»Letzte Verteidigungswelle«, so nannte sich die rechtsextreme Gruppe, die die Polizei Ende Mai dieses Jahres aushob. Fünf Jugendliche aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen nahmen die Beamten dabei fest, im Alter zwischen 14 und 18 Jahren: Sie hatten Attentate auf Geflüchtete und politisch Andersdenkende geplant, teils auch bereits Brandanschläge verübt. Die Jungen hatten sich aus ihren Kinderzimmern heraus radikalisiert, online, in kürzester Zeit.
Es ist eine Nachricht, die leider perfekt zu dem Bild passt, das die Doku-Reihe »World White Hate« zeichnet. Arte strahlt deren drei Teile am 8. Juli von 20.15 bis 23.00 Uhr aus. Darin berichtet Filmemacher Dirk Laabs aus einer verstörenden Parallelwelt, in der einsame junge Männer über das Internet rechte Ideologien wie jene von der »White Supremacy«, also einer vermeintlichen »weißen Vorherrschaft« entdecken - und in der »echten« Welt zur Gewalttat schreiten.
Kaum auszuhalten
Dass vor allem die erste Episode wie ein dunkler, düsterer Alptraum anmutet, ist deshalb nur folgerichtig: Eine unaufhörliche Bilder- und Informationsflut rund um die menschenverachtende Ideologie der internationalen Rechten ergießt sich über das Publikum; für Verschnauf- oder Reflexionspausen bleibt kaum Zeit - jedenfalls gefühlt. Tatsächlich kommen hier wie auch in den zwei anderen Folgen zahlreiche reflektierte Menschen, Angehörige, Aktivisten und Experten mit Herzensbildung zu Wort, die das Gesehene und Gehörte einordnen, diesem Verstand und Empathie entgegensetzen - sonst wäre es nicht auszuhalten.
Nichtsdestotrotz bleibt der Eindruck, dass man mit dieser Doku recht nah dran sein dürfte am Erleben der sich über Stunden, Tage und Wochen den Bildschirmen und Algorithmen ausliefernden Usern: Die schnell und bewusst sprunghaft ineinander geschnittene audiovisuelle Mischung aus Videos, Memes, Nachrichtenbildern, Polizeinotrufen, Egoshooter-Perspektiven (bei denen sich »reale« und Computerspiel-Szenen miteinander vermengen), Halbwahrheiten, Lügen und Verschwörungserzählungen gibt einen erschütternden Einblick in eine vom Hass auf alles »Andere« geprägte Welt.
Dauer-Beballerung
Dass unter dem verwendeten Material auch kurze Ausschnitte aus Tätervideos und rechten »Manifesten« sind, stößt einerseits auf - und erscheint unter dem angestrebten Effekt, den entsprechenden Einfluss nachvollziehbar zu machen, andererseits doch schlüssig. Wie zermürbend eine derartige Dauer-Beballerung ist, macht »World White Hate« körperlich spürbar - ein großer Verdienst. Man kann den zersetzenden Effekt auf ein einsames, junges, unsicheres Wesen durchaus erahnen. Insbesondere kombiniert mit der Ansprache durch »Gleichgesinnte« und dem Gefühl, zumindest im digitalen Raum endlich kein »Nobody« mehr zu sein.
Der erste Teil der Doku geht den Verbindungen zwischen den nur vermeintlich als Einzeltäter handelnden jungen Männern nach. Ob Buffalo/USA, Christchurch/Neuseeland, der Anschlag auf der norwegischen Insel Utoya oder die Attentate in Deutschland - München, Halle, Hanau: Der Film zeichnet nach, wie sich die Männer online gegenseitig anfeuern, ihre Hassfantasien in die Tat umzusetzen, die teils live gestreamten Morde und dazugehörigen »Manifeste« verbreiten.
Beunruhigende Kombination
Die zweite Episode - untertitelt: »Söldner, Soldaten und Veteranen« - handelt von der höchst beunruhigenden Kombination aus Radikalisierung und Militär. Der dritte Teil schließlich widmet sich dem »Widerstand«. Hier tauchen glücklicherweise so einige Hoffnungsschimmer auf: Da berichten Angehörige von Opfern wie Tätern, Anwältinnen, Veteranen, Politikerinnen, Beamtinnen, Ex-FBI-ler sowie Aussteiger aus der Nazi-Szene von ihren politischen, juristischen und gesellschaftlichen Kämpfen gegen den rechten Terror.
Diese Vielzahl an engagierten, sympathischen, klugen und interessanten Protagonisten ist - neben der aufklärerisch-informativen Arbeit und der anschaulichen Vermittlung dunkler Internetwelten - das wohl größte Pfund dieser aufwändigen, wichtigen und aufrüttelnden Produktion.
»World White Hate«. 3-teilige Doku-Reihe. Regie: Dirk Laabs. Arte, Di 08.07., 20.15 bis 23.00 Uhr. Mit Untertiteln für Hörgeschädigte.