Antisemitismus im Gaming ist ein Phänomen mit vielen Gesichtern: Da ist das Rennspiel mit bunten Fahrzeugen inklusive Hakenkreuz. Auf der digitalen Vertriebsplattform Steam finden sich 65.000 User, die sich Adolf Hitler nennen. Und zeitweise war ein von Rechtsextremen konzipiertes Spiel namens »Heimat Defender: Rebellion« auf der beliebtesten Plattform im Angebot. Auch der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 oder das Attentat von Halle aus dem Jahr 2019 können mittlerweile ebenso »gespielt« werden wie der Alltag in einem Konzentrationslager mit seinen Gaskammern. Zeitweise war es auch möglich, das Attentat in Halle vom 9. Oktober 2019 virtuell selbst nachzustellen.
Weltweit zocken drei Milliarden Menschen Videospiele, in Deutschland sind es 34 Millionen Menschen. Laut einer Studie der Anti-Defamation League (ADL) von 2021 ist fast jeder zehnte Spieler im Alter zwischen 13 und 17 Jahren einem Online-Multiplayer-Game mit rassistischen Inhalten begegnet, zumeist in Spielen wie World of Warcraft, Fortnite, Valorant, League of Legends und Call of Duty, Tendenz steigend. 2022 registrierte die ADL zudem den größten Anstieg an diskriminierenden Aussagen gegenüber jüdischen Online-Multiplayer-Gamern.
Der Terror der Hamas wird verteidigt oder bagatellisiert
Betroffene berichten, dass sie in den Chats immer häufiger mit der Leugnung des Holocausts und Schmähungen ihres Glaubens konfrontiert seien. Auch in der jüngsten Broschüre »Gaming und Rechtsextremismus« der Amadeu Antonio Stiftung heißt es, dass in der Gaming-Community »antisemitische Diffamierungen oder Verschwörungserzählungen, die den Staat Israel oder das Judentum dämonisieren, weitverbreitet« sind.
Seit den Massakern der Hamas komme auch noch »israelbezogener Antisemitismus« hinzu, der »vor allem den islamistischen Terrorismus der Hamas verteidigt oder bagatellisiert«. Das ist kaum verwunderlich – schließlich nutzen Islamisten ebenfalls das Gaming als propagandistische Bühne. So erschien 2022 auf Steam ein Ego-Shooter, in dem es das Ziel des Spieles ist, mit Messern, Maschinenpistolen und Panzern den überall als israelisch markierten Feind auszumerzen. Der Herausgeber behauptete, das Spiel breche mit den vorherrschenden Stereotypen über den Nahen Osten.
2023 wurde eine erweiterte Version veröffentlicht, die es ermöglichte, den Terrorangriff der Hamas auf Israel nachzuspielen. Auf der Vertriebsplattform Steam war das Spiel zumindest zeitweise weltweit erhältlich, in Großbritannien wurde es entfernt. In Deutschland ist es jetzt ebenfalls nicht mehr erhältlich.
Der Attentäter von Halle streamte seine Tat live wie ein Videospiel
Wie stark die Verknüpfung zwischen popkultureller Subkultur und rechtsextremem oder islamistischem Terrorismus teilweise ist, zeigen die Anschläge der vergangenen Jahre: Der Attentäter von Halle streamte seine Tat live wie ein Videospiel. Er wählte nicht nur eine unter Videospielern beliebten Plattform wie Twitch aus, sondern formulierte seine Ziele auch in den Codes der Szene, beispielsweise wollte er nach eigenen Angaben den »Breivik-Highscore« knacken, also mehr Menschen ermorden als der verurteilte norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik, der 2011 insgesamt 77 Menschen ermordet hatte.
Des Weiteren erstellte er eine Liste von Spielerfolgen, wie es in vielen kommerziellen Videospielen üblich ist. Inszenatorisch wurden die Anschläge in Form von Videospielen ausgeführt, Kameraperspektive inklusive.
Heranwachsende sollen auf solche Weise an die antisemitischen und rassistischen Inhalte herangeführt werden. Die niedrigschwellige Herangehensweise dient dabei vor allem einem Zweck: »Radikalisierung im Gaming läuft nicht ab wie ›Ich sehe einen Inhalt, zum Beispiel ein Hakenkreuz oder einen rassistischen Inhalt, und werde automatisch selbst rechtsextrem oder Rassist‹«, sagte der Medienwissenschaftler Matthias Heider über das Phänomen im Deutschlandfunk. Die schleichende Normalisierung solcher Inhalte stelle aus seiner Sicht das größte Problem dar.
Die ADL warnt vor diesen Entwicklungen und will vor allem die Spieleplattformen und -unternehmen intensiver in die Pflicht nehmen. Sie sollten endlich umfassende Richtlinien erlassen, um extremistische und terroristische Inhalte zu verbieten.