Elfriede Jelinek

Wortgewaltig und unbequem

»Ich hätte mir gewünscht, leben zu können, rausgehen, wenn ich Lust habe«, sagte Elfirede Jelinek in einem Interview mit der Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Foto: dpa

Sie geht nicht mehr aus dem Haus. Auch den Literaturnobelpreis hat sie 2004 nicht persönlich entgegengenommen, sondern sich per Videobotschaft nach Stockholm schalten lassen.

Elfriede Jelinek, die am heutigen Donnerstag 70 Jahre alt wird, lebt in ihrem Elternhaus am Rande des Wiener Waldes. Die Österreicherin gilt als eine der einflussreichsten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart. Mit ihren Werken über die Verdrängung der NS-Vergangenheit, über Gewalt und Macht in Politik und Sexualität provoziert und polarisiert sie. In ihrer Heimat gilt sie vielen als Nestbeschmutzerin.

Theater Der ehemalige Bonner Schauspiel-Intendant Peter Eschberg, der Jelinek als Bühnenautorin bekannt gemacht hat, zieht einen Vergleich zum unangepassten Wiener Dramatiker Johann Nestroy: »Nicht bei ihr und ebenso wenig bei ihm gibt es laue Kompromisse angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse.«

Eschberg hatte in den 80er-Jahren eine Jelinek-Uraufführung nach der anderen auf seinen Spielplan gesetzt. »Man kann nur hoffen, dass das schwächelnde deutschsprachige Theater in seiner Selbstverliebtheit die beiden unvergleichlichen Kraftquellen nicht vergisst«, wünscht er mit Blick auf Jelinek und Nestroy.

Aber Eschberg weiß auch: »Sie leidet an einer Angsterkrankung.« Damit verrät er kein Geheimnis, denn die Autorin ist immer offen mit ihrer psychischen Labilität umgegangen. In ihrem Roman Die Klavierspielerin hat Jelinek 1983 mit ihrer dominanten Mutter abgerechnet, die ihr die Luft zum Atmen genommen hatte. Eschbergs Frau, Carmen-Renate Köper, hat in der Bonner Adaption die malträtierte Tochter gespielt. »Das war einer meiner größten Einschnitte im Theaterleben«, erinnert sie sich. Michael Haneke hat den Roman 2001 mit Isabelle Huppert verfilmt.

NS-Zeit Jelineks Vater war jüdisch-tschechischer Herkunft und überlebte den Holocaust, da er als Chemiker der Kriegsindustrie des NS-Regimes zuarbeiten musste – woran er psychisch zugrunde ging und zerbrach. Als er 1969 starb, war die Tochter schon mehrmals zusammengebrochen, auch überfordert von der mütterlichen »Dressur« zum musikalischen Wunderkind. Das Studium der Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften brach sie ab, machte aber 1971 einen Abschluss als Organistin am Wiener Konservatorium.

Damals, mit Anfang 20, begann sie, obsessiv zu lesen – und zu schreiben. »Ich hätte mir gewünscht, leben zu können, rausgehen, wenn ich Lust habe«, sagte sie der Literaturkritikerin Sigrid Löffler einmal in einem Interview für die Zeitschrift »Literaturen«. Aber die Angst, von Menschen angeschaut zu werden, war größer. »Ich habe mir den Subjekt-Status des Schreibens durch einen völligen Rückzug erkaufen müssen. Ich konnte nicht beides haben, Leben und Schreiben.«

Also schreibt sie, und das wortgewaltig und exzessiv. Ihre sarkastischen »Textflächen« gleichen zuweilen bösen Litaneien. Die kennt sie noch von der ungeliebten katholischen Klosterschule. Vieles ist ihr verhasst: vor allem das rechts-konservative Österreich, das seine NS-Vergangenheit nicht aufgearbeitet hat. Im Umfeld der 68er-Bewegung engagiert, war Jelinek 1974 in die Kommunistische Partei Österreichs eingetreten. Im selben Jahr heiratete sie den Informatiker Gottfried Hüngsberg, pendelte fortan zwischen Wien und München.

skandale 1975 erschien ihr Roman Die Liebhaberinnen, eine marxistisch-feministische Karikatur einer Heimatschmonzette. Ihren ersten ausgewachsenen Skandal produzierte 1985 das Bonner Theater mit der Uraufführung des Stücks Burgtheater, in dem Jelinek die österreichische Wessely-Hörbiger-Schauspiel-Dynastie kritisch aufs Korn nahm.

