In den chilenischen Anden beginnt in Kürze eine neue Ära der Astronomie: Das Vera Rubin Observatory steht kurz vor dem Start seiner regulären Forschungsarbeit. Wissenschaftler weltweit erwarten von der Anlage bahnbrechende Erkenntnisse über die Entwicklung des Kosmos und die Rolle dunkler Materie und dunkler Energie.
Das Herzstück der Anlage ist der 8,4-Meter-Simonyi-Spiegel, kombiniert mit der größten Digitalkamera der Welt. Mit einer Auflösung von 3,2 Gigapixeln kann sie in einem einzigen Bild eine Fläche des Himmels ablichten, die so groß ist wie 40 Vollmonde. Damit wird es möglich, in bislang unerreichter Detailtiefe und Geschwindigkeit einen vollständigen Himmelskatalog zu erstellen.
Im Mittelpunkt steht die Legacy Survey of Space and Time (LSST), eine Durchmusterung des südlichen Himmels über einen Zeitraum von zehn Jahren. Alle drei Nächte wird derselbe Himmelsausschnitt erneut aufgenommen. »Wir werden ein dynamisches, sich ständig veränderndes Bild des Universums erhalten – und dabei Phänomene dokumentieren, die bisher völlig unbemerkt geblieben sind«, erklärte ein Sprecher der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF), die das Projekt mitfinanziert.

Rätselhafte Eigenschaften
Die Dimensionen der erwarteten Datenflut sind enorm: Pro Nacht fallen rund 20 Terabyte neue Beobachtungsdaten an. Diese Informationen sollen unter anderem helfen, die rätselhaften Eigenschaften dunkler Energie zu untersuchen, die für die beschleunigte Expansion des Universums verantwortlich gemacht wird. Auch in die Struktur der Milchstraße und die Entstehung von Galaxien erhoffen sich Forscher tiefere Einblicke.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Suche nach erdnahen Objekten. Kleinere Asteroiden, die potenziell eine Gefahr für die Erde darstellen könnten, sollen mit den empfindlichen Instrumenten deutlich früher und zuverlässiger entdeckt werden. »Das Vera Rubin Observatory wird unsere Fähigkeit revolutionieren, unser eigenes Sonnensystem im Blick zu behalten«, hieß es im Washingtoner Energieministerium.
Internationale Zusammenarbeit war ein Schlüssel zum Erfolg des Projekts. Neben den USA sind zahlreiche Universitäten und Forschungsinstitute aus aller Welt beteiligt. Der Standort Cerro Pachón in den chilenischen Anden wurde aufgrund seiner günstigen Bedingungen gewählt: In einer Höhe von etwa 2700 Metern herrscht trockenes Klima mit klaren Nächten. Dies sind optimale Voraussetzungen für astronomische Beobachtungen.
Nachhaltige Veränderung
Das Observatorium ist nach Vera Rubin (1928–2016) benannt. Die jüdisch-amerikanische Astronomin gehörte zu den einflussreichsten Forscherinnen ihrer Zeit. In den 1970er-Jahren wies sie anhand von Rotationskurven von Galaxien nach, dass die sichtbare Materie alleine nicht ausreicht, um deren Bewegungen zu erklären. Dies ist ein entscheidender Hinweis auf die Existenz dunkler Materie. Ihre Arbeit stellte gängige Annahmen über die Zusammensetzung des Universums infrage und veränderte das Fachgebiet nachhaltig.

Rubin setzte sich darüber hinaus für die Förderung von Frauen in der Wissenschaft ein und war für viele Nachwuchsforscherinnen ein Vorbild. Mit der Namensgebung würdigt die internationale Astronomie-Gemeinschaft ihr wissenschaftliches Vermächtnis. »Vera Rubin hat uns gelehrt, über das Sichtbare hinauszuschauen. Ihr Name erinnert uns täglich daran, dass das Universum mehr Geheimnisse birgt, als wir bislang erahnen«, sagte ein Vertreter der beteiligten Forschergruppe.
Mit dem baldigen Start der ersten wissenschaftlichen Messungen rückt das Ziel in greifbare Nähe: ein umfassender, dynamischer Blick auf das Universum, der für die kommenden Jahrzehnte die Grundlage astronomischer Forschung bilden dürfte.
Das Vera Rubin Observatory, dessen Bau mit 680 Millionen Dollar (584 Millionen Euro) zu Buche schlug, soll fünf Millionen Asteroiden katalogisieren und Bilder von nicht weniger als 20 Milliarden Galaxien sowie 17 Milliarden Sternen erstellen. Für die High-Tech-Sternwarte und beteiligte Wissenschaftler sind Überstunden vorprogrammiert.