Ihr Leben war geprägt von Ambivalenzen, ihre Kunst aber ist von einer kompromisslosen Klarheit. Leuchtende Farben, starke Kontraste und großzügige, kraftvolle Pinselstriche zeichnen die Gemälde der deutsch-südafrikanischen Malerin Irma Stern (1894–1966) aus und machen sie zu einer der wichtigsten Vertreterinnen des Expressionismus. In Südafrika hochgeehrt und zur nationalen Ikone gekürt, ist sie in ihrer zweiten Heimat nahezu unbekannt. Irma Stern. Eine Künstlerin der Moderne zwischen Berlin und Kapstadt im Brücke-Museum ist eine Einladung, ihr außergewöhnliches Werk (neu) zu entdecken.
Zwei Porträts rahmen die Ausstellung eindrucksvoll ein und stehen gleichsam für die Gegensätze in Sterns Werdegang. »Das ewige Kind« von 1916 zeigt ein schmächtiges, blasses, von den Entbehrungen des Ersten Weltkriegs gezeichnetes Mädchen, das den Betrachter aus großen dunklen Augen anschaut und gleichzeitig gedankenverloren an ihm vorbei ins Leere blickt. In seiner Hand hält es einen Strauß mit Feldblumen. Man mag sich ausmalen, wie es kurz zuvor das bunt gemusterte Kleid mit dem feinen weißen Spitzenkragen aus dem Schrank genommen hat, um für diesen besonderen Moment in seinem bescheidenen Alltag zu posieren.
Von dort ist es ein weiter Weg bis zur »Maid in Uniform« (1955). Das Bild kann beinahe als die Ikone der Berliner Retrospektive gelten. Es zeigt eine dunkelhäutige Frau mit weißer Schürze und Haube, die durch ihre Kleidung als Dienstmädchen zu erkennen ist. Mund und Augen sind übergroß. Die lässig verschränkten Arme und ein Blick, der trotzig, beinahe herablassend zur Seite geht, zeugen von Selbstbewusstsein und Autonomie. Das karge, schlichte und gleichzeitig beeindruckend-einnehmende Porträt beschließt den Rundgang durch das Museum und bringt auf seine Art das Dilemma zum Ausdruck, dem die Kuratoren zu erliegen scheinen.
Alle drei Identitäten prägten ihr malerisches Werk.
Irma Stern war Südafrikanerin, Deutsche, Jüdin. Alle drei Identitäten prägten ihr malerisches Werk. Als Tochter deutscher Juden in Schweizer-Reneke geboren, studierte sie als eine der ersten Frauen ab 1912 an der Weimarer Kunstakademie und in Berlin, bevor sie sich dem Expressionisten und Mitglied der »Brücke«, Max Pechstein, anschloss. 1920 zog sie zurück ans Kap, reiste aber immer wieder nach Deutschland, wo ihre Werke in Ausstellungen der von ihr mitgegründeten »Novembergruppe« gezeigt wurden. Als Jüdin wurde sie nach der Machtübernahme der Nazis verfolgt, ihre Kunst als »entartet« diffamiert. Sie kehrte dem Land endgültig den Rücken und ließ sich dauerhaft in Südafrika nieder.
Dort lebte und arbeitete Stern, die Ausgrenzung und Diffamierung in ihrer eigenen Biografie nur allzu schmerzlich erfahren hatte, in einem von Weißen dominierten Staat und profitierte von Strukturen, die andere systematisch benachteiligten. Gleichzeitig unterstützte sie aber auch Anti-Apartheid-Aktivisten wie Nelson Mandela, indem sie eines ihrer Bilder spendete, um dessen Anwaltskosten in einem Prozess wegen Hochverrats zu decken. Sie bereiste Senegal, Sansibar, Ruanda und den Kongo. Es entstanden Gemälde, deren Farbrausch man sich vorbehaltlos hingeben möchte, kontrastreiche Landschaften und faszinierende Porträts wie »Dakar Woman« (1938), »Watussi Queen« (1943) oder »Zanzibar Boy« (1945). Die Namen ihrer afrikanischen Modelle sind größtenteils nicht überliefert, ganz im Gegensatz zu den Auftragsarbeiten – Bildnissen ihrer Freundinnen Rebecca Hourwich Reyher oder Sarah Gertrude Millin aus der jüdischen Diaspora, die einem Zirkel von Kunstsammlerinnen und Journalistinnen angehörten, die in Kapstadt eine Art Enklave bildeten.
Liberales Aushängeschild
Es ist Sterns Art der Anonymisierung und Generalisierung der Dargestellten, aus der sich der heutige Vorwurf speist, sie habe die schwarze Bevölkerung des Kontinents typisierend-exotisierend verklärt und sich auf diese Weise einem illiberalen Regime angedient, das ihre Werke zur Staatskunst erhob und als liberales Aushängeschild instrumentalisierte.
Dass sie sich diesem Anspruch auf künstlerische Weise entzog, scheint den Machern der Schau allerdings entgangen zu sein. Allzu moralisierend und verengend richten sie den Fokus in kommentierenden und häufig ausufernden Texttafeln immer wieder auf Sterns Privilegien in einem vom Kolonialismus geprägten Staat und verlieren sich in dem Bemühen um politische Korrektheit in gesellschaftlich-sozialen Debatten. Dennoch gebührt ihnen großer Dank dafür, dass das herausragende Werk einer emanzipierten Frau, die stets zwischen ihren Identitäten, ihrer Heimat und Herkunft pendelte, nun endlich nach Deutschland zurückgekehrt ist. Auch das gehört zur Widersprüchlichkeit dieses Lebens.
»Irma Stern. Eine Künstlerin der Moderne zwischen Berlin und Kapstadt«. Noch bis 2. November, Brücke-Museum, Berlin