Heidelberg

Versprechen für die Zukunft

Die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS) begeht derzeit gleich zwei Jubiläen. Neben dem 200-jährigen Bestehen der »Wissenschaft des Judentums« feiert die Hochschule in diesem Jahr auch den 40. Jahrestag ihrer Gründung 1979.

Aus diesem Anlass lud die HfJS am Montag im Rahmen einer internationalen Fachtagung zu 200 Jahren Wissenschaft des Judentums gemeinsam mit ihrem Träger, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, zu einem großen Festakt in der Aula der Neuen Universität in der Heidelberger Altstadt ein.

Ehrengast war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Bereits am Nachmittag hatte er in Begleitung von Theresia Bauer, der baden-württembergischen Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, und Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, die HfJS besucht.

Rektor Johannes Heil, Barbara Traub, die Kuratoriumsvorsitzende der Hochschule, und Hochschulrabbiner Shaul Friberg führten ihn durch das Gebäude und gaben ihm exemplarische Einblicke in aktuelle Lehr- und Forschungsbereiche. Außerdem traf Steinmeier mit Studenten der Hochschule zusammen, darunter auch ein Stipendiat des »The President’s Grant«, eines Stipendiums für Studenten aus Nicht-EU-Ländern, das aus dem Preisgeld des Ignatz Bubis-Preises finanziert wird, den Frank-Walter Steinmeier 2017 erhielt.

HABERMAS Am frühen Abend dann, bei schönstem »Kaiserwetter« beziehungsweise »Bundespräsidentenwetter«, wie Rektor Johannes Heil es bezeichnete, begann der Festakt in der Aula der Neuen Universität. In seiner Begrüßung erinnerte Heil daran, dass man bei aller Freude über die Gründung der HfJS 34 Jahre nach der Schoa nicht vergessen sollte, dass es ein noch freudigerer Anlass gewesen wäre, den 90. Geburtstag von Anne Frank feiern zu können. Auch im Hinblick auf wieder aufkeimenden Antisemitismus forderte Heil die HfJS und alle anderen Bildungsinstitutionen dazu auf – in Anspielung auf den Geburtstag des berühmten Philosophen –, »mehr Habermas zu wagen«, also streitbarer in der Gesellschaft aufzutreten.

Steinmeier nennt die HfJS ein »Symbol der Versöhnung«.

Ehrengast Frank-Walter Steinmeier nannte die Heidelberger Hochschule in seinem Grußwort »ein Symbol der Versöhnung und ein Versprechen für die Zukunft. Hier wird jüdisches Leben bewahrt, vor allem aber wird es gelebt«. Die HfJS sei ein »Ort des Gesprächs in Zeiten der Lautstärke«. Damit nahm der Bundespräsident Bezug auf »Hass und Gewalt« in der Öffentlichkeit und im Internet und auf die »fast täglichen« antisemitischen Übergriffe.

Schmierereien Die jüngsten antisemitischen Schmierereien im Jüdischen Museum und der Synagoge von Augsburg bezeichnete er als »abscheulich und widerwärtig«, wofür er spontanen Applaus bekam. Der Schutz jüdischer Bürger, so Steinmeier, sei Aufgabe des Rechtsstaates und dürfe nicht allein auf die Zivilgesellschaft abgewälzt werden. Dennoch: »Der Kampf gegen Antisemitismus geht auch jeden Einzelnen an.«

In seinem Grußwort sagte Josef Schuster: »Das Jahr 1979 war in gewisser Hinsicht denkwürdig für die jüdische Welt: Erstmals fand der Eurovision Song Contest in Israel statt, und das Gastgeberland gewann. Zum Wort des Jahres wurde 1979 der Begriff ›Holocaust‹ gewählt – was mit der gleichnamigen amerikanischen Fernsehserie zu tun haben dürfte. Und schließlich wurde hier in Heidelberg die Hochschule für Jüdische Studien gegründet.« Seither sei die HfJS ein »fester Bestandteil des jüdischen Geisteslebens geworden, der nicht mehr wegzudenken ist«.

