglosigkeit judenmissionarischer Bemühungen erinnern: in der Vergangenheit und sicher auch in der Gegenwart.
Der Autor ist Publizist in Köln.