60 Jahre - so lange hat es gedauert, bis es in Deutschland einen zentralen Erinnerungsort für die rund sechs Millionen von den Nazis ermordeten Juden gab. Vor 20 Jahren wurde das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet - mitten in Berlin, unweit des Brandenburger Tors und der US-amerikanischen Botschaft.
»Ich glaube, es ist ein bisschen zu ästhetisch. Es sieht ein wenig zu gut aus«, sagte der Architekt des Denkmals, Peter Eisenman, in einem »Spiegel«-Interview zur Eröffnung. »Nicht, dass ich etwas Hässliches wollte, aber ich wollte nichts, das nach Design aussieht. Ich wollte das Gewöhnliche, das Banale.«
Auf den ersten Blick stehen da viele schlichte, graue Betonblöcke - 2.710 an der Zahl. Vielleicht ist dies das Banale, das Eisenman anspricht. Betritt man aber das Stelenfeld, so berichten viele Besucher von einem Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung durch die unterschiedlich hohen Betonblöcke. Und aus der Vogelperspektive wird sichtbar, warum das Mahnmal aus Eisenmans Sicht »zu gut« aussieht - die Stelen ergeben aus der Luft betrachtet das Bild eines wogenden Feldes.
Stelen als Platz an der Sonne?
Auf 19.073 Quadratmetern, einer Fläche fast so groß wie drei Fußballfelder, erheben sich im Abstand von 95 Zentimetern tausende Stelen bis zu über viereinhalb Meter in die Luft. Immer wieder sieht man vor allem Kinder über die Stelen springen. Der eingesetzte Wachdienst ist auch dafür zuständig sie davon abzuhalten.
Trotzdem laden die Betonsäulen bei schönem Wetter zum Verweilen in der Sonne ein. Eltern lehnen sich zurück. Menschen picknicken. Die Stelen als Platz an der Sonne zu nutzen wird geduldet.Mit »Yolocaust« gegen die Selbstinszenierung
Gerade die von Eisenman angesprochene Ästhetik des Holocaust-Mahnmals motiviert vor allem jüngere Touristen dazu für Selfies zu posieren. 2017 sorgte der jüdische Comedian Shahak Shapira mit einer Aktion für Aufsehen. Mit »Yolocaust« wollte er zum Nachdenken anregen, wie sich Menschen an diesem Ort verhalten. »Die Selbstinszenierung am Holocaust-Mahnmal hat sich normalisiert«, kritisierte Shapira damals im »Spiegel«.
Beißende Kritik: »Yolocaust«
Der Name setzt sich zusammen aus Holocaust und dem Jugendwort »YOLO« als Abkürzung für »You only live once«. Zwölf ausgewählte Fotos aus den Sozialen Medien mischte er für das Projekt mit historischen Aufnahmen aus Vernichtungslagern. Auf einer Internetseite waren die Aufnahmen gegenübergestellt. Nach wenigen Tagen beendete Shapira die Aktion, nachdem sich alle Urheber der Postings bei ihm gemeldet hatten.
Wie man sich am Mahnmal zu verhalten hat, ist nicht die einzige Diskussion, die mit dem Erinnerungsort verbunden ist. Von der ersten Idee zum Holocaust-Mahnmal 1988 bis zur Fertigstellung vergingen nicht nur 17 Jahre, es gab auch viel Uneinigkeit. Mit dem Ergebnis eines ersten Architektenwettbewerbs durch die Stadt Berlin zeigte sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) nicht zufrieden. 1997/98 einigten sich die Beteiligten dann nicht nur auf den Standort, sondern auch auf einen Entwurf der US-Amerikaner Eisenman und Bildhauer Richard Serra.
18 Jahre Planung und Bau
Fast zwei Jahre später legt Eisenman dann den finalen Entwurf vor, der auf Wunsch ein ursprünglich von ihm nicht vorgesehenes Informationszentrum unterhalb des Stelenfeldes vorsah. Für den »Ort der Information« stellte die israelische Gedenkstätte Yad Vashem eine Liste mit den Namen aller bekannten jüdischen Opfern der Schoah zur Verfügung.
Am 10. Mai 2005 wurde das Denkmal dann feierlich eröffnet. An der Veranstaltung nahmen neben den damaligen Staatsoberhäuptern, Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, auch der damalige Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, und der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, teil. Unter den rund 1.300 Gästen waren zudem Überlebende des Holocaust. Zwei Tage später wurde das Mahnmal der Öffentlichkeit übergeben.
»Wundervolle Geste«
Doch schnell machten die Stelen Probleme, Beton platzte ab. Risse ziehen sich bis heute durch die Säulen, manche werden mit Metallrahmen stabilisiert. Um den Beton zu untersuchen, wurden 2010 zwei Stelen abgetragen. Eine wurde Monate später wieder eingesetzt, die andere zerlegt. Seitdem besteht das Denkmal aus einer Stele weniger.
Das Mahnmal sei nicht für Juden gedacht, sagte Eisenman dem »Spiegel«, sondern für die Deutschen: »Es ist eine wundervolle Geste des deutschen Volkes, dass sie etwas ins Zentrum ihrer Stadt setzen, dass sie erinnert - erinnern könnte - an die Vergangenheit.«