Der nächste Skandal folgte 1989 mit Lust, einem Text, in dem sich Jelinek mit patriarchalischen Verhältnissen auseinandersetzt und der – als »weiblicher Porno« verunglimpft – zu ihrem meistverkauften Werk wurde. Jelinek wurde auch von der FPÖ attackiert. 1995 verbot sie die Aufführung ihrer Stücke in Österreich – ein Mittel, zu dem sie immer wieder greifen sollte. Mittlerweile rissen sich namhafte Regisseure um sie: George Tabori (Stecken, Stab und Stangl, 1997), Einar Schleef (Ein Sportstück, 1998) Nicolas Stemann (Das Werk, 2003), Christoph Schlingensief (Bambiland, 2003).

Als sie 2004 den Literaturnobelpreis erhielt, lobte die Jury den »musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen«. Sie habe »die Absurdität gesellschaftlicher Klischees und ihrer unterjochenden Macht« offengelegt.

flüchtlinge Im Jahr 2014 wurde ihr Stück Die Schutzbefohlenen uraufgeführt, in dem Flüchtlinge vor Lampedusa eine Stimme erhalten. Im April hatte an den Münchner Kammerspielen Wut Premiere, eine Reaktion auf die islamistischen Anschläge auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo.

Gleichzeitig veröffentlicht die Sprachkünstlerin auch auf ihrer Website als Letztes den Roman Neid. Nach Lust und Gier ist er eine Fortsetzung ihres Projektes zu Todsünden.

www.elfriedejelinek.com

Andrea Kiewel

»Sollen die Israelis sich abschlachten lassen?«

Die »Fernsehgarten«-Moderatorin äußert sich im »Zeit«-Magazin erneut deutlich politisch zu ihrer Wahlheimat

 07.07.2025

Kino

Weltweit ein Kultfilm - doch hierzulande fast unbekannt

Eines der erfolgreichsten Film-Musicals überhaupt lockt viele Touristen nach Salzburg – doch im deutschsprachigen Raum ist der jetzt 60 Jahre alte Kultfilm »The Sound of Music« kaum bekannt

von Gregor Tholl  07.07.2025

Judenhass

Zwei Verfahren gegen Xavier Naidoo anhängig

Der Sänger plant ein Comeback. Dass er sich vor Jahren in Verschwörungserzählungen »verrannt« hat, bereut er. Für die Justiz ist das Ganze damit aber noch nicht erledigt. Es geht um »Inhalte mit antisemitischem Charakter«

 07.07.2025

Geburtstag

Mit dem Cello in Auschwitz: Anita Lasker-Wallfisch wird 100

Sie überlebte die Schoa als »Cellistin von Auschwitz« und ist eine der bekanntesten Zeitzeuginnen: Anita Lasker-Wallfisch. Mit einem besonderen Geburtstag triumphiert sie nun über den Vernichtungswahn der Nazis

von Leticia Witte  07.07.2025

Kino

Jüdischer Superman fliegt los

David Corenswet rettet die Welt. Der Kinostart rückt immer näher. Seit 1938 haben mehrere Juden entscheidend zum Erfolg des fliegenden Helden beigetragen

von Imanuel Marcus  07.07.2025

«Stimme der verstummten Millionen»

Anita Lasker-Wallfisch blickt ernüchtert auf die Welt

Sie gehörte dem Mädchen-Orchester von Auschwitz an, überlebte das Lager und später das KZ Bergen-Belsen. Am 17. Juli wird die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch 100. Und ist verzweifelt angesichts von Antisemitismus, Rechtsruck und Krieg, sagt ihre Tochter

von Karen Miether  07.07.2025 Aktualisiert

Biografie

Autogramme, die die Welt bedeuteten

Wie die Fußballleidenschaft von Tom Tugend das Leben des jüdischen Journalisten prägte

von Martin Krauß  06.07.2025

Britische Band »Oi Va Voi«

»Das schlagende Herz des Albums«

Die Musiker haben den Song »Dance Again« in ihrem neuen Album den Opfern des Nova-Festivals gewidmet. Ein Gespräch über Mitgefühl, Hoffnung und die Wut nach Konzertabsagen

von Katrin Richter  06.07.2025

Aufgegabelt

Melonensalat mit gebackenem Halloumi

Rezepte und Leckeres

 06.07.2025