ZUKUNFT Schuster erinnerte daran, dass es vor 40 Jahren Persönlichkeiten wie Rabbiner Nathan Peter Levinson sel. A., aber auch der Oberrat Baden waren, »die den Mut hatten, die Gründung einer jüdischen Hochschule voranzutreiben«. Doch einige Herausforderungen seien die gleichen geblieben: »Mehr denn je muss es unser Ziel sein, Wissen über das Judentum in die Breite der Bevölkerung zu vermitteln.« Grund seien steigende Hasskriminalität in der Gesellschaft und antisemitische Vorfälle. Das sei nicht nur eine Aufgabe für Polizei und Justiz, sondern müsse auch Thema für die Lehreraus- und -fortbildung sein.

Hier komme, so Schuster, der HfJS eine wichtige Rolle zu: »Mit ihrer soliden und hochwertigen wissenschaftlichen Ausbildung schafft sie die Voraussetzungen für den politischen Klimawandel. Von der Ausbildung ihrer Absolventen profitiert nicht nur die jüdische Gemeinschaft, sondern die gesamte Gesellschaft.« Der Zentralratspräsident schloss mit den Worten: »Investitionen in Bildung und in eine Hochschule wie die HfJS sind Investitionen in unsere Zukunft.«

Der Historiker Michael Brenner, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der American University in Washington lehrt und selbst Absolvent der HfJS ist, erinnerte in seinem Festvortrag daran, dass es, obwohl die Wissenschaft des Judentums seit 200 Jahren existiert, bis 1979 keinerlei Lehrstühle für Jüdische Studien in Deutschland gab. Zwar bemühten sich jüdische Philosophen wie im 19. Jahrhundert Leopold Zunz und später Hermann Cohen oder Martin Buber immer wieder darum, doch als sie selbst Professuren erhielten, waren sie für allgemeine, nicht für jüdische Philosophie zuständig.

BUBER Dennoch aber, so Brenner, beeinflussten die beiden letztgenannten das deutsche Geistesleben auf ganz handfeste politische Weise; Buber als Mentor Gustav Landauers, Cohen als Mentor Kurt Eisners, zweier Protagonisten der Novemberrevolution in München 1918.

Josef Schuster erinnerte an die, »die den Mut zu Gründung einer Hochschule« hatten.

Musikalisch eingerahmt wurden die Reden vom Ensemble »simkhat hanefesh« (Freude der Seele) mit jüdischer Instrumentalmusik und jiddischen Liedern aus Renaissance und Barock.

Fachtagung Der Festakt fand im Rahmen der internationalen Fachtagung »Grauzonen: 200 Jahre Wissenschaft des Judentums« statt, die die HfJS gemeinsam mit der Universität Heidelberg und dem Verband der Judaisten in Deutschland ausgerichtet hatte. Mehr als 70 Wissenschaftler aus ganz Europa, den USA, Israel und Südamerika diskutierten über die unvollendeten Ansätze, die abgebrochenen Karrieren und vergessenen Leistungen sowie die ungelösten Probleme im Verhältnis anderer Disziplinen zu den Jüdischen Studien und zum Judentum selbst. Dabei wollte man die Lesart infrage stellen, den Weg von der Wissenschaft des Judentums hin zu den heutigen Jüdischen Studien trotz der Jahre 1933–1945 als Erfolgsgeschichte zu sehen.

Den Auftakt der Heidelberger Tagung bildete am Sonntagabend in der Aula der Alten Universität die Heidelberger Hochschulrede des Historikers und Judaisten Derek J. Penslar von der Harvard University zum Thema »Die Wissenschaft und Leidenschaft im frühen Zionismus«.

Lemgo Am Dienstagabend gab es außerdem ein Konzert des Ensembles »simkhat hanefesh«, ebenfalls in der Aula der Alten Universität, mit seinem aktuellen Programm »A Journey through Ashkenaz: The Travels of Abraham Levie, 1719–1723. A Concert of Early Jewish Music«. Abraham Levie war ein junger Jude aus Lemgo, der im 18. Jahrhundert mehrere Jahre lang durch die deutschsprachigen Länder bis nach Italien und Elba gereist war. In Amsterdam verfasste er seine Reiseerinnerungen, auf denen das musikalische Programm des Ensembles »simkhat hanefesh« basiert.

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