Geschichte

60 gute Jahre?

Michael Wolffsohn Foto: dpa

Auch wenn der Grund berechtigt ist, gibt es Wermutstropfen. Zu Recht feiern wir 60 Jahre dip­lomatische Beziehungen zwi-
schen Deutschland und Israel, denn: Der Rechtsnachfolger des sechsmillionenfachen, NS-deutschen Judenmörderlandes, die Bundesrepublik Deutschland, hat sich bisher zu ihrer besonderen Verantwortung Israel und den anderen Juden gegenüber durch Wort und Tat bekannt. Weitgehend und trotz erheblicher Widrigkeiten. Schließt man jedoch von dieser 60-jährigen Vergangenheit und der Gegenwart (bereits vor dem 7. Oktober 2023) auf die Zukunft, ist vor allem Bitterkeit zu erwarten.

Das analytische Fazit der vergangenen 60 Jahre aus israelischer Sicht: Trotz der immensen NS-deutschen Last sowie vieler Hindernisse danach ist Deutschland inzwischen für die Gesellschaft und selbst für die Regierung Israels nach den USA der beste Freund und wichtigste Partner auf nahezu allen Gebieten.

Israel als Störfaktor deutscher Real- und Moralpolitik

Das analytische Fazit der vergangenen 60 Jahre aus deutscher Sicht: Israel war, ist und wird gewiss noch mehr ein, wenn nicht gar der Störfaktor deutscher Real- und Moralpolitik. An ausgewählten Personen und Situationen sei das auf Deutschland bezogene Fazit anhand von Kanzlern und Öffentlichkeit veranschaulicht.

Störfaktor eins vor Aufnahme diplomatischer Beziehungen war 1952/53 das »Wiedergutmachungsabkommen«. 44 Prozent der Westdeutschen lehnten es ab, nur elf Prozent befürworteten es. Die Westmächte, allen voran die USA, bremsten. Sie fürchteten, Bonn könne nur entweder Wiederbewaffnung oder Wiedergutmachung wirtschaftlich stemmen, nicht beides. Trotzdem boxte Kanzler Adenauer (CDU) die »Wiedergutmachung« durch. Mithilfe der SPD-Führung und gegen die Mehrheit ihrer und seiner Wähler. Moralpolitisch eindrucksvoll, doch realpolitisch für ihn und die SPD ein Störfaktor.

Aus dem ersten abgeleitet war der zweite Störfaktor deutsch-amerikanischer Beziehungen: Als sich Israel unter David Ben Gurion 1956/57 zunächst weigerte, die zuvor eroberte Sinai-Halbinsel und den Gazastreifen zu räumen, forderte US-Präsident Dwight D. Eisenhower seinen Freund Konrad Adenauer auf, die Wiedergutmachungszahlungen an Israel einzufrieren. Adenauers Antwort: ein kategorisches Nein. Die Aussöhnung mit Israel sei ethische Basis deutscher Außenpolitik.

Adenauer stand tatsächlich an der Seite Israels – ganz anders als Brandt und Schmidt.

Als sich Kanzler Ludwig Erhard (CDU) im Mai 1965 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen durchrang, war bereits das Gefüge bundesdeutscher Nahostpolitik zusammengebrochen. Gegen den Rat seines CDU-Außenministers Gerhard Schröder, der USA und der deutschen Wirtschaft entschied sich Erhard für diplomatische Beziehungen zu Israel. Diverse arabische Staaten brachen ihre Beziehungen zu Bonn ab. Handfeste deutsche Interessen waren gestört. Doch erstmals stand die Mehrheit der (West-)Deutschen an Israels Seite.

Die nächste Störung: vor, während und nach dem Sechstagekrieg. Den Untergang Israels fürchteten vor dem Krieg viele. Unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Außenminister Willy Brandt (SPD) blieb Bonn »neutral« und verweigerte jegliche Hilfe – außer Gasmasken (sic) und leere Worte. Erkennbar war dies auch in der SPD/FDP-Ära 1969 bis 1982.

Willy Brandt: Israelpolitik wird fortan »ohne Komplexe« geführt

Als frisch gebackener Bundeskanzler verkündete Willy Brandt am 11. Februar 1970 in kleinster Runde, sich nicht mehr von Israel außenpolitisch stören lassen zu wollen. Kanzler-O-Ton: Israelpolitik werde fortan »ohne Komplexe« geführt. Gesagt, getan: vor allem im Jom-Kippur-Krieg vom Oktober 1973. Die SPD/FDP-Koalition verbot den USA, für die Lebensrettung Israels benötigte US-Waffen aus und über Deutschland zu liefern. Im Oktober 1980 nennt Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) Israel »die größte Gefahr für den Weltfrieden«. Geschichtsethisch knüpfte er an die »komplexfreie« Israelpolitik Brandts im April 1981 an: Deutschlands Politik werde »nicht mehr von Auschwitz überschattet«.

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Ganz anders Kanzler Helmut Kohl (CDU), ein echter Israelfreund, der besonders nach dem Fall der Mauer alles tat, um israelische und andere Auslandsängste von einem vereinten Deutschland abzubauen.
Kanzler Gerhard Schröder (SPD) setzte die Tradition von Brandt und Schmidt demonstrativ fort. Doppelbödig Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Einerseits Israel als »deutsche Staatsräson« und »Angriff auf Israel wie ein Angriff auf Deutschland« (2008), andererseits 2015 Appeasement mit dem Iran, der Israels Auslöschung betreibt.

Frisch sind die Erinnerungen an Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seine reisefreudige Außenministerin Baerbock (Grüne). Zuerst Worte plus Gesten des Mitgefühls nach dem 7. Oktober 2023, bald oberlehrer­hafte Ermahnungen und gescheiterte Vermittlungsversuche. Nicht einmal die Freilassung der israelischen Geiseln mit deutschem Pass gelang. Von der Zähmung des antijüdisch unterfütterten Anti-Israelismus in der deutschen Gesellschaft ganz zu schweigen. Wer kann da unbeschwert feiern?

Der Autor ist Historiker und Publizist. Im März erschien sein Buch »Feindliche Nähe: Von Juden, Christen und Muslimen«.

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