Raubkunst

Streit ums Kunsthaus Zürich

Das Kunsthaus in Zürich (2016) Foto: imago/CHROMORANGE

Schwarze Wolken schwebten schon lange über der Provenienz der Kunstwerke im Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses. Deren Sammler Emil Georg Bührle (1890–1956) steht wegen seiner Kriegsgeschäfte mit Waffen schon seit geraumer Zeit im Kreuzfeuer der Kritik, die Bührle-Stiftung wegen ihrer Art des Umgangs mit der Sammlung. Bei der Eröffnung des schicken Chipperfield-Gebäudes Mitte Oktober 2021 hagelte es Negativ-Schlagzeilen gegen »das kontaminierte Museum« – so der Titel eines Ende September erschienenen Buches des Schweizer Historikers Erich Keller.

Am vergangenen Sonntag erklang der nächste Paukenschlag in der aufgewühlten Alpenrepublik. Wie zu neuem Leben erwacht, mischte sich die seit zwei Jahrzehnten aufgelöste Unabhängige Expertenkommission (UEK) »Schweiz – Zweiter Weltkrieg« ein. Von 1996 bis 2001 hatte sie zur Aufgabe, die rund um den Zweiten Weltkrieg in die Schweiz gelangten Vermögenswerte zu untersuchen.

SAMMLUNG Damals habe die sogenannte Bergier-Kommission Zugang zu den Akten der Sammlung Bührle haben wollen. Das Recht dazu hatte ihr der Beschluss des Schweizer Parlaments durch einen Artikel über die »Pflicht zur Gewährung der Akteneinsicht« gegeben. So hatte die Kommission Zugang zu Archiven von Banken, Versicherungen, Industrie, Pharmaunternehmen und weiteren Einrichtungen erhalten.

Die Familie Bührle und die Verantwortlichen der Stiftung hätten damals behauptet, es gebe kein Archiv, schreiben die ehemaligen Kommissionsmitglieder.

Der Zugang zu den Akten der Sammlung Bührle sei den UEK-Mitarbeitenden bis 2001 allerdings verwehrt worden, schreiben die ehemaligen Kommissionsmitglieder. Die Familie Bührle und die Verantwortlichen der Stiftung Bührle hätten damals behauptet, es gebe kein Archiv – was sich später als unwahr herausgestellt habe.

Deswegen habe »dies zum Eindruck geführt, dass Stiftung und Familie Bührle gegenüber der UEK seinerzeit die Unwahrheit gesagt haben«, teilen jetzt die Unterzeichnenden mit, darunter so renommierte Historiker und Holocaust-Forscher wie Saul Friedländer, Helen Junz und Jacques Picard.

Sie bezeichnen die bisherige Forschung zum Kriegsgeschäft von Bührle im Rahmen des Lehrstuhls von Matthieu Leimgruber an der Züricher Universität zwar als »inhaltlich fundiert«. Aber unangreifbar sei der Bericht Leimgrubers nicht, zitiert die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) in ihrer Ausgabe vom 9. November das ehemalige UEK-Mitglied Jakob Tanner, emeritierter Professor an der Universität Zürich. Die Forschung »müsse von unabhängigen Experten weitergeführt werden«.

Für die ehemaligen UEK-Mitglieder stelle sich »mit Blick auf die aktuelle Situation« erneut die Frage, ob »alle Kunstwerke, die in die Sammlung Bührle übernommen wurden, eindeutig identifiziert, erforscht und bewertet sind«.

WASHINGTONER ABKOMMEN Sie wundern sich, warum es in der Schweiz nicht wie in vielen anderen Ländern ein unabhängiges Gremium gebe, »das sich bei strittigen Eigentumsfragen für eine gerechte und faire Lösung aller Parteien einsetzt«, und fordern den Schweizer Bund dazu auf, ein unabhängiges Gremium einzusetzen, das faire Lösungen, insbesondere auf Basis des Washingtoner Abkommens von 1998 über den Umgang mit Raubkunst der NS-Zeit, anstrebt.

Darüber hinaus fordern sie das Kunsthaus Zürich dazu auf, unabhängige Expertinnen und Experten damit zu beauftragen, den Dokumentationsraum zur Sammlung Bührle neu zu kontextualisieren – mit aktuellen Forschungserkenntnissen und mit den Geschichten von ehemaligen Besitzern und Besitzerinnen. Die aktuelle Situation in Zürich sei ein Affront gegenüber potenziellen Opfern.

Das Kunsthaus Zürich begrüße weitere Forschung, zitierte die NZZ den Kommunikationsbeauftragen der Einrichtung.

In der NZZ sagt Lukas Gloor, Direktor der Sammlung Bührle seit 2002, die von der UEK geschilderten Vorgänge hätten sich abgespielt, bevor er das Amt angetreten habe. Das Kunsthaus Zürich begrüße weitere Forschung, zitiert die NZZ außerdem Björn Quellenberg, den Kommunikationsbeauftragten des Kunsthauses. Das Archiv der Sammlung Bührle sei heute öffentlich zugänglich.

SAMMLUNG Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle wurde von den Erben des Unternehmers Emil Georg Bührle eingerichtet, um wesentliche Teile seiner Kunstsammlung der Öffentlichkeit zu zeigen. Von 1960 bis 2015 konnten diese Werke in einem eigenen Haus in Zürich besichtigt werden, seit dem 9. Oktober 2021 werden sie im Kunsthaus Zürich in einem Neubau von David Chipperfield ausgestellt.

Neben Gemälden alter Meister wie Tintoretto, Rubens und Rembrandt verfügt die Sammlung über zahlreiche Werke von Impressionisten, darunter Renoir, Monet, Cézanne und van Gogh, sowie der Moderne wie Modigliani, Chagall und Picasso.

Das seit 1941 in der Sammlung Bührle befindliche Monet-Bild »Mohnfeld bei Vétheuil« gehörte einem nach Südamerika emigrierten Erben des jüdischen Kaufmanns Max Emden.

Bezüglich des seit 1941 in der Sammlung Bührle befindlichen Monet-Bildes »Mohnfeld bei Vétheuil« besteht wegen seiner Provenienz der Verdacht, es sei in den Jahren 1940/41 Gegenstand eines möglicherweise fragwürdigen Geschäfts zwischen Bührle und dem nach Südamerika emigrierten Erben des jüdischen Kaufmanns Max Emden gewesen.

Eine Anzahl weiterer Bilder hat eine ungeklärte Provenienz, es könnte sich bei ihnen ebenfalls um Raubkunst oder Fluchtgut handeln.

Katarzyna Wielga-Skolimowska

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