Geschichte

Unabhängige jüdische Stimme

Ralph Giordano, einer der ersten Redakteure der »Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung«. Bis zu seinem Tod 2014 blieb er der Zeitung treu. Foto: dpa

»Die zweite Schuld«: Mit diesem Begriff war das Versagen der deutschen Gesellschaft nach dem Holocaust auf den Punkt gebracht. 1987 legte Ralph Giordano unter diesem Titel ein Buch vor, in dem er die Verweigerung der Beschäftigung mit dem Holocaust als moralisches Versagen interpretierte.

Giordano, der mit dieser Analyse Aufsehen erregte und sich Anfeindungen aussetzen musste, war einer der ersten Redakteure der, wie sie damals noch hieß, »Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung« gewesen, der heutigen Jüdischen Allgemeinen. Bis zu seinem Tod im Dezember 2014 blieb Giordano dieser Zeitung treu: als Leser, als Autor und als jemand, der gerne in der Redaktion anrief und seine Gespräche mit einem »Herr Kollege« oder »Frau Kollegin« eröffnete.

schoa Der 1923 in Hamburg geborene Giordano hatte sein Überleben der Schoa als »das Schlüsselerlebnis meines Daseins« beschrieben. Sein publizistisches Wirken erzählt einiges über den politischen Einfluss, den ein Organ wie die AJW haben konnte. In den 50er-Jahren war Giordano Kommunist, in seinen letzten Lebensjahren war er Vorwürfen ausgesetzt, ein »Ausländerfeind« und »Muslimhasser« zu sein, aber die Konstante seines politischen Lebens war die Beschäftigung mit der Schoa, die Bekämpfung des Antisemitismus.

Was Giordano bei seinen AJW-Recherchen über die ersten NS-Prozesse in den 50er-Jahren erlebte, ging ein in sein Buch von der »zweiten Schuld«.

Was Giordano bei seinen AJW-Recherchen über die ersten NS-Prozesse in den 50er-Jahren erlebte, ging ein in sein Buch von der »zweiten Schuld«. Was 1987 auf Ablehnung stieß, dürfte mittlerweile allgemein anerkannt sein. Doch seinen Frieden mit den Verhältnissen machte Giordano nicht. Er schrieb gegen den FDP-Politiker Jürgen Möllemann, gegen die ihm pro-irakisch erscheinende Friedensbewegung oder für das Andenken an die im Genozid vor 100 Jahren ermordeten Armenier. Oft auch in Artikeln für die Jüdische Allgemeine.

schuld 2009 etwa, zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik, schrieb er vom »Januskopf« dieses Staates und wieder von der »zweiten Schuld«. Und für Israel setzte er sich ein. An seiner Parteinahme für den jüdischen Staat konnte niemand zweifeln. »Deshalb Schluss mit Rücksicht, Taktik, Defensive!« schrieb er 2012 in der Jüdischen Allgemeinen.

Ralph Giordano hatte mit dem Roman Die Bertinis großen Erfolg. Die nachhaltigste Wirkung erzielte er mit seiner Analyse von der »zweiten Schuld«. Das schaffte er gerade deswegen, weil er eine unabhängige jüdische Stimme blieb.

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann wird heute mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt. Bislang schwieg sie zur scharfen Kritik an ihrer Arbeit. Doch jetzt antwortete die ARD-Journalistin ihren Kritikern

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter, Imanuel Marcus  04.12.2025

Show-Legende

Mr. Bojangles: Sammy Davis Jr. wäre 100 Jahre alt geworden

Er sang, tanzte, gab den Spaßmacher. Sammy Davis Jr. strebte nach Erfolg und bot dem Rassismus in den USA die Stirn. Der Mann aus Harlem gilt als eines der größten Showtalente

von Alexander Lang  04.12.2025

Preisvergabe

Charlotte Knobloch kritisiert Berichterstattung von Sophie von der Tann

Dass problematische Berichterstattung auch noch mit einem Preis ausgezeichnet werde, verschlage ihr die Sprache, sagt die Präsidentin der IKG München

 04.12.2025

Philosophie

Drang zur Tiefe

Auch 50 Jahre nach ihrem Tod entzieht sich das Denken Hannah Arendts einer klaren Einordnung

von Marcel Matthies  04.12.2025

Kulturbetrieb

»Wie lange will das politische Deutschland noch zusehen?«

Der Bundestagskulturausschuss hörte Experten zum Thema Antisemitismus an. Uneins war man sich vor allem bei der Frage, wie weit die Kunstfreiheit geht

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025